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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Das Repertoir der Oper ist reichhaltig genug und im Ganzen gewählt. Im
Lauf von etwa drei Wochen sah ich den Don Juan, Zauberflöte (wie mag es
kommen, daß gerade in unsern Tagen dieses wunderliche Machwerk wieder mit
so großem Eifer von allen Seiten in Scene gesetzt wird?), Cherubini'ö Wasser¬
träger, Oberon, Mcirtha und eine neue Oper von Nicolai, die lustigen Weil'er
von Windsor, ziemlich getreu nach dem Shakespear'schen Lustspiel arrangirt. Diese
Komödie trägt mehr als eine andere von Shakespeare den altenglischen Charakter:
eine willkürlich aneinandergereihte Handlung, die eigentlich aus einer Reihe von
Episoden besteht, mit sehr detaillirter und genrehafter Ausführung der einzelnen
Figuren. So- viel man über das Einzelne lachen muß, als Ganzes ist sie lang¬
weilig. In der Oper ist diese Willkür und Zusammenhanglvsigkeit geradezu un¬
erträglich, und der Versuch, den halb französischen Jargon des Doctor Cajus,
sowie die albernen Einfälle des Junker Schmächtig in Musik zu setzen, eine wahre
Monstrosität. Zuletzt läuft es dann auf ein Ballet hinaus, einen nicht blos nach¬
geäfften, sondern wirklichen Feentanz mit obligaten Gnomen in der "mondbe-
glänzten Zaubernacht," welche aus den Wily's entlehnt ist. Von der Musik ver¬
sichern Kenner, daß sie untadelhaft sei, jedenfalls ist sie übermäßig ermüdend.

Ich komme auf die Creme des Berliner Theaters, das Ballet. Hat es anch
seit 1840 viel von seinem Glänze verloren, so lockt es doch noch immer die Di¬
plomaten zahlreich in ihre Prosceniumslogen, und ein auserwähltes Publikum,
dem man es ansteht, daß es an Jmme-^out gewöhnt ist. Gerade als ich nach
Berlin kam, trat Fräulein Marie Taglioni, der Liebling des Berliner Tcmzvcr-
ständigen, zum letzten Male ans in "Thca oder die Binnensee." Seitdem hat
Fräulein Lucile Grcchn, königl. Großbritannische Hoftäuzerin, die Sie schon von
^'pzig her kennen, in einer Reihe von Gastrollen figurirt. Sie hat bei Weitem
nicht den Enthusiasmus erregt, den Fanny Cerrito durch ihre kühnen Bcinschwen-
kungen hervorzulocken wußte; Fanny wurde durch ein beständiges, halb wahn¬
sinniges Beifallsklatschen getragen, bei Lucile erfolgt der Applaus erst, wenn sie
^ der schicklichen Tänzerstellnng auf den Zehen vor das Orchester tritt und einen
sägenden Blick ins Publikum wirst: Nun, was sagt ihr dazu? Es ist zum Theil
^uceizz ^'o8tuo. Dieser Unterschied liegt in den Persönlichkeiten. Fanny war
°in rundes, behaglich freundliches Figürchen, man wollte ihr wohl und konnte
über ihre wunderlichen Sprünge herzlich lachen; wenn aber eine sehr große, schlanke,
fast hagere Dame, mit einem Gesicht, das eher geistreich aussieht als reizend,
^es in zwecklosen, unmotivirten Bewegungen auf der Bühne ergeht, so will einem
^s nicht in den Kopf, es ist keine Methode darin.

Erlauben Sie mir bei dieser Gelegenheit, in Beziehung auf das Ballet über¬
haupt zu reden und meine Seele zu retten. Ich halte es nicht sür schön, wenn
"'an sich auf die Zehen stellt und die Fersen nach inwärts dreht. Wenn eil,
Tänzer sich 20 -- 30 Mal schnurrend um seine eigne Achse dreht, so kommt mir


V"nzbot-n. II. is-i".

Das Repertoir der Oper ist reichhaltig genug und im Ganzen gewählt. Im
Lauf von etwa drei Wochen sah ich den Don Juan, Zauberflöte (wie mag es
kommen, daß gerade in unsern Tagen dieses wunderliche Machwerk wieder mit
so großem Eifer von allen Seiten in Scene gesetzt wird?), Cherubini'ö Wasser¬
träger, Oberon, Mcirtha und eine neue Oper von Nicolai, die lustigen Weil'er
von Windsor, ziemlich getreu nach dem Shakespear'schen Lustspiel arrangirt. Diese
Komödie trägt mehr als eine andere von Shakespeare den altenglischen Charakter:
eine willkürlich aneinandergereihte Handlung, die eigentlich aus einer Reihe von
Episoden besteht, mit sehr detaillirter und genrehafter Ausführung der einzelnen
Figuren. So- viel man über das Einzelne lachen muß, als Ganzes ist sie lang¬
weilig. In der Oper ist diese Willkür und Zusammenhanglvsigkeit geradezu un¬
erträglich, und der Versuch, den halb französischen Jargon des Doctor Cajus,
sowie die albernen Einfälle des Junker Schmächtig in Musik zu setzen, eine wahre
Monstrosität. Zuletzt läuft es dann auf ein Ballet hinaus, einen nicht blos nach¬
geäfften, sondern wirklichen Feentanz mit obligaten Gnomen in der „mondbe-
glänzten Zaubernacht," welche aus den Wily's entlehnt ist. Von der Musik ver¬
sichern Kenner, daß sie untadelhaft sei, jedenfalls ist sie übermäßig ermüdend.

Ich komme auf die Creme des Berliner Theaters, das Ballet. Hat es anch
seit 1840 viel von seinem Glänze verloren, so lockt es doch noch immer die Di¬
plomaten zahlreich in ihre Prosceniumslogen, und ein auserwähltes Publikum,
dem man es ansteht, daß es an Jmme-^out gewöhnt ist. Gerade als ich nach
Berlin kam, trat Fräulein Marie Taglioni, der Liebling des Berliner Tcmzvcr-
ständigen, zum letzten Male ans in „Thca oder die Binnensee." Seitdem hat
Fräulein Lucile Grcchn, königl. Großbritannische Hoftäuzerin, die Sie schon von
^'pzig her kennen, in einer Reihe von Gastrollen figurirt. Sie hat bei Weitem
nicht den Enthusiasmus erregt, den Fanny Cerrito durch ihre kühnen Bcinschwen-
kungen hervorzulocken wußte; Fanny wurde durch ein beständiges, halb wahn¬
sinniges Beifallsklatschen getragen, bei Lucile erfolgt der Applaus erst, wenn sie
^ der schicklichen Tänzerstellnng auf den Zehen vor das Orchester tritt und einen
sägenden Blick ins Publikum wirst: Nun, was sagt ihr dazu? Es ist zum Theil
^uceizz ^'o8tuo. Dieser Unterschied liegt in den Persönlichkeiten. Fanny war
°in rundes, behaglich freundliches Figürchen, man wollte ihr wohl und konnte
über ihre wunderlichen Sprünge herzlich lachen; wenn aber eine sehr große, schlanke,
fast hagere Dame, mit einem Gesicht, das eher geistreich aussieht als reizend,
^es in zwecklosen, unmotivirten Bewegungen auf der Bühne ergeht, so will einem
^s nicht in den Kopf, es ist keine Methode darin.

Erlauben Sie mir bei dieser Gelegenheit, in Beziehung auf das Ballet über¬
haupt zu reden und meine Seele zu retten. Ich halte es nicht sür schön, wenn
"'an sich auf die Zehen stellt und die Fersen nach inwärts dreht. Wenn eil,
Tänzer sich 20 — 30 Mal schnurrend um seine eigne Achse dreht, so kommt mir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/153>, abgerufen am 15.01.2025.