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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Schule, ist gar zu sehr von unserm Repertoir verschwunden und überhaupt ver¬
liert die komische Oper immer mehr ihren eigeutlichni Charakter freier Heiterkeit.
-- Die Seele der Oper ist Signora Fodor. Wenn ich Muße hätte, würde ich
mich hier in ein weitläufiges Entzücken verlieren. Eine Stimme, die zu den schön¬
sten gerechnet werden muß, die ich gehört habe, und die an reinem Wohllaut
eigentlich alle übertrifft, eine vollendete Gesangbildnng, ein ebenso feines als an-
muthiges Spiel, das sich zwar am freiesten in heitern Gestalten, wie Rosine, be¬
wegt, das aber auch einer Tigerkatze, wie der Priesterin Norma, vollkommen ge¬
recht wird. Neben ihr ist vor Allem zu nennen der Tenor Labocetta, eine
weiche, schöne Stimme von mäßiger Kraft, Rinaldini, der Figaro, Catalani,
der Dvttore, etwas grotesker, als es gerade nöthig wäre; der Heldentenor P a r-
dini und die beiden Damen Normanni (wie ich höre, eine geborne Engländerin)
und Dogliotti reichen gerade hin, um ein gutes Ensemble zu schaffen. -- Wenn
der Communismus siegt, wird Signora Fodor jedenfalls enthauptet werden. Man
hat früher über die Aristokratie der Geburt geklagt, jetzt gilt es mehr der Aristo¬
kratie des Geldes, die Conseqncntcn haben auch schon gegen die Aristokratie des
Verstandes Bußpredigten gehalten, aber auf die Aristokratie der Stimmen ist noch
Niemand gekommen, und doch ist sie eine der unerträglichsten. Wie viel Schwal¬
ben können auskommen mit dem Tonvorrath, den diese einzige Nachtigall leicht¬
sinnig verschwendet, statt ihn zu gemeinnützigen Zwecken zu verwerthen.

Die königliche Oper kaun eigentlich als Ganzes, trotz ihres Aufwandes, mit
der herumziehenden Italienischen nicht wetteifern. Bei den wankelmüthigen Ber¬
linern hat Frau Schlegel-Köster den Sieg über die früher übermäßig vergöt¬
terte Fräulein Tuezek davongetragen; sie wird jedesmal bei ihrem Eintritt mit
Beifallsklatschen empfangen und überall anerkannt, sie mag unternehmen was sie
will, z. B. einen recht spitzen Ton so lange als möglich anhalten, was bei eini¬
germaßen empfindlichen Nerven wie ein Messerstich wirkt. Fräulein Tuczek ist in
Prinzcssiunenrollen und als Soubrette, wo sie sich aber gleichfalls als verkleidete
Prinzessin gerirt, höchst erfreulich, obgleich sie etwas mehr lispelt, als gerade
unumgänglich nothwendig wäre. Fräulein Marx, die lange Zeit die Ungunst
des Publikums zu tragen hatte, ist jetzt wieder ziemlich rehabilitirt; sie hält sich
an kleinere Rollen und leistet dann zum Theil Bortreffliches. Fräul. Brexen-
dorf hat eine bedeutende Stimme, ich habe sie mit der Lind zusammen gehört,
der sie an Stärke nicht das Mindeste nachgab, aber was hilft eine große Stimme
einer Sängerin, die ohne Seele ist? -- Mit Martius und Ziesche ist es
völlig vorbei; neulich, im Wasserträger, konnte ich, obgleich ich ganz nahe vor
der Scene saß, und die süßen Gesichter wohl bemerkte, durch die Herr McmtiuS
anzudeuten Pflegt, daß er singt, keinen Ton von ihm hören. Such Böttichers
Stimme verliert täglich mehr an musikalischen Inhalt und nimmt dafür an Rau¬
heit zu. Der einzige Sänger von Bedeutung ist Krause.


Schule, ist gar zu sehr von unserm Repertoir verschwunden und überhaupt ver¬
liert die komische Oper immer mehr ihren eigeutlichni Charakter freier Heiterkeit.
— Die Seele der Oper ist Signora Fodor. Wenn ich Muße hätte, würde ich
mich hier in ein weitläufiges Entzücken verlieren. Eine Stimme, die zu den schön¬
sten gerechnet werden muß, die ich gehört habe, und die an reinem Wohllaut
eigentlich alle übertrifft, eine vollendete Gesangbildnng, ein ebenso feines als an-
muthiges Spiel, das sich zwar am freiesten in heitern Gestalten, wie Rosine, be¬
wegt, das aber auch einer Tigerkatze, wie der Priesterin Norma, vollkommen ge¬
recht wird. Neben ihr ist vor Allem zu nennen der Tenor Labocetta, eine
weiche, schöne Stimme von mäßiger Kraft, Rinaldini, der Figaro, Catalani,
der Dvttore, etwas grotesker, als es gerade nöthig wäre; der Heldentenor P a r-
dini und die beiden Damen Normanni (wie ich höre, eine geborne Engländerin)
und Dogliotti reichen gerade hin, um ein gutes Ensemble zu schaffen. — Wenn
der Communismus siegt, wird Signora Fodor jedenfalls enthauptet werden. Man
hat früher über die Aristokratie der Geburt geklagt, jetzt gilt es mehr der Aristo¬
kratie des Geldes, die Conseqncntcn haben auch schon gegen die Aristokratie des
Verstandes Bußpredigten gehalten, aber auf die Aristokratie der Stimmen ist noch
Niemand gekommen, und doch ist sie eine der unerträglichsten. Wie viel Schwal¬
ben können auskommen mit dem Tonvorrath, den diese einzige Nachtigall leicht¬
sinnig verschwendet, statt ihn zu gemeinnützigen Zwecken zu verwerthen.

Die königliche Oper kaun eigentlich als Ganzes, trotz ihres Aufwandes, mit
der herumziehenden Italienischen nicht wetteifern. Bei den wankelmüthigen Ber¬
linern hat Frau Schlegel-Köster den Sieg über die früher übermäßig vergöt¬
terte Fräulein Tuezek davongetragen; sie wird jedesmal bei ihrem Eintritt mit
Beifallsklatschen empfangen und überall anerkannt, sie mag unternehmen was sie
will, z. B. einen recht spitzen Ton so lange als möglich anhalten, was bei eini¬
germaßen empfindlichen Nerven wie ein Messerstich wirkt. Fräulein Tuczek ist in
Prinzcssiunenrollen und als Soubrette, wo sie sich aber gleichfalls als verkleidete
Prinzessin gerirt, höchst erfreulich, obgleich sie etwas mehr lispelt, als gerade
unumgänglich nothwendig wäre. Fräulein Marx, die lange Zeit die Ungunst
des Publikums zu tragen hatte, ist jetzt wieder ziemlich rehabilitirt; sie hält sich
an kleinere Rollen und leistet dann zum Theil Bortreffliches. Fräul. Brexen-
dorf hat eine bedeutende Stimme, ich habe sie mit der Lind zusammen gehört,
der sie an Stärke nicht das Mindeste nachgab, aber was hilft eine große Stimme
einer Sängerin, die ohne Seele ist? — Mit Martius und Ziesche ist es
völlig vorbei; neulich, im Wasserträger, konnte ich, obgleich ich ganz nahe vor
der Scene saß, und die süßen Gesichter wohl bemerkte, durch die Herr McmtiuS
anzudeuten Pflegt, daß er singt, keinen Ton von ihm hören. Such Böttichers
Stimme verliert täglich mehr an musikalischen Inhalt und nimmt dafür an Rau¬
heit zu. Der einzige Sänger von Bedeutung ist Krause.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/152>, abgerufen am 15.01.2025.