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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Ahnung hatten, während es eine ausgemachte Erfahrungssache ist, daß man in
den übrigen Ländern Europa's, Frankreich und England nicht ausgenommen, nur
sehr selten einen Hebräer findet, der nicht den jüdisch-deutschen Jargon spricht
oder doch versteht. Auffallend ist es ferner, daß in allen zu Ungarn gehörigen
Kronländern in Slavonien und Kroatien, in der Militärgrenze wie in der Slo-
vcikei die Juden sich ohne Ausnahme dem Magyarismns zuneigen, das Deutsch-
thum gern verläugnen und dem Slaventhum immer abhold blieben. Der Sla¬
vismus war im Allgemeinen bisher nicht glücklich im Proselytenmacher, eS darf
daher nicht sehr wundern, daß er anch den Juden nicht mundete. Das Deutschthum
aber, wie es in den k. k. Freistädter Ungarns durch den deutschen Städtebürger
repräsentirt wird, konnte -- wir müssen es mit Leidwesen eingestehen -- dem
Juden unmöglich viel Zutrauen abgewinnen.

"Der Magyare," sagt Adolph Neustadt in seinen dem neuen Preßgesetze leider
zum Opfer gefallenen politschen Briefen, "ist großherzig, der deutsche Bürger
engherzig. Kein Magyare hat seinen Namen deutsch umgetauft, während Hunderte,
ja tausende Deutsche ihre Bittgesuche einreichten, um die Namen ihrer Väter ab¬
zulegen und sie magyarisircn zu dürfen. Deutsche Magyaren gibt es in Unzahl.
Sollten die Ungarn im Reichstage der Monarchie ihre Plätze einnehmen, so wird
man nach der ersten Stunde erkennen, welcher Seite die beiden Parteien an¬
gehören. Die Magyaren werden links, die Deutschen im Centrum ihre Plätze
wählen, rechts wird kein einziger Ungar sitzen, außerdem es gelingt,
einem slovatischen Prediger gewählt zu werden. Selbst die Magnaten ge¬
hören zur liberalen Partei, während der Schuster aus der Stadt sich der
Reaction anschließt. Der Deutsche in Ungarn hat keinen nationalen Eifer, keine
nationale Tendenz, er bestrebt sich blos um Rechte; der Magyare steckt ganz
und starr in seiner Nationalität, sein Gott ist magyarisch, sein Himmel ist magya¬
risch, Adam trug ungarische Schnürhosen, sein ganzes Bestreben aber ist: Freiheit.
Der Deutsche will die Freiheit als Ausnahme, der Magyare als Regel. Bei
Berathung der Grundrechte wären die Deutschen Ungarns ein Bleigewicht, die
Magyaren Luftballons u. f. w."

Neustadt's Urtheil ist hart, aber darum nicht minder wahr. Ju dieser Wahr¬
heit ist der Grund zu suchen, warum die Juden von jeher lieber mit den Ma¬
gyaren als mit den Deutschen sraternisirten. Denken wir dann noch an die letzten
Judenverfolgungen vom vorigen Jahr in Preßburg und Tyrnau durch deutsche
Städtebürger -- in magyarisch en Ortschaften ist ähnliches nie vorgekommen--
daß ferner der ungarische Reichstag durch Kossuth's Motive schon vor dem März



*) Das Kleeblatt Stadion - Bach-Schwarzenberg möge mir'ö verzeihen, daß ich an seine
octroyirte Charte und an sein einiges freies Oestreich noch nicht glaube. Anm. d. Bers.

Ahnung hatten, während es eine ausgemachte Erfahrungssache ist, daß man in
den übrigen Ländern Europa's, Frankreich und England nicht ausgenommen, nur
sehr selten einen Hebräer findet, der nicht den jüdisch-deutschen Jargon spricht
oder doch versteht. Auffallend ist es ferner, daß in allen zu Ungarn gehörigen
Kronländern in Slavonien und Kroatien, in der Militärgrenze wie in der Slo-
vcikei die Juden sich ohne Ausnahme dem Magyarismns zuneigen, das Deutsch-
thum gern verläugnen und dem Slaventhum immer abhold blieben. Der Sla¬
vismus war im Allgemeinen bisher nicht glücklich im Proselytenmacher, eS darf
daher nicht sehr wundern, daß er anch den Juden nicht mundete. Das Deutschthum
aber, wie es in den k. k. Freistädter Ungarns durch den deutschen Städtebürger
repräsentirt wird, konnte — wir müssen es mit Leidwesen eingestehen — dem
Juden unmöglich viel Zutrauen abgewinnen.

„Der Magyare," sagt Adolph Neustadt in seinen dem neuen Preßgesetze leider
zum Opfer gefallenen politschen Briefen, „ist großherzig, der deutsche Bürger
engherzig. Kein Magyare hat seinen Namen deutsch umgetauft, während Hunderte,
ja tausende Deutsche ihre Bittgesuche einreichten, um die Namen ihrer Väter ab¬
zulegen und sie magyarisircn zu dürfen. Deutsche Magyaren gibt es in Unzahl.
Sollten die Ungarn im Reichstage der Monarchie ihre Plätze einnehmen, so wird
man nach der ersten Stunde erkennen, welcher Seite die beiden Parteien an¬
gehören. Die Magyaren werden links, die Deutschen im Centrum ihre Plätze
wählen, rechts wird kein einziger Ungar sitzen, außerdem es gelingt,
einem slovatischen Prediger gewählt zu werden. Selbst die Magnaten ge¬
hören zur liberalen Partei, während der Schuster aus der Stadt sich der
Reaction anschließt. Der Deutsche in Ungarn hat keinen nationalen Eifer, keine
nationale Tendenz, er bestrebt sich blos um Rechte; der Magyare steckt ganz
und starr in seiner Nationalität, sein Gott ist magyarisch, sein Himmel ist magya¬
risch, Adam trug ungarische Schnürhosen, sein ganzes Bestreben aber ist: Freiheit.
Der Deutsche will die Freiheit als Ausnahme, der Magyare als Regel. Bei
Berathung der Grundrechte wären die Deutschen Ungarns ein Bleigewicht, die
Magyaren Luftballons u. f. w."

Neustadt's Urtheil ist hart, aber darum nicht minder wahr. Ju dieser Wahr¬
heit ist der Grund zu suchen, warum die Juden von jeher lieber mit den Ma¬
gyaren als mit den Deutschen sraternisirten. Denken wir dann noch an die letzten
Judenverfolgungen vom vorigen Jahr in Preßburg und Tyrnau durch deutsche
Städtebürger — in magyarisch en Ortschaften ist ähnliches nie vorgekommen--
daß ferner der ungarische Reichstag durch Kossuth's Motive schon vor dem März



*) Das Kleeblatt Stadion - Bach-Schwarzenberg möge mir'ö verzeihen, daß ich an seine
octroyirte Charte und an sein einiges freies Oestreich noch nicht glaube. Anm. d. Bers.
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[0242] Ahnung hatten, während es eine ausgemachte Erfahrungssache ist, daß man in den übrigen Ländern Europa's, Frankreich und England nicht ausgenommen, nur sehr selten einen Hebräer findet, der nicht den jüdisch-deutschen Jargon spricht oder doch versteht. Auffallend ist es ferner, daß in allen zu Ungarn gehörigen Kronländern in Slavonien und Kroatien, in der Militärgrenze wie in der Slo- vcikei die Juden sich ohne Ausnahme dem Magyarismns zuneigen, das Deutsch- thum gern verläugnen und dem Slaventhum immer abhold blieben. Der Sla¬ vismus war im Allgemeinen bisher nicht glücklich im Proselytenmacher, eS darf daher nicht sehr wundern, daß er anch den Juden nicht mundete. Das Deutschthum aber, wie es in den k. k. Freistädter Ungarns durch den deutschen Städtebürger repräsentirt wird, konnte — wir müssen es mit Leidwesen eingestehen — dem Juden unmöglich viel Zutrauen abgewinnen. „Der Magyare," sagt Adolph Neustadt in seinen dem neuen Preßgesetze leider zum Opfer gefallenen politschen Briefen, „ist großherzig, der deutsche Bürger engherzig. Kein Magyare hat seinen Namen deutsch umgetauft, während Hunderte, ja tausende Deutsche ihre Bittgesuche einreichten, um die Namen ihrer Väter ab¬ zulegen und sie magyarisircn zu dürfen. Deutsche Magyaren gibt es in Unzahl. Sollten die Ungarn im Reichstage der Monarchie ihre Plätze einnehmen, so wird man nach der ersten Stunde erkennen, welcher Seite die beiden Parteien an¬ gehören. Die Magyaren werden links, die Deutschen im Centrum ihre Plätze wählen, rechts wird kein einziger Ungar sitzen, außerdem es gelingt, einem slovatischen Prediger gewählt zu werden. Selbst die Magnaten ge¬ hören zur liberalen Partei, während der Schuster aus der Stadt sich der Reaction anschließt. Der Deutsche in Ungarn hat keinen nationalen Eifer, keine nationale Tendenz, er bestrebt sich blos um Rechte; der Magyare steckt ganz und starr in seiner Nationalität, sein Gott ist magyarisch, sein Himmel ist magya¬ risch, Adam trug ungarische Schnürhosen, sein ganzes Bestreben aber ist: Freiheit. Der Deutsche will die Freiheit als Ausnahme, der Magyare als Regel. Bei Berathung der Grundrechte wären die Deutschen Ungarns ein Bleigewicht, die Magyaren Luftballons u. f. w." Neustadt's Urtheil ist hart, aber darum nicht minder wahr. Ju dieser Wahr¬ heit ist der Grund zu suchen, warum die Juden von jeher lieber mit den Ma¬ gyaren als mit den Deutschen sraternisirten. Denken wir dann noch an die letzten Judenverfolgungen vom vorigen Jahr in Preßburg und Tyrnau durch deutsche Städtebürger — in magyarisch en Ortschaften ist ähnliches nie vorgekommen-- daß ferner der ungarische Reichstag durch Kossuth's Motive schon vor dem März *) Das Kleeblatt Stadion - Bach-Schwarzenberg möge mir'ö verzeihen, daß ich an seine octroyirte Charte und an sein einiges freies Oestreich noch nicht glaube. Anm. d. Bers.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/242>, abgerufen am 15.01.2025.