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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Werfen Sie mit mir gefälligst einen Blick nach Ofen auf die Generalwiese.
Dort herrscht ein buntes Gewimmel. Offiziere sprengen ab und zu, Marketende¬
rinnen packen ihren Kram, die Brückenequipage wird bespannt, die Trommel und
die Trompete schallt. Die Pferde wiehern, das Riemzeug knarrt, Tornister wer¬
den geschnallt, Kanonen rücken vor in Marschordnung, die Kolonnen setzen sich
in Bewegung und allmälig ordnet sich der ganze ungeheure Train und marschirt
Mit dumpfem Tritt über die beiden Brücken nach Pesth um den Weg gegen
Szolnok einzuschlagen. Schweigend stehn die Pesther in den Straßen gedrängt,
aus den Fenstern sehn bekümmerte Franeugcstchter, aber alles schweigt, kein Zu¬
ruf an die in den Kampf ziehenden Krieger wird gehört und ein hunderttausend
fromme Wünsche für die Feinde, die sie bekämpfen sollen, ist alles, was sie mit
auf die Reise bekommen. -- Ein eleganter Reiter war indessen vvransgesprengt
durch die Straßen und hat an der Pfeife eines an der Barriere müßig dastehen¬
den Landmanns seine Cigarre angezündet. Dem Bauer ist dabei das Feuer aus¬
gegangen -- ich weiß uicht, was ihn so heftig bewegt -- er läuft seitwärts ge¬
gen einen Sandhügel, schlägt mit Stein und Stahl schnell wieder Feuer, aber
statt des Tabaks in der Pfeife zündet er ein Reisigbündel an, löscht es wieder
aus und zündet es wieder an und geht seine Wege. Der Mann ist offenbar ein
Träumer oder Toller, denn er hat auch sein kurzes Pfeifenrohr in die Glut ge¬
worfen, damit das Feuer lustig flackre. -- Jetzt schaun Sie weiter. In mäßiger
Entfernung wieder eine Rauchsäule und wieder und noch eine. Ein kleiner buck¬
liger Junge, der seit frühem Morgen Reisig im Gehölze gesammelt hat, sieht die
Rauchsäulen und wirft gleichfalls sein mühsam zusammengerafftes Bündel ans den
Boden und steckt seinen Schatz in Brand, ein zweiter Sardanapal. -- Jetzt
blicken Sie uoch weiter gegen Osten. Durch das Dorf läuft ein Knabe, über die
Haide fliegt ein Reiter, durch den Fluß schwimmt ein Hund und Roß und Rei¬
ter, Hund und Knabe, sie alle sind Glieder jener unsichtbaren Telegraphenkette,
Kor der ich Ihnen sagte. Wenige Stunden nachdem sich die kaiserliche Armee in
Pesth in Bewegung gesetzt hat, weiß man in Debrezin ihre Marschroute und trifft
die nöthige" Vorkehrungen, während der kaiserliche Feldherr mit all' seiner Macht
^ud seinem Golde keinen verläßlichen Spion erkaufen kann. lind dies, niam
Herr, ist die Geschichte von den ungarischen Telegraphen, die schon unter Philipp II.
^ den Niederlanden gang und gebe waren und überall ihre Anwendung finden
werden, wo ein nationaler Krieg gegen ein fremdes stehendes Heer geführt wird.

Die Kraft eines Volkes ist gleich der Kraft des Bodens anf dem es fußt,
^as Individuum repräsentirt die Scholle Erde, ans welcher sich der Pflanzen-
stengel entwickelt, und wie das kleinste Atom des Bodens noch keimempfänglich ist,
^ birgt auch die Seele des unscheinbarsten Individuum genug des Stoffes, um
fruchtbringend zu werden sür das Allgemeine. Was zumal ein ursprünglich tapfe-
^6. Volt vermag, wenn durch potenzirte Geister sein kriegerischer Charakter zu


Werfen Sie mit mir gefälligst einen Blick nach Ofen auf die Generalwiese.
Dort herrscht ein buntes Gewimmel. Offiziere sprengen ab und zu, Marketende¬
rinnen packen ihren Kram, die Brückenequipage wird bespannt, die Trommel und
die Trompete schallt. Die Pferde wiehern, das Riemzeug knarrt, Tornister wer¬
den geschnallt, Kanonen rücken vor in Marschordnung, die Kolonnen setzen sich
in Bewegung und allmälig ordnet sich der ganze ungeheure Train und marschirt
Mit dumpfem Tritt über die beiden Brücken nach Pesth um den Weg gegen
Szolnok einzuschlagen. Schweigend stehn die Pesther in den Straßen gedrängt,
aus den Fenstern sehn bekümmerte Franeugcstchter, aber alles schweigt, kein Zu¬
ruf an die in den Kampf ziehenden Krieger wird gehört und ein hunderttausend
fromme Wünsche für die Feinde, die sie bekämpfen sollen, ist alles, was sie mit
auf die Reise bekommen. — Ein eleganter Reiter war indessen vvransgesprengt
durch die Straßen und hat an der Pfeife eines an der Barriere müßig dastehen¬
den Landmanns seine Cigarre angezündet. Dem Bauer ist dabei das Feuer aus¬
gegangen — ich weiß uicht, was ihn so heftig bewegt — er läuft seitwärts ge¬
gen einen Sandhügel, schlägt mit Stein und Stahl schnell wieder Feuer, aber
statt des Tabaks in der Pfeife zündet er ein Reisigbündel an, löscht es wieder
aus und zündet es wieder an und geht seine Wege. Der Mann ist offenbar ein
Träumer oder Toller, denn er hat auch sein kurzes Pfeifenrohr in die Glut ge¬
worfen, damit das Feuer lustig flackre. — Jetzt schaun Sie weiter. In mäßiger
Entfernung wieder eine Rauchsäule und wieder und noch eine. Ein kleiner buck¬
liger Junge, der seit frühem Morgen Reisig im Gehölze gesammelt hat, sieht die
Rauchsäulen und wirft gleichfalls sein mühsam zusammengerafftes Bündel ans den
Boden und steckt seinen Schatz in Brand, ein zweiter Sardanapal. — Jetzt
blicken Sie uoch weiter gegen Osten. Durch das Dorf läuft ein Knabe, über die
Haide fliegt ein Reiter, durch den Fluß schwimmt ein Hund und Roß und Rei¬
ter, Hund und Knabe, sie alle sind Glieder jener unsichtbaren Telegraphenkette,
Kor der ich Ihnen sagte. Wenige Stunden nachdem sich die kaiserliche Armee in
Pesth in Bewegung gesetzt hat, weiß man in Debrezin ihre Marschroute und trifft
die nöthige» Vorkehrungen, während der kaiserliche Feldherr mit all' seiner Macht
^ud seinem Golde keinen verläßlichen Spion erkaufen kann. lind dies, niam
Herr, ist die Geschichte von den ungarischen Telegraphen, die schon unter Philipp II.
^ den Niederlanden gang und gebe waren und überall ihre Anwendung finden
werden, wo ein nationaler Krieg gegen ein fremdes stehendes Heer geführt wird.

Die Kraft eines Volkes ist gleich der Kraft des Bodens anf dem es fußt,
^as Individuum repräsentirt die Scholle Erde, ans welcher sich der Pflanzen-
stengel entwickelt, und wie das kleinste Atom des Bodens noch keimempfänglich ist,
^ birgt auch die Seele des unscheinbarsten Individuum genug des Stoffes, um
fruchtbringend zu werden sür das Allgemeine. Was zumal ein ursprünglich tapfe-
^6. Volt vermag, wenn durch potenzirte Geister sein kriegerischer Charakter zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/245>, abgerufen am 15.01.2025.