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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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schwachen zarten Händen das Material dazu herbeigeführt, und jetzt! -- es liegt
ein großes Weh' darin, sich in einer Menschenseele getäuscht zu haben, gilt
das Verkennen einem Volke, dann muß der Schmerz noch bittrer sein.

Wie gesagt, der Fürst stand vor dem Ofner. Schlosse. So weit sein Auge
reichte, war das Laud gewonnen. Aber er dachte nicht, daß der Horizont seiner
Siege ein scheinbarer sei, daß dort in weiter Ferne, wo der Himmel den Boden
abzuschließen scheint, daß hinter dieser Grenze gegen Osten erst die Welt seiner
Feinde lag. Von Pesth bis an die Theiß und von hier weiter bis Debreczin und
Großwarbein dehnte sich das ungarische Haideland, von wenig Hügeln und vielen
Sümpfen unterbrochen. Der Pesther Kaufmann, der seine Waaren nach Debreczin
zu Markte bringt, spricht immer mit geheimen Schauern von diesen Wegen, ans
welchen er seinen eigenen Wagen viel öfter tragen muß, als dieser ihn, wo nach
kurzem Regenwetter das leichte ungarische Roß bis über den Huf versinkt, und
Moorboden, Sumpf und Sand mit einander wetteifern, die Straße unwegsam
zu machen. Hinter diesen ebenen Mauern hatte sich das Parlament von Pesth
zurückgezogen.

In Wien verkündete mittlerweile eine Reihe Bulletins die Siege ohne Kampf
in so undeutscher Sprache, daß mau versucht war zu glauben, der Fürst und sein
Generalstab magyarisiren sich vorsätzlich, um die Sympathien der Ungarn zu gewinnen.
Daß er Alles that, nnr nicht dieses, das war sein erster Fehler, dem wir die
spätern ungünstigen Erfolge großentheils zuzuschreiben geneigt sind. Zum Bom¬
bardiren gab'S nun einmal nichts, und so reizend auch Pesth von der Natur dazu
geschaffen scheint -- wie manche Nase für einen Nasenstüber -- es wollte sich
dnrckauö keine schickliche Gelegenheit dazu finden. So wurden denn blos einige
Todesurtheile und ein Dutzend armseliger Kerkerstrafeu dictirt, mehrere Offiziere,
welche zur kaiserliche" Fahne zurückkehrten, wurden cassirt mit oder ohne Jnsamie-
erklärnug, mehrere Städte und verschiedene Judengemeinden mußten Strafgelder
zahlen -- auf solche Weise wollte der Fürst das Land pacificiren und die abtrün¬
nigen Regimenter zur kaiserlichen Fahne zurückbringen! --

Von vielen Seiten wird es jetzt dem Feldherrn zum Vorwurf gemacht, daß
er nicht unmittelbar nach der Besetzung der Hauptstadt gegen die Theiß vorrückte
und bis Debreczin vorzudringen suchte, um den Feind mit einem Schlage zu
vernichten. Diejenigen, welche so sprechen, haben Ungarn aus der Landkarte bereist,
und die Wege vou Wien uach Pesth und vou dort nach Debreczin mit dem Finger
bemessen, wo sich der Meilenunterschied freilich als ziemlich äquivalent herausstellt.
War aber der Spaziergang bis Pesth und mehr ist es kaum zu nennen
in der strengen Winterkälte schon sehr beschwerlich, so war ein Marsch nach De¬
breczin beinahe eine Unmöglichkeit. Ein warmer Sonnenblick hätte eines Mittags
die ganze Armee in einem unabsehbaren halb aufgcthauten Sumpfe finden können,
aus dein die Pferdeköpfe wie Froschgiganten herausgeschaut hätten, was für eine


schwachen zarten Händen das Material dazu herbeigeführt, und jetzt! — es liegt
ein großes Weh' darin, sich in einer Menschenseele getäuscht zu haben, gilt
das Verkennen einem Volke, dann muß der Schmerz noch bittrer sein.

Wie gesagt, der Fürst stand vor dem Ofner. Schlosse. So weit sein Auge
reichte, war das Laud gewonnen. Aber er dachte nicht, daß der Horizont seiner
Siege ein scheinbarer sei, daß dort in weiter Ferne, wo der Himmel den Boden
abzuschließen scheint, daß hinter dieser Grenze gegen Osten erst die Welt seiner
Feinde lag. Von Pesth bis an die Theiß und von hier weiter bis Debreczin und
Großwarbein dehnte sich das ungarische Haideland, von wenig Hügeln und vielen
Sümpfen unterbrochen. Der Pesther Kaufmann, der seine Waaren nach Debreczin
zu Markte bringt, spricht immer mit geheimen Schauern von diesen Wegen, ans
welchen er seinen eigenen Wagen viel öfter tragen muß, als dieser ihn, wo nach
kurzem Regenwetter das leichte ungarische Roß bis über den Huf versinkt, und
Moorboden, Sumpf und Sand mit einander wetteifern, die Straße unwegsam
zu machen. Hinter diesen ebenen Mauern hatte sich das Parlament von Pesth
zurückgezogen.

In Wien verkündete mittlerweile eine Reihe Bulletins die Siege ohne Kampf
in so undeutscher Sprache, daß mau versucht war zu glauben, der Fürst und sein
Generalstab magyarisiren sich vorsätzlich, um die Sympathien der Ungarn zu gewinnen.
Daß er Alles that, nnr nicht dieses, das war sein erster Fehler, dem wir die
spätern ungünstigen Erfolge großentheils zuzuschreiben geneigt sind. Zum Bom¬
bardiren gab'S nun einmal nichts, und so reizend auch Pesth von der Natur dazu
geschaffen scheint — wie manche Nase für einen Nasenstüber — es wollte sich
dnrckauö keine schickliche Gelegenheit dazu finden. So wurden denn blos einige
Todesurtheile und ein Dutzend armseliger Kerkerstrafeu dictirt, mehrere Offiziere,
welche zur kaiserliche» Fahne zurückkehrten, wurden cassirt mit oder ohne Jnsamie-
erklärnug, mehrere Städte und verschiedene Judengemeinden mußten Strafgelder
zahlen — auf solche Weise wollte der Fürst das Land pacificiren und die abtrün¬
nigen Regimenter zur kaiserlichen Fahne zurückbringen! —

Von vielen Seiten wird es jetzt dem Feldherrn zum Vorwurf gemacht, daß
er nicht unmittelbar nach der Besetzung der Hauptstadt gegen die Theiß vorrückte
und bis Debreczin vorzudringen suchte, um den Feind mit einem Schlage zu
vernichten. Diejenigen, welche so sprechen, haben Ungarn aus der Landkarte bereist,
und die Wege vou Wien uach Pesth und vou dort nach Debreczin mit dem Finger
bemessen, wo sich der Meilenunterschied freilich als ziemlich äquivalent herausstellt.
War aber der Spaziergang bis Pesth und mehr ist es kaum zu nennen
in der strengen Winterkälte schon sehr beschwerlich, so war ein Marsch nach De¬
breczin beinahe eine Unmöglichkeit. Ein warmer Sonnenblick hätte eines Mittags
die ganze Armee in einem unabsehbaren halb aufgcthauten Sumpfe finden können,
aus dein die Pferdeköpfe wie Froschgiganten herausgeschaut hätten, was für eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/202>, abgerufen am 23.01.2025.