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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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wüchsigen und der menschlich geordneten Aeußerung der Volksstimme ist hier so
evident, daß man sie nur durch die gedankenlose Geltung fertiger Phrasen erklären
kann. Barrikaden brauchen freilich von der Negierung nicht octroyirt zu werden,
aber sie sind auch eben so unproductiv als naturwüchsig; man möge sie durch
übereinandergeworfene Omnibusse, durch Schulbänke und Quadersteine über die
Häuser hinaus aufthürmen, so hoch als den Thurm zu Babel, es wird doch nimmer¬
mehr ein Gebäude daraus, in welchem der Staat sich wohnlich einrichten läßt.
Aber das Wahlrecht muß octroyirt werden von der bestehenden Gewalt; denn
die Bestimmung, wer zu den Urwählern gehört (z. B. ob nur die Säuglinge oder
ob auch reifere Lebensalter davon ausgeschlossen sein sollen); wie die Wahl statt¬
finden soll, wie viele Urwähler einen Deputirten stellen und was dieser Deputirte
der bestehenden Gewalt gegenüber sür ein Recht hat -- diese Bestimmungen sprie¬
ßen nicht naturwüchsig aus den Straßen auf, wie die Barrikaden, sondern sie
können nur durch den leitenden Verstand gegeben werden, der die Gesammtver-
hältnisse übersieht. Sie vom Bolle herzuleiten, setzt die politische Ordnung, die
erst dnrch sie geschaffen werden soll, bereits als bestehend voraus. Es ist möglich,
daß im Lauf der Ereignisse der ans diese Weise octroyirte Staatskörper durch
einen Vertrag mit der bestehenden Gewalt (ein Vertrag schließt einen vorhergehen¬
den Streit nicht aus) seine Befugnisse erweitert; der Ausgang derselben ist aber
die ihm von den Danaern verliehene, octroyirte, geschenkte Berechtigung.

Eine Revolution hat nur dann einen relativ verständigen Verlauf, wenn sie
von bereits bestehenden Parteien ausgebeutet wird. So die Julirevolution von
den Orleanisten, die Februarrevolution von den socialistischen geheimen Gesell¬
schaften, aber das ist nicht von Dauer. In dem bureaukratischen Staatsmecha¬
nismus Frankreichs ist das überhaupt eher möglich, als bei uns, wo selbst in
der Bureaukratie eine gewisse Selbstständigkeit herrscht. Unsere Demokraten pochen
darauf, daß die Ereignisse vom 17. und 18. März sich ganz von selbst machten,
ohne irgend einen Plan oder Zweck; sie thun sich ans die Naturwüchsigkeit ihrer
Revolutionen etwas zu Gute. Um so schlimmer! deun um so weniger Verstand
war darin. Gerade die merkwürdige Wendung unserer Tage sollte sie belehren,
sich einer Kraft uicht blindlings anzuvertrauen, die man weder in ihrer Extension,
noch in ihrer Richtung im Voraus berechnen kann. Vis consill vxpoi-8 moko i-uit
suit; zu deutsch: Das Volk wird durch seine eigene Souveränität ruinirt.

Mit dieser ganzen Deduction werden wir, so sehr sie im Resultat überein¬
stimmt, der Stahl'schen Doctrin nicht weniger ketzerisch erscheinen, als selbst die
Demokraten. Denn was ist die Idee der Volkssouveränität in ihrem ersten Ur¬
sprung anders, als ein Protest gegen die frechste Usurpation der neuern Zeit, den
Gedanken des fürstliche" Absolutismus? Wenn uns jene Schule zur Zeit des
I'6eg,t e'ost um zurückzuführen strebt, so müssen wir diese Souveränität, die sich
zu Zeiten in den Strickbeutel einer Pompadour versteckt oder unter den Pantoffel


wüchsigen und der menschlich geordneten Aeußerung der Volksstimme ist hier so
evident, daß man sie nur durch die gedankenlose Geltung fertiger Phrasen erklären
kann. Barrikaden brauchen freilich von der Negierung nicht octroyirt zu werden,
aber sie sind auch eben so unproductiv als naturwüchsig; man möge sie durch
übereinandergeworfene Omnibusse, durch Schulbänke und Quadersteine über die
Häuser hinaus aufthürmen, so hoch als den Thurm zu Babel, es wird doch nimmer¬
mehr ein Gebäude daraus, in welchem der Staat sich wohnlich einrichten läßt.
Aber das Wahlrecht muß octroyirt werden von der bestehenden Gewalt; denn
die Bestimmung, wer zu den Urwählern gehört (z. B. ob nur die Säuglinge oder
ob auch reifere Lebensalter davon ausgeschlossen sein sollen); wie die Wahl statt¬
finden soll, wie viele Urwähler einen Deputirten stellen und was dieser Deputirte
der bestehenden Gewalt gegenüber sür ein Recht hat — diese Bestimmungen sprie¬
ßen nicht naturwüchsig aus den Straßen auf, wie die Barrikaden, sondern sie
können nur durch den leitenden Verstand gegeben werden, der die Gesammtver-
hältnisse übersieht. Sie vom Bolle herzuleiten, setzt die politische Ordnung, die
erst dnrch sie geschaffen werden soll, bereits als bestehend voraus. Es ist möglich,
daß im Lauf der Ereignisse der ans diese Weise octroyirte Staatskörper durch
einen Vertrag mit der bestehenden Gewalt (ein Vertrag schließt einen vorhergehen¬
den Streit nicht aus) seine Befugnisse erweitert; der Ausgang derselben ist aber
die ihm von den Danaern verliehene, octroyirte, geschenkte Berechtigung.

Eine Revolution hat nur dann einen relativ verständigen Verlauf, wenn sie
von bereits bestehenden Parteien ausgebeutet wird. So die Julirevolution von
den Orleanisten, die Februarrevolution von den socialistischen geheimen Gesell¬
schaften, aber das ist nicht von Dauer. In dem bureaukratischen Staatsmecha¬
nismus Frankreichs ist das überhaupt eher möglich, als bei uns, wo selbst in
der Bureaukratie eine gewisse Selbstständigkeit herrscht. Unsere Demokraten pochen
darauf, daß die Ereignisse vom 17. und 18. März sich ganz von selbst machten,
ohne irgend einen Plan oder Zweck; sie thun sich ans die Naturwüchsigkeit ihrer
Revolutionen etwas zu Gute. Um so schlimmer! deun um so weniger Verstand
war darin. Gerade die merkwürdige Wendung unserer Tage sollte sie belehren,
sich einer Kraft uicht blindlings anzuvertrauen, die man weder in ihrer Extension,
noch in ihrer Richtung im Voraus berechnen kann. Vis consill vxpoi-8 moko i-uit
suit; zu deutsch: Das Volk wird durch seine eigene Souveränität ruinirt.

Mit dieser ganzen Deduction werden wir, so sehr sie im Resultat überein¬
stimmt, der Stahl'schen Doctrin nicht weniger ketzerisch erscheinen, als selbst die
Demokraten. Denn was ist die Idee der Volkssouveränität in ihrem ersten Ur¬
sprung anders, als ein Protest gegen die frechste Usurpation der neuern Zeit, den
Gedanken des fürstliche» Absolutismus? Wenn uns jene Schule zur Zeit des
I'6eg,t e'ost um zurückzuführen strebt, so müssen wir diese Souveränität, die sich
zu Zeiten in den Strickbeutel einer Pompadour versteckt oder unter den Pantoffel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/16>, abgerufen am 15.01.2025.