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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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im linken Centrum. Wie nun, wenn die preußische Regierung diese enteilte cor-
dialo, welche die Demokratie mit Oestreich verbrüdert, ihrerseits zur Wahrheit
macht? Mir scheint, die Liebe und Verehrung gegen den edlen Stamm der Oest¬
reicher und sein altehrwürdiges Kaiserhaus macht sich bei den preußischen Absolu-
tisten natürlicher, als bei Herrn Berg er und Konsorten. Wie nun, wenn Preußen,
in dem Bewußtsein, daß es sür sich selbst nichts erreichen kann, ernsthaft auf das
östreichische Project eingeht, bei dem es nach meiner Ueberzeugung immer noch
mehr seine Rechnung findet, als selbst bei dem Gagern'schen Kaiserproject! Wie
nun, wenn ans der Wiederherstellung der heiligen Allianz bitterer Ernst wird?
Wenn man sich die Schleswig-Holsteinsche Verwickelung durch eiuen raschen Frie¬
den vom Halse schafft, und dann seine gesammte Kraft nach Innen wendet? Eine
noch immer sehr mächtige Partei in Preußen arbeitet mit großer Ausdauer dar¬
auf hin.

Mir scheint, die demokratischen Politiker sind allzu schlau gewesen. Hätten
sie in der Paulskirche sür den Welcker'schen Antrag gestimmt, so war das für
Preußen eine große Verlockung, das Panier der Revolution zu ergreifen. Die
Kaiserkrone blendet zu sehr, als daß man nicht in einem solchen Moment das
Princip aus den Augen verlieren sollte.

Was den Gagern'schen Entwurf betrifft, so muß ich aufrichtig bekennen, daß
ich ihn nicht ganz verstehe; daß ich ihn noch weniger verstehe, seitdem Heinrich
v. Gagern in seiner letzten Rede unumwunden erklärt hat, der Schwerpunkt des
neuen Reichs müsse außerhalb Preußens fallen; daß ich zweifle, ob der größte
Theil der Partei sich klar gemacht hat, um was es sich eigentlich handelt. Wenn
Oestreich und Preußen gemeinsam dem neuen Bundesstaat beitreten, so war eS
natürlich, daß man Wien und Berlin in Frankfurt neutralistrte, wie es eigentlich,
wenn auch sehr unvollkommen, schon zur Zeit des alten Bundestages geschehen ist.
Um so mehr konnte mau derartige Gedanken hegen, da es im Anfang den An¬
schein hatte, als solle die in Frankfurt centralisirte deutsche Volkskraft den Nerv
der bisherigen Staatenbildungen in sich absorbiren. Seitdem sich aber Oestreich
zusammengeschlossen und diesem deutschen Mittelpunkt entzogen hat, verliert Frank¬
furt alles Gewicht. Das eigentlich deutsche Leben hat sich in Berlin krystalltsirt,
und wenn man auch damit unzufrieden ist, eine dreihundertjährige Geschichte wird
man nicht im Augenblick aufheben können. Der Enthusiasmus vereinigt zwar im
Rausch des Augenblicks das Widersprechende, aber über die Thatsachen hat er
keine Macht, und wenn man sich das Project der Erbkaiserlichen Partei analystrt,
so bleibt immer das Dilemma: entweder bleibt Preußen mit seiner Konstitution,
seinen Centralständen, seinem Negierungsmechanismus und seinen militärischen
Kräften innerhalb des Reiches bestehen, und dann lassen sich die seltsamsten Con¬
flicte zwischen den beiden Staatskörpern auf keine Weise vermeiden, die Negierung
ist theoretisch in Frankfurt, praktisch in Berlin, und das künftige Uebergewicht,


im linken Centrum. Wie nun, wenn die preußische Regierung diese enteilte cor-
dialo, welche die Demokratie mit Oestreich verbrüdert, ihrerseits zur Wahrheit
macht? Mir scheint, die Liebe und Verehrung gegen den edlen Stamm der Oest¬
reicher und sein altehrwürdiges Kaiserhaus macht sich bei den preußischen Absolu-
tisten natürlicher, als bei Herrn Berg er und Konsorten. Wie nun, wenn Preußen,
in dem Bewußtsein, daß es sür sich selbst nichts erreichen kann, ernsthaft auf das
östreichische Project eingeht, bei dem es nach meiner Ueberzeugung immer noch
mehr seine Rechnung findet, als selbst bei dem Gagern'schen Kaiserproject! Wie
nun, wenn ans der Wiederherstellung der heiligen Allianz bitterer Ernst wird?
Wenn man sich die Schleswig-Holsteinsche Verwickelung durch eiuen raschen Frie¬
den vom Halse schafft, und dann seine gesammte Kraft nach Innen wendet? Eine
noch immer sehr mächtige Partei in Preußen arbeitet mit großer Ausdauer dar¬
auf hin.

Mir scheint, die demokratischen Politiker sind allzu schlau gewesen. Hätten
sie in der Paulskirche sür den Welcker'schen Antrag gestimmt, so war das für
Preußen eine große Verlockung, das Panier der Revolution zu ergreifen. Die
Kaiserkrone blendet zu sehr, als daß man nicht in einem solchen Moment das
Princip aus den Augen verlieren sollte.

Was den Gagern'schen Entwurf betrifft, so muß ich aufrichtig bekennen, daß
ich ihn nicht ganz verstehe; daß ich ihn noch weniger verstehe, seitdem Heinrich
v. Gagern in seiner letzten Rede unumwunden erklärt hat, der Schwerpunkt des
neuen Reichs müsse außerhalb Preußens fallen; daß ich zweifle, ob der größte
Theil der Partei sich klar gemacht hat, um was es sich eigentlich handelt. Wenn
Oestreich und Preußen gemeinsam dem neuen Bundesstaat beitreten, so war eS
natürlich, daß man Wien und Berlin in Frankfurt neutralistrte, wie es eigentlich,
wenn auch sehr unvollkommen, schon zur Zeit des alten Bundestages geschehen ist.
Um so mehr konnte mau derartige Gedanken hegen, da es im Anfang den An¬
schein hatte, als solle die in Frankfurt centralisirte deutsche Volkskraft den Nerv
der bisherigen Staatenbildungen in sich absorbiren. Seitdem sich aber Oestreich
zusammengeschlossen und diesem deutschen Mittelpunkt entzogen hat, verliert Frank¬
furt alles Gewicht. Das eigentlich deutsche Leben hat sich in Berlin krystalltsirt,
und wenn man auch damit unzufrieden ist, eine dreihundertjährige Geschichte wird
man nicht im Augenblick aufheben können. Der Enthusiasmus vereinigt zwar im
Rausch des Augenblicks das Widersprechende, aber über die Thatsachen hat er
keine Macht, und wenn man sich das Project der Erbkaiserlichen Partei analystrt,
so bleibt immer das Dilemma: entweder bleibt Preußen mit seiner Konstitution,
seinen Centralständen, seinem Negierungsmechanismus und seinen militärischen
Kräften innerhalb des Reiches bestehen, und dann lassen sich die seltsamsten Con¬
flicte zwischen den beiden Staatskörpern auf keine Weise vermeiden, die Negierung
ist theoretisch in Frankfurt, praktisch in Berlin, und das künftige Uebergewicht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/20>, abgerufen am 15.01.2025.