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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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kommende" Geschichtsschreiber unserer Tage einige Notizen, Andeutungen und An¬
schüttungen festhalten, welche bei den leise eingedrückten, nur von Wenigen bemerk¬
ten Figuren, um die sie sich drehen, fast wohl bald von dem Strom der neucin-
dringenden Begebenheiten zugleich mit jenen verwaschen werden. Denn eben so
populär wie heute die preußische Kaiserkrone überall ist, eben so jung ist auch
diese Popularität; für die Menge ist sie seit vorigen Herbst allmächtig, eine dnrch
die Wucht der Thatsachen trotz allen Widerstrebens herangerückte Nothwendigkeit
geworden; nur Einzelne dürfen sich dieselbe als eine ursprüngliche staatsmännische
Idee aneignen; und selbst uuter diesen Einzelnen sind es wiederum nur Wenige,
welche ihr mit unerschütterlichem Muthe durch alle Wetter des Nevolutionsjahres
bis zu ihrer Verwirklichung dnrch das Parlament unausgesetzt angehangen haben.
Selbst für Dcchlmann war die Frage nach der endgiltigen Form der deutscheu
Reichsverfassung noch sehr lauge eine offene. Sogar im Anfange October, als er bei
der Uebersiedlung der "deutschen Zeitung" nach Frankfurt von dem jungen interi¬
mistischen Redacteur über die Abfassung des neuen Programms zu Rathe gezogen
wurde, strich er noch einen Satz in dem ihm vorgelegte" Entwürfe, welcher mit
klaren Worten, getreu der Vergangenheit des Blattes, die alte Fahne auch um
neuen Orte aussteckte, mit der Bemerkung: "das kaun man jetzt noch gar nicht
wissen." Das Hansemann'sche Direktorium hatte damals uuter den in Betracht
kommenden Mitgliedern des Parlamentes noch viele Chancen für sich. -- Herr von
Usedom sagt in seinen kürzlich erschienenen "politischen Briefen und Charakteristiken
der Gegenwart", die heutige deutsche Bewegung sei nichts als eine Intrigue eini¬
ger Süddeutschen, welchen ihre kleinen Länder ein zu unansehnliches Piedestal ge¬
wesen wären, als daß sie nicht hätten wünschen sollen, dasselbe gegen ein mehr
umfassendes Reich einzutauschen; in den größeren Staaten, d. h. in Preußen,
spüre man daher auch nichts von jenem Zuge"). Der ehemalige Berliner Ge¬
sandte in Rom ist um die Naivetät zu beneiden, mit welcher er sich dies Armnths-
zeugniß ausstellt. Von einem Manne, der doch über die Scholle seines Jnnter-
hoses hinausgesehen, der an den verschiedensten Orten der Erde das Weltmeer
erblickt hat, und sich als Mitglied eiuer auswärtige" Diplomatie wenigstens eine
Ahnung von dem hätte verschaffen können, was man die äußere politische
Stellung einer Nation nenut, um vou ihrer ökonomischen ganz zu schweige", muß
eine solche Aeußerung mehr wie auffallen. Aber freilich, auf den preußischen Le¬
gationen ist man so wenig an Selbständigkeit gewöhnt, daß man seine Unselbst-
ständigkeit gar nicht einmal empfindet, und besitzt leider Gottes einen so geringen
Grad handelspolitischer Kenntnisse, daß es völlig gleichgiltig bleibt, ob das an
der Ostsee gelegene Preußen für immer sich als Agriculturstaat hinschleppt, oder,
an das Nordmeer vorgedrungen, mit irritabeler Kraft unabhängig in das kos-


Anm. d. Red.

*) Ist nicht ganz so schlimm.

kommende» Geschichtsschreiber unserer Tage einige Notizen, Andeutungen und An¬
schüttungen festhalten, welche bei den leise eingedrückten, nur von Wenigen bemerk¬
ten Figuren, um die sie sich drehen, fast wohl bald von dem Strom der neucin-
dringenden Begebenheiten zugleich mit jenen verwaschen werden. Denn eben so
populär wie heute die preußische Kaiserkrone überall ist, eben so jung ist auch
diese Popularität; für die Menge ist sie seit vorigen Herbst allmächtig, eine dnrch
die Wucht der Thatsachen trotz allen Widerstrebens herangerückte Nothwendigkeit
geworden; nur Einzelne dürfen sich dieselbe als eine ursprüngliche staatsmännische
Idee aneignen; und selbst uuter diesen Einzelnen sind es wiederum nur Wenige,
welche ihr mit unerschütterlichem Muthe durch alle Wetter des Nevolutionsjahres
bis zu ihrer Verwirklichung dnrch das Parlament unausgesetzt angehangen haben.
Selbst für Dcchlmann war die Frage nach der endgiltigen Form der deutscheu
Reichsverfassung noch sehr lauge eine offene. Sogar im Anfange October, als er bei
der Uebersiedlung der „deutschen Zeitung" nach Frankfurt von dem jungen interi¬
mistischen Redacteur über die Abfassung des neuen Programms zu Rathe gezogen
wurde, strich er noch einen Satz in dem ihm vorgelegte» Entwürfe, welcher mit
klaren Worten, getreu der Vergangenheit des Blattes, die alte Fahne auch um
neuen Orte aussteckte, mit der Bemerkung: „das kaun man jetzt noch gar nicht
wissen." Das Hansemann'sche Direktorium hatte damals uuter den in Betracht
kommenden Mitgliedern des Parlamentes noch viele Chancen für sich. — Herr von
Usedom sagt in seinen kürzlich erschienenen „politischen Briefen und Charakteristiken
der Gegenwart", die heutige deutsche Bewegung sei nichts als eine Intrigue eini¬
ger Süddeutschen, welchen ihre kleinen Länder ein zu unansehnliches Piedestal ge¬
wesen wären, als daß sie nicht hätten wünschen sollen, dasselbe gegen ein mehr
umfassendes Reich einzutauschen; in den größeren Staaten, d. h. in Preußen,
spüre man daher auch nichts von jenem Zuge"). Der ehemalige Berliner Ge¬
sandte in Rom ist um die Naivetät zu beneiden, mit welcher er sich dies Armnths-
zeugniß ausstellt. Von einem Manne, der doch über die Scholle seines Jnnter-
hoses hinausgesehen, der an den verschiedensten Orten der Erde das Weltmeer
erblickt hat, und sich als Mitglied eiuer auswärtige» Diplomatie wenigstens eine
Ahnung von dem hätte verschaffen können, was man die äußere politische
Stellung einer Nation nenut, um vou ihrer ökonomischen ganz zu schweige», muß
eine solche Aeußerung mehr wie auffallen. Aber freilich, auf den preußischen Le¬
gationen ist man so wenig an Selbständigkeit gewöhnt, daß man seine Unselbst-
ständigkeit gar nicht einmal empfindet, und besitzt leider Gottes einen so geringen
Grad handelspolitischer Kenntnisse, daß es völlig gleichgiltig bleibt, ob das an
der Ostsee gelegene Preußen für immer sich als Agriculturstaat hinschleppt, oder,
an das Nordmeer vorgedrungen, mit irritabeler Kraft unabhängig in das kos-


Anm. d. Red.

*) Ist nicht ganz so schlimm.
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[0228] kommende» Geschichtsschreiber unserer Tage einige Notizen, Andeutungen und An¬ schüttungen festhalten, welche bei den leise eingedrückten, nur von Wenigen bemerk¬ ten Figuren, um die sie sich drehen, fast wohl bald von dem Strom der neucin- dringenden Begebenheiten zugleich mit jenen verwaschen werden. Denn eben so populär wie heute die preußische Kaiserkrone überall ist, eben so jung ist auch diese Popularität; für die Menge ist sie seit vorigen Herbst allmächtig, eine dnrch die Wucht der Thatsachen trotz allen Widerstrebens herangerückte Nothwendigkeit geworden; nur Einzelne dürfen sich dieselbe als eine ursprüngliche staatsmännische Idee aneignen; und selbst uuter diesen Einzelnen sind es wiederum nur Wenige, welche ihr mit unerschütterlichem Muthe durch alle Wetter des Nevolutionsjahres bis zu ihrer Verwirklichung dnrch das Parlament unausgesetzt angehangen haben. Selbst für Dcchlmann war die Frage nach der endgiltigen Form der deutscheu Reichsverfassung noch sehr lauge eine offene. Sogar im Anfange October, als er bei der Uebersiedlung der „deutschen Zeitung" nach Frankfurt von dem jungen interi¬ mistischen Redacteur über die Abfassung des neuen Programms zu Rathe gezogen wurde, strich er noch einen Satz in dem ihm vorgelegte» Entwürfe, welcher mit klaren Worten, getreu der Vergangenheit des Blattes, die alte Fahne auch um neuen Orte aussteckte, mit der Bemerkung: „das kaun man jetzt noch gar nicht wissen." Das Hansemann'sche Direktorium hatte damals uuter den in Betracht kommenden Mitgliedern des Parlamentes noch viele Chancen für sich. — Herr von Usedom sagt in seinen kürzlich erschienenen „politischen Briefen und Charakteristiken der Gegenwart", die heutige deutsche Bewegung sei nichts als eine Intrigue eini¬ ger Süddeutschen, welchen ihre kleinen Länder ein zu unansehnliches Piedestal ge¬ wesen wären, als daß sie nicht hätten wünschen sollen, dasselbe gegen ein mehr umfassendes Reich einzutauschen; in den größeren Staaten, d. h. in Preußen, spüre man daher auch nichts von jenem Zuge"). Der ehemalige Berliner Ge¬ sandte in Rom ist um die Naivetät zu beneiden, mit welcher er sich dies Armnths- zeugniß ausstellt. Von einem Manne, der doch über die Scholle seines Jnnter- hoses hinausgesehen, der an den verschiedensten Orten der Erde das Weltmeer erblickt hat, und sich als Mitglied eiuer auswärtige» Diplomatie wenigstens eine Ahnung von dem hätte verschaffen können, was man die äußere politische Stellung einer Nation nenut, um vou ihrer ökonomischen ganz zu schweige», muß eine solche Aeußerung mehr wie auffallen. Aber freilich, auf den preußischen Le¬ gationen ist man so wenig an Selbständigkeit gewöhnt, daß man seine Unselbst- ständigkeit gar nicht einmal empfindet, und besitzt leider Gottes einen so geringen Grad handelspolitischer Kenntnisse, daß es völlig gleichgiltig bleibt, ob das an der Ostsee gelegene Preußen für immer sich als Agriculturstaat hinschleppt, oder, an das Nordmeer vorgedrungen, mit irritabeler Kraft unabhängig in das kos- Anm. d. Red. *) Ist nicht ganz so schlimm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/228>, abgerufen am 15.01.2025.