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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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an die Vollendung nicht des einseitig confessionellen, sondern des intellectuellen
und sittlichen Protestantismus geknüpft; es war immer ihre schönste Hoffnung
auch in schlimmen Zeiten, Baiern dereinst noch in vollem ebenbürtigem Wett-
lauf mit dem gesäumten übrigen Deutschland zu sehen; darum erschien es ihr als
die allein würdige Politik eines jeden bairischen Cabinets, mit Preußen eher als
mit Oestreich zu gehen. Der Hauptträger dieser erbkaiserlichen Partei ist der
Fürst von Leiningen; sie ist auch im Lande organistrt. Sichere Charaktere,
erleuchtete Köpfe, die von jeher wußten, was sie wollten, gehören zu ihr. Die
neuesten Hefte der "historischen politischen Blätter" sagen in den Glossen zur Ta¬
gesgeschichte mit verhaltenem Groll von diesen Männern: "die eifrigen und über¬
eifriger Führer und Verfechter des Protestantismus in Baiern, Graf Giech, Ba¬
ron Notenhan, Professor Stahl, v. Raum er ans Dinkelsbühl, v. Zer zog,
Dekan Bauer haben in demselben Augenblick das Interesse Baierns und ihres
Königs geopfert, als sich die Aussicht bot einen protestantischen Kaiser zu kühren."

Wir müssen hier noch eines Instituts gedenken, das in der täglichen, schlimm¬
sten Erinnerung der Münchener, der bairischen Presse überhaupt lebt -- es ist das
auf Negierungskosten erhaltene Hofblatt die "neue Münchener Zeitung", redigirt
von Dr. Haller und Vogel; von denen ersterer ehemals Redacteur des radia¬
ler, nunmehr eingegangene" fränkischen Merkur gewesen, und letzterer den frei¬
sinnigsten Volksschriftstellcrn früher angehört hat. Dr. Haller lieferte auch, bis
zum Sturz der französische" Julidynastie in Paris wohnhaft, der Allgemeinen Zei¬
tung die Mittheilungen über spanische und französische Zustande und soll seine Feder
eine Zeit laug von Espartero beeinflußt gewesen sein. Die erwähnte Zeitung ist die
Arena der gesinnungstüchtigen bureaukratischen und Hofschriststeller. Die Namen Ar-
Mcmöperg, Adel, Dönniges, Seuffert und eine bunte Zahl von activen und ehemaligen
Ministern, Staats- und Miuisterialrätheu werdeu als solche genannt, die hier bald
gegen die Grundrechte, bald gegen die Reichsverfassung, bald gegen das souvc-
ränetätsschwindsüchtige Parlament, bald gegen das infernale preußische Erbkaiser-
thum, bald für Groß- und Ganzdeutschland gegen Halbkleindentschland, bald für
Baierns unbedingte Selbstständigkeit und Unverletzbarkeit in blitzendem Waffen¬
schmuck sich ergehen. Es ist mehr eine glänzende Parade als ein Krieg hoch^
ster und hoher Federn, die natürlich schon als solche des Eingehens in die
Sachen überhoben sind. Da die Aufsätze dieser Zeitung wirklich aus
"staatsmännischen" Federn geflossen sind, so ist auch damit erwiesen, welche
kolossale Veränderung die Welt erlitten hat. Ans schwankenden, binnen Seilen
tanzen ergraute Staatsmänner sogar ohne Balancirstange und zwar gratis und
ohne Zuschauer, wenigsteus ohne das Publikum, -- in wunderlichsten, in wahr¬
haft halsbrechenden Sprüngen einher. Nach diesen Aufsätzen bringt bald Baiern
für Deutschland die ungeheuersten Opfer, bald wieder heißt es, Baiern werde
auch eine Zeit lang ganz allein ohne Deutschland zu stehen wissen, bald wieder


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an die Vollendung nicht des einseitig confessionellen, sondern des intellectuellen
und sittlichen Protestantismus geknüpft; es war immer ihre schönste Hoffnung
auch in schlimmen Zeiten, Baiern dereinst noch in vollem ebenbürtigem Wett-
lauf mit dem gesäumten übrigen Deutschland zu sehen; darum erschien es ihr als
die allein würdige Politik eines jeden bairischen Cabinets, mit Preußen eher als
mit Oestreich zu gehen. Der Hauptträger dieser erbkaiserlichen Partei ist der
Fürst von Leiningen; sie ist auch im Lande organistrt. Sichere Charaktere,
erleuchtete Köpfe, die von jeher wußten, was sie wollten, gehören zu ihr. Die
neuesten Hefte der „historischen politischen Blätter" sagen in den Glossen zur Ta¬
gesgeschichte mit verhaltenem Groll von diesen Männern: „die eifrigen und über¬
eifriger Führer und Verfechter des Protestantismus in Baiern, Graf Giech, Ba¬
ron Notenhan, Professor Stahl, v. Raum er ans Dinkelsbühl, v. Zer zog,
Dekan Bauer haben in demselben Augenblick das Interesse Baierns und ihres
Königs geopfert, als sich die Aussicht bot einen protestantischen Kaiser zu kühren."

Wir müssen hier noch eines Instituts gedenken, das in der täglichen, schlimm¬
sten Erinnerung der Münchener, der bairischen Presse überhaupt lebt — es ist das
auf Negierungskosten erhaltene Hofblatt die „neue Münchener Zeitung", redigirt
von Dr. Haller und Vogel; von denen ersterer ehemals Redacteur des radia¬
ler, nunmehr eingegangene» fränkischen Merkur gewesen, und letzterer den frei¬
sinnigsten Volksschriftstellcrn früher angehört hat. Dr. Haller lieferte auch, bis
zum Sturz der französische» Julidynastie in Paris wohnhaft, der Allgemeinen Zei¬
tung die Mittheilungen über spanische und französische Zustande und soll seine Feder
eine Zeit laug von Espartero beeinflußt gewesen sein. Die erwähnte Zeitung ist die
Arena der gesinnungstüchtigen bureaukratischen und Hofschriststeller. Die Namen Ar-
Mcmöperg, Adel, Dönniges, Seuffert und eine bunte Zahl von activen und ehemaligen
Ministern, Staats- und Miuisterialrätheu werdeu als solche genannt, die hier bald
gegen die Grundrechte, bald gegen die Reichsverfassung, bald gegen das souvc-
ränetätsschwindsüchtige Parlament, bald gegen das infernale preußische Erbkaiser-
thum, bald für Groß- und Ganzdeutschland gegen Halbkleindentschland, bald für
Baierns unbedingte Selbstständigkeit und Unverletzbarkeit in blitzendem Waffen¬
schmuck sich ergehen. Es ist mehr eine glänzende Parade als ein Krieg hoch^
ster und hoher Federn, die natürlich schon als solche des Eingehens in die
Sachen überhoben sind. Da die Aufsätze dieser Zeitung wirklich aus
»staatsmännischen" Federn geflossen sind, so ist auch damit erwiesen, welche
kolossale Veränderung die Welt erlitten hat. Ans schwankenden, binnen Seilen
tanzen ergraute Staatsmänner sogar ohne Balancirstange und zwar gratis und
ohne Zuschauer, wenigsteus ohne das Publikum, — in wunderlichsten, in wahr¬
haft halsbrechenden Sprüngen einher. Nach diesen Aufsätzen bringt bald Baiern
für Deutschland die ungeheuersten Opfer, bald wieder heißt es, Baiern werde
auch eine Zeit lang ganz allein ohne Deutschland zu stehen wissen, bald wieder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/251>, abgerufen am 15.01.2025.