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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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nur die vorübergehende Gefahr des Augenblickes; eigentlich sind sie gegen einander
ebenso feindlich gesinnt, als gegen die Anhänger des neuen Deutschland.

Der Sieg der königlichen Partei kann ans gesetzlichem Wege nicht erfolgen,
denn sie hat dazu keine Organe; er kann nur ein Sieg der Gewalt sein, der eine
neue, schlimmere Gewalt hervorruft. Der Sieg der Krone ist entweder das erste
System der beginnenden Fäulniß, unsers Ausscheidens aus der Reihe der Cultur-
Völker oder er ist der Vorbote einer neuen, blutigen Revolution.

Der Sieg des Parlaments dagegen bringt in allen Staaten, wie im Reich,
wenn er sich auch dem Anschein nach ans eine weitergehende Fraction stützen sollte,
diejenige Partei ans Ruder, welche allein im Stande ist, Deutschlands Ehre auf¬
recht zu halten. Er kann auf ganz gesetzlichem, organischem Wege erfolgen, denn
das deutsche Parlament stützt sich überall auf die Parlamente der einzelnen Staaten.
Hat man den Muth, dieselben aufzulösen, so sind die Folgen einer neuen Wahl
leicht zu berechnen; den Muth aber, die Constitution noch einmal gewaltsam auf¬
zuheben, hat mau nicht, denn man hat -- freilich nicht ans Bewußtsein, aber
wohl das instinclartige Gefühl, daß man sich dadurch außerhalb des Gesetzes stel¬
len würde. Die Furckt vor einer deutschen Octroyirung ist wunderlich; was will
man denn octroyiren? Wo auf der einen Seite eine vollkommene Uebereinstim¬
mung, auf der andern die vollständigste Rathlosigkeit herrscht?

Für die 30 Staaten, welche die Verfassung anerkannt haben, hat dieselbe
Rechtsgiltigkeit. Sobald Preußen länger zögert, wird zuerst Würtemberg und
Sachsen, dann Baiern und wahrscheinlich Hannover ihm zuvorkommen. Das Par¬
lament wird sich für permanent erklären, bis der neue Reichstag zusammenkommt,
und in dieser Zeit werden die jetzigen Machthaber begriffen haben, daß ihre Zelt
vorüber ist, und daß sie Männern Platz machen müssen, die der Krone verstän¬
digeren Rath ertheilen. Das Parlament wird dann vielleicht die Mäßigung ha¬
ben, ans seine frühere Wahl zurückzukommen.

Diese Hoffnungen können scheitern, aber wie die Sache liegt, muß man si^
auf alle Gefahr hin erklären. Ans Seite des Particularismus ist jetzt nichts, als
die äußerliche, zufällige Gewalt; die alte Zeit in der Fülle ihrer entwicklungsun¬
fähigen Verwirrung. Ans der Seite des Parlaments ist alle Lebenskraft, ist die
einzige Möglichkeit der gesetzlichen Freiheit. Uns ist die Krone nur das Symbol
einer kräftigen, unerschütterlichen Staatseinheit und insofern bleiben wir monar-
chisch, auch wenn wir gegen die Krone sind. Die zufällige Stimmung einer ^u-
dividualität darf nicht mehr über das Schicksal einer Nation entscheiden. In
sem Conflict also stehn wir zu der Partei, welcher die Zukunft der Nation l"
sich trägt, wir stehn zum Parlament. -




Verlag von F. L. Hcrbig. -- Redacteure: Gustav Freytag und Julia" Schmidt"
Druck von Frie brich Andrä.

nur die vorübergehende Gefahr des Augenblickes; eigentlich sind sie gegen einander
ebenso feindlich gesinnt, als gegen die Anhänger des neuen Deutschland.

Der Sieg der königlichen Partei kann ans gesetzlichem Wege nicht erfolgen,
denn sie hat dazu keine Organe; er kann nur ein Sieg der Gewalt sein, der eine
neue, schlimmere Gewalt hervorruft. Der Sieg der Krone ist entweder das erste
System der beginnenden Fäulniß, unsers Ausscheidens aus der Reihe der Cultur-
Völker oder er ist der Vorbote einer neuen, blutigen Revolution.

Der Sieg des Parlaments dagegen bringt in allen Staaten, wie im Reich,
wenn er sich auch dem Anschein nach ans eine weitergehende Fraction stützen sollte,
diejenige Partei ans Ruder, welche allein im Stande ist, Deutschlands Ehre auf¬
recht zu halten. Er kann auf ganz gesetzlichem, organischem Wege erfolgen, denn
das deutsche Parlament stützt sich überall auf die Parlamente der einzelnen Staaten.
Hat man den Muth, dieselben aufzulösen, so sind die Folgen einer neuen Wahl
leicht zu berechnen; den Muth aber, die Constitution noch einmal gewaltsam auf¬
zuheben, hat mau nicht, denn man hat — freilich nicht ans Bewußtsein, aber
wohl das instinclartige Gefühl, daß man sich dadurch außerhalb des Gesetzes stel¬
len würde. Die Furckt vor einer deutschen Octroyirung ist wunderlich; was will
man denn octroyiren? Wo auf der einen Seite eine vollkommene Uebereinstim¬
mung, auf der andern die vollständigste Rathlosigkeit herrscht?

Für die 30 Staaten, welche die Verfassung anerkannt haben, hat dieselbe
Rechtsgiltigkeit. Sobald Preußen länger zögert, wird zuerst Würtemberg und
Sachsen, dann Baiern und wahrscheinlich Hannover ihm zuvorkommen. Das Par¬
lament wird sich für permanent erklären, bis der neue Reichstag zusammenkommt,
und in dieser Zeit werden die jetzigen Machthaber begriffen haben, daß ihre Zelt
vorüber ist, und daß sie Männern Platz machen müssen, die der Krone verstän¬
digeren Rath ertheilen. Das Parlament wird dann vielleicht die Mäßigung ha¬
ben, ans seine frühere Wahl zurückzukommen.

Diese Hoffnungen können scheitern, aber wie die Sache liegt, muß man si^
auf alle Gefahr hin erklären. Ans Seite des Particularismus ist jetzt nichts, als
die äußerliche, zufällige Gewalt; die alte Zeit in der Fülle ihrer entwicklungsun¬
fähigen Verwirrung. Ans der Seite des Parlaments ist alle Lebenskraft, ist die
einzige Möglichkeit der gesetzlichen Freiheit. Uns ist die Krone nur das Symbol
einer kräftigen, unerschütterlichen Staatseinheit und insofern bleiben wir monar-
chisch, auch wenn wir gegen die Krone sind. Die zufällige Stimmung einer ^u-
dividualität darf nicht mehr über das Schicksal einer Nation entscheiden. In
sem Conflict also stehn wir zu der Partei, welcher die Zukunft der Nation l»
sich trägt, wir stehn zum Parlament. -




Verlag von F. L. Hcrbig. — Redacteure: Gustav Freytag und Julia» Schmidt«
Druck von Frie brich Andrä.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/200>, abgerufen am 15.01.2025.