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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Eroberung der Stadt seine Berathungen fortzusetzen hatte, von Fürst Schwarzen¬
berg geschlossen und der vollständige Reichstag versammelte sich wenige Wochen
darauf in der weltberühmten Hcnmahstadt Kremsicr. Am 22. November fand die
Eröffnung des Reichstages statt und am 27. erschien zum Erstenmale das neue
Gesammtministerium in der Kammer. Dies war der Tag an welchem der Mini¬
sterpräsident Schwarzenberg jenes denkwürdige Programm verlas, davon ein öst¬
reichischer Publicist treffend sagte: "ich fürchte mit dem Ministerium in Conflict zu
kommen, wenn ich mich an sein Programm halte -- und mit dem Programm,
wenn ich mich ein's Ministerium halte!"

Doch kehren wir zum Grafen Stadion zurück. Wir sind jetzt zu dem Punkte
gekommen, wo wir ihn einmal als dramatische Figur, d. h. redend und handelnd
auftreten lassen können. Bis dahin war keine Gelegenheit dazu geboten, ein Um-
standwelcher, wie Sie begreifen werden, meine Aufgabe zu einer sehr schwierigen machte.
Ich durfte meinen noch lebenden Helden nicht eher sprechen lassen, als bis er an¬
fing zu reden, denn ich habe Ihnen einen politischen Charakter zu schildern, wie
er ist, nickt wie er sem sollte. Und so viel mir bekannt, hat Graf Stadion bis
zur Erlangung der Muüstcrwürde immer ein lautloses parlamentarisches Leben ge¬
ehrt. Das einzige Mal, wo er seine Stimme im Reichstage zu Wien ertönen
ließ, war im vorigen Sommer bei der Debatte über die Znrückl'crnfnng des nach
Insbruck geflüchteten Kaisers Ferdinand. Der Monarch hatte den wiederholten
Bitten der Wiener, in die Hauptstadt zurückzukehren, kein Gehör gegeben, und
die Herren von der Linken beantragten demzufolge, "die hohe Kammer möge be¬
schließen , den Kaiser aufzufordern, seiner Pflicht nachzukommen, jedem Rufe der
Volksvertreter zu folgen." So ungefähr war der Sinn jenes Antrags; ich citire
""S dem Gedächtniß und kann mich des Wortlauts nicht genau mehr entsinnen.
Stadion erhob sich dagegen und suchte nachzuweisen, daß der Reichstag den Kai¬
ser wohl um etwas bitten, aber zu Nichts auffordern könne. Der Graf ge¬
bieth aber dabei so in's Stottern und brachte seine Ansicht in so wunderlicher
Wortstellung zum Vorschein, daß jene Rede, weniger ihres Gehalts als ihrer Ge¬
stalt wegen, dem Reichstage in unvertilgbaren Andenken geblieben ist.

In Kremsicr speißten die Herren von der Ministerbank und ein großer Theil
^r Deputaten im Saale des erzbischöflichen Palastes. Während des Diners
wurden bei den überhäuften Beschäftigungen der Staatslenker auch eben einge¬
laufene Papiere durchlesen, Leute zum Gespräch zugelassen .'c. Von einer solchen
Tischscene entsinne ich mich genan, daß, während ich mit einem andern Minister
sprach, dem Grafen Stadion ein paar Hofräthe oder ähnlich betitelte Menschen
""gekündigt wurden. "Was!" -- rief der Gras, den Namen des Einen wieder¬
holend -- "ist der alte Zopf auch hier; na, der kann warten! und X., dieser
Stockreaktionär? der kommt gerade an den Rechten, wenn er sich an mich wendet!
Diese Leute" -- fuhr er fort, sich zum Fürsten Schwarzenberg wendend -- "diese


Eroberung der Stadt seine Berathungen fortzusetzen hatte, von Fürst Schwarzen¬
berg geschlossen und der vollständige Reichstag versammelte sich wenige Wochen
darauf in der weltberühmten Hcnmahstadt Kremsicr. Am 22. November fand die
Eröffnung des Reichstages statt und am 27. erschien zum Erstenmale das neue
Gesammtministerium in der Kammer. Dies war der Tag an welchem der Mini¬
sterpräsident Schwarzenberg jenes denkwürdige Programm verlas, davon ein öst¬
reichischer Publicist treffend sagte: „ich fürchte mit dem Ministerium in Conflict zu
kommen, wenn ich mich an sein Programm halte — und mit dem Programm,
wenn ich mich ein's Ministerium halte!"

Doch kehren wir zum Grafen Stadion zurück. Wir sind jetzt zu dem Punkte
gekommen, wo wir ihn einmal als dramatische Figur, d. h. redend und handelnd
auftreten lassen können. Bis dahin war keine Gelegenheit dazu geboten, ein Um-
standwelcher, wie Sie begreifen werden, meine Aufgabe zu einer sehr schwierigen machte.
Ich durfte meinen noch lebenden Helden nicht eher sprechen lassen, als bis er an¬
fing zu reden, denn ich habe Ihnen einen politischen Charakter zu schildern, wie
er ist, nickt wie er sem sollte. Und so viel mir bekannt, hat Graf Stadion bis
zur Erlangung der Muüstcrwürde immer ein lautloses parlamentarisches Leben ge¬
ehrt. Das einzige Mal, wo er seine Stimme im Reichstage zu Wien ertönen
ließ, war im vorigen Sommer bei der Debatte über die Znrückl'crnfnng des nach
Insbruck geflüchteten Kaisers Ferdinand. Der Monarch hatte den wiederholten
Bitten der Wiener, in die Hauptstadt zurückzukehren, kein Gehör gegeben, und
die Herren von der Linken beantragten demzufolge, „die hohe Kammer möge be¬
schließen , den Kaiser aufzufordern, seiner Pflicht nachzukommen, jedem Rufe der
Volksvertreter zu folgen." So ungefähr war der Sinn jenes Antrags; ich citire
"»S dem Gedächtniß und kann mich des Wortlauts nicht genau mehr entsinnen.
Stadion erhob sich dagegen und suchte nachzuweisen, daß der Reichstag den Kai¬
ser wohl um etwas bitten, aber zu Nichts auffordern könne. Der Graf ge¬
bieth aber dabei so in's Stottern und brachte seine Ansicht in so wunderlicher
Wortstellung zum Vorschein, daß jene Rede, weniger ihres Gehalts als ihrer Ge¬
stalt wegen, dem Reichstage in unvertilgbaren Andenken geblieben ist.

In Kremsicr speißten die Herren von der Ministerbank und ein großer Theil
^r Deputaten im Saale des erzbischöflichen Palastes. Während des Diners
wurden bei den überhäuften Beschäftigungen der Staatslenker auch eben einge¬
laufene Papiere durchlesen, Leute zum Gespräch zugelassen .'c. Von einer solchen
Tischscene entsinne ich mich genan, daß, während ich mit einem andern Minister
sprach, dem Grafen Stadion ein paar Hofräthe oder ähnlich betitelte Menschen
""gekündigt wurden. „Was!" — rief der Gras, den Namen des Einen wieder¬
holend — „ist der alte Zopf auch hier; na, der kann warten! und X., dieser
Stockreaktionär? der kommt gerade an den Rechten, wenn er sich an mich wendet!
Diese Leute" — fuhr er fort, sich zum Fürsten Schwarzenberg wendend — „diese


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[0221] Eroberung der Stadt seine Berathungen fortzusetzen hatte, von Fürst Schwarzen¬ berg geschlossen und der vollständige Reichstag versammelte sich wenige Wochen darauf in der weltberühmten Hcnmahstadt Kremsicr. Am 22. November fand die Eröffnung des Reichstages statt und am 27. erschien zum Erstenmale das neue Gesammtministerium in der Kammer. Dies war der Tag an welchem der Mini¬ sterpräsident Schwarzenberg jenes denkwürdige Programm verlas, davon ein öst¬ reichischer Publicist treffend sagte: „ich fürchte mit dem Ministerium in Conflict zu kommen, wenn ich mich an sein Programm halte — und mit dem Programm, wenn ich mich ein's Ministerium halte!" Doch kehren wir zum Grafen Stadion zurück. Wir sind jetzt zu dem Punkte gekommen, wo wir ihn einmal als dramatische Figur, d. h. redend und handelnd auftreten lassen können. Bis dahin war keine Gelegenheit dazu geboten, ein Um- standwelcher, wie Sie begreifen werden, meine Aufgabe zu einer sehr schwierigen machte. Ich durfte meinen noch lebenden Helden nicht eher sprechen lassen, als bis er an¬ fing zu reden, denn ich habe Ihnen einen politischen Charakter zu schildern, wie er ist, nickt wie er sem sollte. Und so viel mir bekannt, hat Graf Stadion bis zur Erlangung der Muüstcrwürde immer ein lautloses parlamentarisches Leben ge¬ ehrt. Das einzige Mal, wo er seine Stimme im Reichstage zu Wien ertönen ließ, war im vorigen Sommer bei der Debatte über die Znrückl'crnfnng des nach Insbruck geflüchteten Kaisers Ferdinand. Der Monarch hatte den wiederholten Bitten der Wiener, in die Hauptstadt zurückzukehren, kein Gehör gegeben, und die Herren von der Linken beantragten demzufolge, „die hohe Kammer möge be¬ schließen , den Kaiser aufzufordern, seiner Pflicht nachzukommen, jedem Rufe der Volksvertreter zu folgen." So ungefähr war der Sinn jenes Antrags; ich citire "»S dem Gedächtniß und kann mich des Wortlauts nicht genau mehr entsinnen. Stadion erhob sich dagegen und suchte nachzuweisen, daß der Reichstag den Kai¬ ser wohl um etwas bitten, aber zu Nichts auffordern könne. Der Graf ge¬ bieth aber dabei so in's Stottern und brachte seine Ansicht in so wunderlicher Wortstellung zum Vorschein, daß jene Rede, weniger ihres Gehalts als ihrer Ge¬ stalt wegen, dem Reichstage in unvertilgbaren Andenken geblieben ist. In Kremsicr speißten die Herren von der Ministerbank und ein großer Theil ^r Deputaten im Saale des erzbischöflichen Palastes. Während des Diners wurden bei den überhäuften Beschäftigungen der Staatslenker auch eben einge¬ laufene Papiere durchlesen, Leute zum Gespräch zugelassen .'c. Von einer solchen Tischscene entsinne ich mich genan, daß, während ich mit einem andern Minister sprach, dem Grafen Stadion ein paar Hofräthe oder ähnlich betitelte Menschen ""gekündigt wurden. „Was!" — rief der Gras, den Namen des Einen wieder¬ holend — „ist der alte Zopf auch hier; na, der kann warten! und X., dieser Stockreaktionär? der kommt gerade an den Rechten, wenn er sich an mich wendet! Diese Leute" — fuhr er fort, sich zum Fürsten Schwarzenberg wendend — „diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/221>, abgerufen am 15.01.2025.