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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Seiner Statthalterschaft nach eigenem Wunsch enthoben, trat er als fast einziger
Repräsentant der höhern deutsch-östreichischen Aristokratie im ersten Reichstage zu
Wien auf.

Und hier spielte er allerdings eine Rolle, die eben so wenig staatömäuuisch
als ehrlich war und seinen vormärzlichen Ruhm in den Kreisen der Eingeweihten
vollständig verdunkelte. Ueberhaupt hatte es mit diesem Ruhme eine eigene Be-
wandtniß, und wir müssen uns, um den Schlüssel zu finden zur Lösung der
scheinbaren Widersprüche, welche sich in der politischen Laufbahn des Grafen offen¬
baren, einen Augenblick in die Vergangenheit und an den Ort zurück versetzen,
wo die Pflanzschule seines Ruhmes war.

Sie kennen das illyrische Küstenland, jene von der Adria umwogte, in das
Stadtgebiet von Trieft, den Görzer und den Jstrianer Kreis zerfallende, male¬
rische Provinz mit ihrer bunt zusammengewürfelten Bevölkerung von Slovenen,
Walachen, Saprinen, Morlacheu, Italienern, Deutschen, von Ueberbleibseln rö¬
mischer Kolonisten, geflüchteten Kandiern, italienistrten Kelten und Slovenen, an¬
gesiedelten Venetianern und Kowuiern, und wie die Volksstämme alle heißen
mögen, welche den Meeressaum von Duiuo bis Muggia und das Länderdreieck
von Jstrien zustimmt den quarnerschen Inseln bewohnen.

Dieses war die Provinz, welche Graf Stadion zu verwalten hatte, eine
Provinz, die sich ihrer Lage, so wie der Mannigfaltigkeit und Culturstufe ihrer
Bevölkerung nach, passend mit dem, vom schwarzen Meer umspülten, südrussischen
Küstenlande, dessen Hauptstadt Odessa ist, vergleichen läßt.

Ich sichre diesen Vergleich mit Vorbedacht an, da mir derselbe wesentlich
geeignet scheint, das Verständniß der hier zu entwerfenden Skizze zu erleichtern.
Wie in dem despotischen Rußland der zu Odessa refidirende Gouverneur, Gras
Woronzow, als der freisinnigste Mann gepriesen wurde, weil er deu Bewohnern
jener reichen Handelsstadt eine Menge Freiheiten gewährte, welche der Bevölke¬
rung des Binnenlandes versagt blieben: so wurde auch in dem despotischen
Oestreich, der zu Trieft refidirende Gouverneur, Graf Stadion, als der freisin¬
nigste Mann gepriesen, weil er den Einwohnern dieser reichen Handelsstadt eine
Menge Freiheiten gewährte, deren sich die übrige Bevölkerung Oestreichs nicht zu
erfreuen hatte.

Diese beiden gleichen Erscheinungen entspringen aus vollkommen gleichen
Ursachen.

In Trieft wie in Odessa herrscht ein so großer Wohlstand, daß Proletarier
dort zu den seltensten Erscheinungen gehören. Jeder Besitzende aber ist seiner
Natur "ach conservativ, und ganz besonders sind dies die meistens eingewanderten
Bewohner jener beiden Städte, welche sich an den Küsten der Adria und des
schwarzen Meeres niedergelassen haben, -- nicht um Revolution zu machen, son¬
dern um die dort reichlich strömenden Erwerbsquellen nach Kräften auszubeuten.


Seiner Statthalterschaft nach eigenem Wunsch enthoben, trat er als fast einziger
Repräsentant der höhern deutsch-östreichischen Aristokratie im ersten Reichstage zu
Wien auf.

Und hier spielte er allerdings eine Rolle, die eben so wenig staatömäuuisch
als ehrlich war und seinen vormärzlichen Ruhm in den Kreisen der Eingeweihten
vollständig verdunkelte. Ueberhaupt hatte es mit diesem Ruhme eine eigene Be-
wandtniß, und wir müssen uns, um den Schlüssel zu finden zur Lösung der
scheinbaren Widersprüche, welche sich in der politischen Laufbahn des Grafen offen¬
baren, einen Augenblick in die Vergangenheit und an den Ort zurück versetzen,
wo die Pflanzschule seines Ruhmes war.

Sie kennen das illyrische Küstenland, jene von der Adria umwogte, in das
Stadtgebiet von Trieft, den Görzer und den Jstrianer Kreis zerfallende, male¬
rische Provinz mit ihrer bunt zusammengewürfelten Bevölkerung von Slovenen,
Walachen, Saprinen, Morlacheu, Italienern, Deutschen, von Ueberbleibseln rö¬
mischer Kolonisten, geflüchteten Kandiern, italienistrten Kelten und Slovenen, an¬
gesiedelten Venetianern und Kowuiern, und wie die Volksstämme alle heißen
mögen, welche den Meeressaum von Duiuo bis Muggia und das Länderdreieck
von Jstrien zustimmt den quarnerschen Inseln bewohnen.

Dieses war die Provinz, welche Graf Stadion zu verwalten hatte, eine
Provinz, die sich ihrer Lage, so wie der Mannigfaltigkeit und Culturstufe ihrer
Bevölkerung nach, passend mit dem, vom schwarzen Meer umspülten, südrussischen
Küstenlande, dessen Hauptstadt Odessa ist, vergleichen läßt.

Ich sichre diesen Vergleich mit Vorbedacht an, da mir derselbe wesentlich
geeignet scheint, das Verständniß der hier zu entwerfenden Skizze zu erleichtern.
Wie in dem despotischen Rußland der zu Odessa refidirende Gouverneur, Gras
Woronzow, als der freisinnigste Mann gepriesen wurde, weil er deu Bewohnern
jener reichen Handelsstadt eine Menge Freiheiten gewährte, welche der Bevölke¬
rung des Binnenlandes versagt blieben: so wurde auch in dem despotischen
Oestreich, der zu Trieft refidirende Gouverneur, Graf Stadion, als der freisin¬
nigste Mann gepriesen, weil er den Einwohnern dieser reichen Handelsstadt eine
Menge Freiheiten gewährte, deren sich die übrige Bevölkerung Oestreichs nicht zu
erfreuen hatte.

Diese beiden gleichen Erscheinungen entspringen aus vollkommen gleichen
Ursachen.

In Trieft wie in Odessa herrscht ein so großer Wohlstand, daß Proletarier
dort zu den seltensten Erscheinungen gehören. Jeder Besitzende aber ist seiner
Natur «ach conservativ, und ganz besonders sind dies die meistens eingewanderten
Bewohner jener beiden Städte, welche sich an den Küsten der Adria und des
schwarzen Meeres niedergelassen haben, — nicht um Revolution zu machen, son¬
dern um die dort reichlich strömenden Erwerbsquellen nach Kräften auszubeuten.


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[0162] Seiner Statthalterschaft nach eigenem Wunsch enthoben, trat er als fast einziger Repräsentant der höhern deutsch-östreichischen Aristokratie im ersten Reichstage zu Wien auf. Und hier spielte er allerdings eine Rolle, die eben so wenig staatömäuuisch als ehrlich war und seinen vormärzlichen Ruhm in den Kreisen der Eingeweihten vollständig verdunkelte. Ueberhaupt hatte es mit diesem Ruhme eine eigene Be- wandtniß, und wir müssen uns, um den Schlüssel zu finden zur Lösung der scheinbaren Widersprüche, welche sich in der politischen Laufbahn des Grafen offen¬ baren, einen Augenblick in die Vergangenheit und an den Ort zurück versetzen, wo die Pflanzschule seines Ruhmes war. Sie kennen das illyrische Küstenland, jene von der Adria umwogte, in das Stadtgebiet von Trieft, den Görzer und den Jstrianer Kreis zerfallende, male¬ rische Provinz mit ihrer bunt zusammengewürfelten Bevölkerung von Slovenen, Walachen, Saprinen, Morlacheu, Italienern, Deutschen, von Ueberbleibseln rö¬ mischer Kolonisten, geflüchteten Kandiern, italienistrten Kelten und Slovenen, an¬ gesiedelten Venetianern und Kowuiern, und wie die Volksstämme alle heißen mögen, welche den Meeressaum von Duiuo bis Muggia und das Länderdreieck von Jstrien zustimmt den quarnerschen Inseln bewohnen. Dieses war die Provinz, welche Graf Stadion zu verwalten hatte, eine Provinz, die sich ihrer Lage, so wie der Mannigfaltigkeit und Culturstufe ihrer Bevölkerung nach, passend mit dem, vom schwarzen Meer umspülten, südrussischen Küstenlande, dessen Hauptstadt Odessa ist, vergleichen läßt. Ich sichre diesen Vergleich mit Vorbedacht an, da mir derselbe wesentlich geeignet scheint, das Verständniß der hier zu entwerfenden Skizze zu erleichtern. Wie in dem despotischen Rußland der zu Odessa refidirende Gouverneur, Gras Woronzow, als der freisinnigste Mann gepriesen wurde, weil er deu Bewohnern jener reichen Handelsstadt eine Menge Freiheiten gewährte, welche der Bevölke¬ rung des Binnenlandes versagt blieben: so wurde auch in dem despotischen Oestreich, der zu Trieft refidirende Gouverneur, Graf Stadion, als der freisin¬ nigste Mann gepriesen, weil er den Einwohnern dieser reichen Handelsstadt eine Menge Freiheiten gewährte, deren sich die übrige Bevölkerung Oestreichs nicht zu erfreuen hatte. Diese beiden gleichen Erscheinungen entspringen aus vollkommen gleichen Ursachen. In Trieft wie in Odessa herrscht ein so großer Wohlstand, daß Proletarier dort zu den seltensten Erscheinungen gehören. Jeder Besitzende aber ist seiner Natur «ach conservativ, und ganz besonders sind dies die meistens eingewanderten Bewohner jener beiden Städte, welche sich an den Küsten der Adria und des schwarzen Meeres niedergelassen haben, — nicht um Revolution zu machen, son¬ dern um die dort reichlich strömenden Erwerbsquellen nach Kräften auszubeuten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/162>, abgerufen am 15.01.2025.