Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.dem Applaus ausgenommen war -- im Parterre geklatscht wurde, hörte man von Am lebhaftesten fielen mir die politischen Verhältnisse ein bei einem Stück, Die politischen Parteiungen haben sich, wie natürlich, auch der Künstler be¬ dem Applaus ausgenommen war — im Parterre geklatscht wurde, hörte man von Am lebhaftesten fielen mir die politischen Verhältnisse ein bei einem Stück, Die politischen Parteiungen haben sich, wie natürlich, auch der Künstler be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278660"/> <p xml:id="ID_440" prev="#ID_439"> dem Applaus ausgenommen war — im Parterre geklatscht wurde, hörte man von<lb/> den Logen ein freilich nicht lautes Zischen. Das sollte wohl uicht so viel heißen,<lb/> als: Nieder mit der Freiheit! denn soweit ist man denn doch hier, daß ziemlich<lb/> jede Classe sich für die Freiheit interesstrt, sondern man wollte nur durch die Fern-<lb/> haltung politischer Empfindungen die aristokratische Reinheit des Kunstgenusses<lb/> aufrecht halte«. Dagegen war im Schauspielhause, als Egmont gegeben wurde,<lb/> das ganze Publikum außer sich; die tapfern Aeußerungen des jungen liberalen<lb/> Edelmanns zu Gunsten des gedrückten Volks wurden mit unbeschreiblichen Beifall<lb/> aufgenommen, was mich eigentlich wunderte, denn man kann Egmont doch höch¬<lb/> stens zum linken Centrum rechnen, nud Berlin ist äußerst links; aber es war<lb/> wohl das Bild des Belagerungszustandes, was ihm die Sympathien gewann.<lb/> Würde doch Rodbertus, obgleich ein Gemäßigter, zweimal gewählt, weil er von<lb/> Wrangel und Hinkeldey ausgewiesen war. Die feige Bourgeoisie — die Jetter<lb/> u. f. w. — wurden als Belege der seit L. Biene ziemlich allgemein angenom¬<lb/> menen Glaubensartikel mit gebührender Anerkennung begrüßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_441"> Am lebhaftesten fielen mir die politischen Verhältnisse ein bei einem Stück,<lb/> das bis jetzt wohl ziemlich selten auf den Brettern erschienen ist: die Familie<lb/> Schro fsenstein von H einrieb v. Kleist. Zwei verwandte Familien, die einen<lb/> Erbvertrag mit einander geschlossen haben, und von denen daher jede geneigt ist,<lb/> der anderen den Wunsch ihres Untergangs zu impuliren, werden durch das ge¬<lb/> genseitige Mißtrauen nicht nur in eine Art partieller Verrücktheit versetzt, sondern<lb/> auch zu den scheußlichsten Verbrechen getrieben. Ganz wie die Linke und Rechte,<lb/> die Trojaner und die Danaer, wie der technische Ausdruck lautet. Wenn heute<lb/> das Ministerium Manteuffel in der Kammer den Antrag stellte, seine sämmtlichen<lb/> Mitglieder aufzuhängen, so wird die Linke ausrufen: ümeo D-ni-roh! et äoni«, le-<lb/> reutet, und dagegen stimmen. Und auf der andern Seite würde es uicht viel<lb/> anders sein. Zu nächtlichen tteberfällen, Mordthaten n. f. w. führt das in un¬<lb/> serm aufgeklärten Säculum weniger, wohl aber zu einem sinnlosen Widerstand,<lb/> in dem eine Kraft die andere aufhebt, bis aus der vollständigen Unthätigkeit eine<lb/> allgemeine Fäulniß des staatlichen Lebens hervorgeht.</p><lb/> <p xml:id="ID_442" next="#ID_443"> Die politischen Parteiungen haben sich, wie natürlich, auch der Künstler be¬<lb/> mächtigt. Wie man es bei einer Hofbühne erwarten kann, ist die große Mehr¬<lb/> zahl loyal — in der französischen Revolution war es derselbe Fall. Vielleicht sind<lb/> die Augriffe, die Herr v. Küstuer, nicht gerade aus politischen Gründen, zu<lb/> erleiden hatte, zum Theil Schuld daran. Als geschlossene Phalanx schaaren sich<lb/> Frau Birch - Pfeiffer, die Crelinger-Stich-Hoppvsche Familie, Hen-<lb/> drichs, Döring, um den Thron, um ihn gegen die Angriffe der rothen Republik<lb/> zu decken. Dagegen hat man unsere Freunde, Fräulein Unzelmann nud Herrn<lb/> Wagner, stark im Verdacht des Carbonarismus. T le erstere hat durch die Fein¬<lb/> heit, das Maaß und den Verstand ihres Spiels nach ziemlich schweren Käinpfw</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0150]
dem Applaus ausgenommen war — im Parterre geklatscht wurde, hörte man von
den Logen ein freilich nicht lautes Zischen. Das sollte wohl uicht so viel heißen,
als: Nieder mit der Freiheit! denn soweit ist man denn doch hier, daß ziemlich
jede Classe sich für die Freiheit interesstrt, sondern man wollte nur durch die Fern-
haltung politischer Empfindungen die aristokratische Reinheit des Kunstgenusses
aufrecht halte«. Dagegen war im Schauspielhause, als Egmont gegeben wurde,
das ganze Publikum außer sich; die tapfern Aeußerungen des jungen liberalen
Edelmanns zu Gunsten des gedrückten Volks wurden mit unbeschreiblichen Beifall
aufgenommen, was mich eigentlich wunderte, denn man kann Egmont doch höch¬
stens zum linken Centrum rechnen, nud Berlin ist äußerst links; aber es war
wohl das Bild des Belagerungszustandes, was ihm die Sympathien gewann.
Würde doch Rodbertus, obgleich ein Gemäßigter, zweimal gewählt, weil er von
Wrangel und Hinkeldey ausgewiesen war. Die feige Bourgeoisie — die Jetter
u. f. w. — wurden als Belege der seit L. Biene ziemlich allgemein angenom¬
menen Glaubensartikel mit gebührender Anerkennung begrüßt.
Am lebhaftesten fielen mir die politischen Verhältnisse ein bei einem Stück,
das bis jetzt wohl ziemlich selten auf den Brettern erschienen ist: die Familie
Schro fsenstein von H einrieb v. Kleist. Zwei verwandte Familien, die einen
Erbvertrag mit einander geschlossen haben, und von denen daher jede geneigt ist,
der anderen den Wunsch ihres Untergangs zu impuliren, werden durch das ge¬
genseitige Mißtrauen nicht nur in eine Art partieller Verrücktheit versetzt, sondern
auch zu den scheußlichsten Verbrechen getrieben. Ganz wie die Linke und Rechte,
die Trojaner und die Danaer, wie der technische Ausdruck lautet. Wenn heute
das Ministerium Manteuffel in der Kammer den Antrag stellte, seine sämmtlichen
Mitglieder aufzuhängen, so wird die Linke ausrufen: ümeo D-ni-roh! et äoni«, le-
reutet, und dagegen stimmen. Und auf der andern Seite würde es uicht viel
anders sein. Zu nächtlichen tteberfällen, Mordthaten n. f. w. führt das in un¬
serm aufgeklärten Säculum weniger, wohl aber zu einem sinnlosen Widerstand,
in dem eine Kraft die andere aufhebt, bis aus der vollständigen Unthätigkeit eine
allgemeine Fäulniß des staatlichen Lebens hervorgeht.
Die politischen Parteiungen haben sich, wie natürlich, auch der Künstler be¬
mächtigt. Wie man es bei einer Hofbühne erwarten kann, ist die große Mehr¬
zahl loyal — in der französischen Revolution war es derselbe Fall. Vielleicht sind
die Augriffe, die Herr v. Küstuer, nicht gerade aus politischen Gründen, zu
erleiden hatte, zum Theil Schuld daran. Als geschlossene Phalanx schaaren sich
Frau Birch - Pfeiffer, die Crelinger-Stich-Hoppvsche Familie, Hen-
drichs, Döring, um den Thron, um ihn gegen die Angriffe der rothen Republik
zu decken. Dagegen hat man unsere Freunde, Fräulein Unzelmann nud Herrn
Wagner, stark im Verdacht des Carbonarismus. T le erstere hat durch die Fein¬
heit, das Maaß und den Verstand ihres Spiels nach ziemlich schweren Käinpfw
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