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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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den besseren Theil des Publikums für sich gewonnen, und ihr Abgang ist kei¬
neswegs eine Folge geringer Anerkennung, sondern ein Einfall des Herrn von
Küstner. Bei dem zerfahrenen, zerstreuten Wesen des Berliner Schauspiels,
wo ein eine wirkliche Hingebung an die gute Sache der Kunst keine Rede ist, würde
ihre Stellung dort immer unerfreulicher sein als in Leipzig, wo, wie Sie wissen,
ihr Einfluß vorzugsweise es war, der das innig in einander greifende Zusammen¬
spiel möglich machte, das Leipzig eine kurze Zeit lang unter die Reihe der vor"
züglichsten Theater Deutschlands erhob.

Die Koryphäen des Berliner Theaters -- mit Ausnahme der alten Schule,
die noch immer vorzügliches leistet: Frau Crelinger, Weiß :c. . . -- wer¬
den allmälig schwach. Herr Hendrichs ist für eiuen ersten Liebhaber eigentlich
doch schon zu fett, Herr Hoppe, Seydelmaun's Copist, ist schwindsüchtig und
hat fast gar keine Kräfte mehr anlzngeben. Herr Dbring, der sich bei "Lutter
und Wegener" auf Devrient-Seydelmanusche Weise zu bewegen liebt, hat sich
dnrch den Beifall der Masse verführe" lassen, seine geniale Komik bei jeder Vor¬
stellung mehr zu chargiren, immer neue drollige Einfälle einzuschieben, so daß zu¬
letzt von Wahrheit und Natur gar keine Rede mehr ist. Bei Rollen, welche an
sich Chargen sind, und nur als solche Berechtigung haben, wie z. B. Dorfrichter
Adam in Kleist's zerbrochenen Krug, ist dieses Spiel vollkommen anzuerkennen;
auch in einzelnen Charakterrollen, wie z. B. in dem schablonenhaft angelegten Po-
sert in Iffland's Spieler, leistet er wunderbares. Wo er aber, der bloßen Ko¬
nnt wegen, die Rolle vollständig umkehrt, wie Elias Krumm in "der gerade
Weg ist der beste", erreicht er zwar den unmittelbaren Eindruck vollständig, denn
wan kommt aus der Ueberraschung und dem Lachen gar nicht heraus, aber wenn
^an zur Ueberlegung kommt, so überwiegt doch die Empfindung falsch angewende¬
ter Kräfte. Man würde es ganz natürlich finden, wenn der alte Major und
Kirchenpatron einem solchen Burschen, der sich mit tameelartig gebogenem Halse,
blonden Haaren und grotesk ontrirten Marktschreierton als Kandidat der Theolo¬
ge vorstellt, im Aerger zuriefe: Herr, Sie wollen mich nur vexiren! Sie sind gar
^in Candidat der Theologie, sie sind ein herumreisender Komödiant, der es sich in
Kopf gesetzt hat, mich zum Narren zu haben.

-- Der beste Kunstgenuß, den Berlin in diesem Augenblick bietet, ist die
italienische Oper -- welche übrigens in dieser Saison das anerkennenswerthe Stre¬
bn zeigt, einmal von Bellini und Donizetti abzusehn, und sich zur classischen
^usik, zum Theil auch zur fremden, zurückzuwenden. Mit der Letztern will eS
"lehr recht gehn; weder Mozart iMntt" innZic"; Don Giovanni) noch Ander (Fra
Diavolo) will sich, bei aller brillanten Ausführung im Einzelnen, als Ganzes in
italienischen Kehlen aufnehmen; dagegen sah ich zwei ältere italienische Opern, it
""termed),^ "".Areto von Cimarosa und den Barbier in einer Vollendung, die fast
nichts zu wünschen übrig ließ. Die erstere, eines von den Meisterwerken der alten


den besseren Theil des Publikums für sich gewonnen, und ihr Abgang ist kei¬
neswegs eine Folge geringer Anerkennung, sondern ein Einfall des Herrn von
Küstner. Bei dem zerfahrenen, zerstreuten Wesen des Berliner Schauspiels,
wo ein eine wirkliche Hingebung an die gute Sache der Kunst keine Rede ist, würde
ihre Stellung dort immer unerfreulicher sein als in Leipzig, wo, wie Sie wissen,
ihr Einfluß vorzugsweise es war, der das innig in einander greifende Zusammen¬
spiel möglich machte, das Leipzig eine kurze Zeit lang unter die Reihe der vor«
züglichsten Theater Deutschlands erhob.

Die Koryphäen des Berliner Theaters — mit Ausnahme der alten Schule,
die noch immer vorzügliches leistet: Frau Crelinger, Weiß :c. . . — wer¬
den allmälig schwach. Herr Hendrichs ist für eiuen ersten Liebhaber eigentlich
doch schon zu fett, Herr Hoppe, Seydelmaun's Copist, ist schwindsüchtig und
hat fast gar keine Kräfte mehr anlzngeben. Herr Dbring, der sich bei „Lutter
und Wegener" auf Devrient-Seydelmanusche Weise zu bewegen liebt, hat sich
dnrch den Beifall der Masse verführe» lassen, seine geniale Komik bei jeder Vor¬
stellung mehr zu chargiren, immer neue drollige Einfälle einzuschieben, so daß zu¬
letzt von Wahrheit und Natur gar keine Rede mehr ist. Bei Rollen, welche an
sich Chargen sind, und nur als solche Berechtigung haben, wie z. B. Dorfrichter
Adam in Kleist's zerbrochenen Krug, ist dieses Spiel vollkommen anzuerkennen;
auch in einzelnen Charakterrollen, wie z. B. in dem schablonenhaft angelegten Po-
sert in Iffland's Spieler, leistet er wunderbares. Wo er aber, der bloßen Ko¬
nnt wegen, die Rolle vollständig umkehrt, wie Elias Krumm in „der gerade
Weg ist der beste", erreicht er zwar den unmittelbaren Eindruck vollständig, denn
wan kommt aus der Ueberraschung und dem Lachen gar nicht heraus, aber wenn
^an zur Ueberlegung kommt, so überwiegt doch die Empfindung falsch angewende¬
ter Kräfte. Man würde es ganz natürlich finden, wenn der alte Major und
Kirchenpatron einem solchen Burschen, der sich mit tameelartig gebogenem Halse,
blonden Haaren und grotesk ontrirten Marktschreierton als Kandidat der Theolo¬
ge vorstellt, im Aerger zuriefe: Herr, Sie wollen mich nur vexiren! Sie sind gar
^in Candidat der Theologie, sie sind ein herumreisender Komödiant, der es sich in
Kopf gesetzt hat, mich zum Narren zu haben.

— Der beste Kunstgenuß, den Berlin in diesem Augenblick bietet, ist die
italienische Oper — welche übrigens in dieser Saison das anerkennenswerthe Stre¬
bn zeigt, einmal von Bellini und Donizetti abzusehn, und sich zur classischen
^usik, zum Theil auch zur fremden, zurückzuwenden. Mit der Letztern will eS
"lehr recht gehn; weder Mozart iMntt» innZic«; Don Giovanni) noch Ander (Fra
Diavolo) will sich, bei aller brillanten Ausführung im Einzelnen, als Ganzes in
italienischen Kehlen aufnehmen; dagegen sah ich zwei ältere italienische Opern, it
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nichts zu wünschen übrig ließ. Die erstere, eines von den Meisterwerken der alten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/151>, abgerufen am 15.01.2025.