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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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machen würde. In dieser Hoffnung sind wir getäuscht worden, getäuscht in der
ersten großen Frage, die seit den Novembertagen in Anregung gekommen ist, der
deutschen Frage. Und zwar bietet uns die Volksvertretung in keiner Weise ein
erfreulicheres Bild, als die Regierung.

Wenn Herr Camp Hansen, der Bruder des Ministers, einer von jenen
Männern, die man absolut verständig zu nennen pflegt, eine scharfsinnige Analyse
der gegenwärtigen Lage übernimmt, und zu dem Resultat kommt: "Annahme
ist sehr bedenklich, vielleicht verderblich. Nicht-Annahme ist auch sehr be¬
denklich, vielleicht verderblich; ich kann mich also für keines von bei¬
den entscheiden," und dann herunter geht von der Tribune mit der süßen
Ueberzeugung, zur Aufklärung der Sache etwas Wesentliches beigetragen zu haben,
so steht er in dieser politischen Neutralität auf dem Niveau der gesammten gegen¬
wärtigen Politik. Daß unter allen möglichen Entschlüssen derjenige, keinen Ent¬
schluß zu fassen, der verderblichste ist, das bedenkt der absolut verständige Mann
nicht. Aber macht es die Regierung anders? Ich erinnere nur an eiuen Fall,
wo die unmittelbare praktische Wichtigkeit einer schnellen Entscheidung am deutlich¬
sten in die Augen springt, den Krieg in Schleswig-Holstein. Das gegenwärtige
Cabinet hat kein Interesse an diesem Krieg, einmal aus dem höchst verständigen
Grunde, weil er keinen bestimmten Zweck hat, weil im günstigsten Ausgang der
Nutzen für den preußischen Staat ein sehr fraglicher ist, und weil die Mittel feh¬
len, ihn in der Ausdehnung zu führen, die allein für einen günstigen Erfolg
Bürgschaft sein darf. Der Krieg ist aber einmal da, und die Regierung hatte
nur die Wahl, entweder um jeden Preis Frieden zu schließen, oder wenn das
absolut unmöglich war, ihn auf alle Gefahr hin ernst zu nehmen. Sie thut aber
keines von beiden! heute beschließt sie, die Armee in Jütland einrücken zu lassen,
morgen, wenn ein mißbilligendes Schreiben aus Se. Petersburg ankommt, ruft
man sie wieder zurück. Man hat weder den Muth, der öffentlichen Meinung
durch einen Frieden ius Gesicht zu schlage", noch auf sie unbedingt zu vertrauen,
und sich allen Eventualitäten auszusetzen. Und so führt man, blos aus Mangel
an Entschluß, den Krieg auf eine Weise, daß er vielleicht Jahre lang sich fort-
ziehn und den deutschen Handel vollständig ruiniren kann. Wenn nun uuter die¬
sen Umständen Herr Camphausen in der Kammer seine Stimme abgebe" sollte, so
würde er wieder sagen, Krieg ist schlimm, Friede ist schlimm, ich bin für keines
von beiden.

Wenn man die jetzigen Minister ansieht, so fragt man sich, wie ist es mög¬
lich, daß von solchen Leuten eine immer doch kühne That ausgegangen ist? Die
Antwort ist einfach, aber traurig. Die Revolution siegte, weil das was ihr wi¬
derstand, hohl und haltlos war; die Contrerevolution siegte aus demselben Grunde.
Das alte Regiment sagte: nur ewige fremde Aufwiegler, Juden und Franzosen
lästern mein gutes Herz; mein gutes Volt betet mich noch immer an. Als es den


machen würde. In dieser Hoffnung sind wir getäuscht worden, getäuscht in der
ersten großen Frage, die seit den Novembertagen in Anregung gekommen ist, der
deutschen Frage. Und zwar bietet uns die Volksvertretung in keiner Weise ein
erfreulicheres Bild, als die Regierung.

Wenn Herr Camp Hansen, der Bruder des Ministers, einer von jenen
Männern, die man absolut verständig zu nennen pflegt, eine scharfsinnige Analyse
der gegenwärtigen Lage übernimmt, und zu dem Resultat kommt: „Annahme
ist sehr bedenklich, vielleicht verderblich. Nicht-Annahme ist auch sehr be¬
denklich, vielleicht verderblich; ich kann mich also für keines von bei¬
den entscheiden," und dann herunter geht von der Tribune mit der süßen
Ueberzeugung, zur Aufklärung der Sache etwas Wesentliches beigetragen zu haben,
so steht er in dieser politischen Neutralität auf dem Niveau der gesammten gegen¬
wärtigen Politik. Daß unter allen möglichen Entschlüssen derjenige, keinen Ent¬
schluß zu fassen, der verderblichste ist, das bedenkt der absolut verständige Mann
nicht. Aber macht es die Regierung anders? Ich erinnere nur an eiuen Fall,
wo die unmittelbare praktische Wichtigkeit einer schnellen Entscheidung am deutlich¬
sten in die Augen springt, den Krieg in Schleswig-Holstein. Das gegenwärtige
Cabinet hat kein Interesse an diesem Krieg, einmal aus dem höchst verständigen
Grunde, weil er keinen bestimmten Zweck hat, weil im günstigsten Ausgang der
Nutzen für den preußischen Staat ein sehr fraglicher ist, und weil die Mittel feh¬
len, ihn in der Ausdehnung zu führen, die allein für einen günstigen Erfolg
Bürgschaft sein darf. Der Krieg ist aber einmal da, und die Regierung hatte
nur die Wahl, entweder um jeden Preis Frieden zu schließen, oder wenn das
absolut unmöglich war, ihn auf alle Gefahr hin ernst zu nehmen. Sie thut aber
keines von beiden! heute beschließt sie, die Armee in Jütland einrücken zu lassen,
morgen, wenn ein mißbilligendes Schreiben aus Se. Petersburg ankommt, ruft
man sie wieder zurück. Man hat weder den Muth, der öffentlichen Meinung
durch einen Frieden ius Gesicht zu schlage«, noch auf sie unbedingt zu vertrauen,
und sich allen Eventualitäten auszusetzen. Und so führt man, blos aus Mangel
an Entschluß, den Krieg auf eine Weise, daß er vielleicht Jahre lang sich fort-
ziehn und den deutschen Handel vollständig ruiniren kann. Wenn nun uuter die¬
sen Umständen Herr Camphausen in der Kammer seine Stimme abgebe» sollte, so
würde er wieder sagen, Krieg ist schlimm, Friede ist schlimm, ich bin für keines
von beiden.

Wenn man die jetzigen Minister ansieht, so fragt man sich, wie ist es mög¬
lich, daß von solchen Leuten eine immer doch kühne That ausgegangen ist? Die
Antwort ist einfach, aber traurig. Die Revolution siegte, weil das was ihr wi¬
derstand, hohl und haltlos war; die Contrerevolution siegte aus demselben Grunde.
Das alte Regiment sagte: nur ewige fremde Aufwiegler, Juden und Franzosen
lästern mein gutes Herz; mein gutes Volt betet mich noch immer an. Als es den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/194>, abgerufen am 15.01.2025.