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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Abstimmung'über das Stahlsche Amendement, damit das Volk seine Freunde kennen
lerne. Graf Dyhrn warnte vor dieser zu frühzeitigen Spaltung, weil in der deut¬
schen Sache die möglich größeste Einigkeit erzielt werden müsse, worauf Milde in
seiner bekannten Fistelstimme mit großer Heftigkeit bemerkte, er habe unter allen
Umständen den Muth seiner Meinung, worauf der Advocat Fischer, ein Radi¬
kaler in schwarzwalleudem Haupthaar, als thatsächliche Berichtigung hinzufügte, er
habe auch den Muth seiner Meinung, was noch einige andere Herren zu ähnlichen
factischen Bemerkungen veranlaßte, worauf Alles friedlich ausgeglichen wurde.

Wenn wir einen geistvollen Redner der alten historischen Schule, wie Stahl
es unzweifelhaft ist, mit Aufmerksamkeit verfolgen, so wird uns der Gegensatz gegen
uns, die wir einen ähnlichen Kampf gegen die "hohlen Theorien" des modernen
Radikalismus zu bestehen haben, so recht klar. Ich würde mich -- wenn auch
nicht bei dieser Gelegenheit, wo der ganze Discours bei den Haaren herbeigezogen
wurde, gegen die widersinnige Idee der Volkssouveränität eben so scharf ausge¬
sprochen haben, als Stahl, würde mit eben so großem inneren Behagen das
Zischen der "Volksmänner" provocirt haben. Und doch stehen wir diesen alten
Doctrinen wenigstens ebenso fern als dem Radicalismus.

Die Volkssouveränität ist, theoretisch genommen, ein nonsous, praktisch eine
verderbliche Theorie, aus zwei Gründen. Einmal geht sie von der Idee der
Souveränität, d. h. der unbedingten Macht aus, die nur in der Form der Willkür
erscheinen kann. Souverän ist der türkische Kaiser, so lange seine Janitscharen ihn
nicht stranguliren, souverän ist der Räuberhauptmann, bis er an den Galgen kömmt,
souverän der tolle Hund, bis man ihn erschlägt. Im echten Staatsleben gibt es
nnr bedingte Gewalt. Jeder Nationalconvent provocirt einen Dictator, jeder
Tyrann eine Revolution. Wenn also ein politischer Körper sich weißmacht, er sei
souverän, d. h. seine Gewalt sei unbedingt, so wird er entweder tyrannisch, wenn
seine Gegner zu schwach sind, und ruft dadurch eine Reaction hervor, oder er geht
mit seinen Forderungen über seine Kräfte hinaus, und erreicht gar nichts. So ist
es der Paulskirche ergangen; sie erklärte sich selber -- wenigstens in Beziehung
auf die deutsche Verfassungsfrage -- für souverän, d. h., wie ein Ultramontaner
ganz richtig bemerkte, die Herren sahen sich untereinander voll Ehrfurcht an, und
äußerten sich im freundschaftlichen Gespräche: wir sind doch eigentlich sehr mächtig!
In dieser gegenseitigen Versicherung wiegte man sich so lange, bis die herbe Rea¬
lität den schönen Traum verscheuchte, und so ging am Uebermaß eine Fülle der
edelsten Volkskraft fruchtlos zu Grunde. Mit der preußischen Constituante war
es ganz derselbe Fall, sie erklärte sich für unauflöslich, d. h., wie Berg das ganz
richtig näher erörterte, sie rief der Gewalt zu: Probire es, uus aufzulösen! Es
geschah, und damit war die souveräne Constituante im Unrecht. Nicht jeder Be¬
siegte ist im Unrecht, wie das die abstracte Nevolutionstheorie gern aufstellen
möchte, sondern nur jeder besiegte Souverän, denn das einzige Recht der un-


Abstimmung'über das Stahlsche Amendement, damit das Volk seine Freunde kennen
lerne. Graf Dyhrn warnte vor dieser zu frühzeitigen Spaltung, weil in der deut¬
schen Sache die möglich größeste Einigkeit erzielt werden müsse, worauf Milde in
seiner bekannten Fistelstimme mit großer Heftigkeit bemerkte, er habe unter allen
Umständen den Muth seiner Meinung, worauf der Advocat Fischer, ein Radi¬
kaler in schwarzwalleudem Haupthaar, als thatsächliche Berichtigung hinzufügte, er
habe auch den Muth seiner Meinung, was noch einige andere Herren zu ähnlichen
factischen Bemerkungen veranlaßte, worauf Alles friedlich ausgeglichen wurde.

Wenn wir einen geistvollen Redner der alten historischen Schule, wie Stahl
es unzweifelhaft ist, mit Aufmerksamkeit verfolgen, so wird uns der Gegensatz gegen
uns, die wir einen ähnlichen Kampf gegen die „hohlen Theorien" des modernen
Radikalismus zu bestehen haben, so recht klar. Ich würde mich — wenn auch
nicht bei dieser Gelegenheit, wo der ganze Discours bei den Haaren herbeigezogen
wurde, gegen die widersinnige Idee der Volkssouveränität eben so scharf ausge¬
sprochen haben, als Stahl, würde mit eben so großem inneren Behagen das
Zischen der „Volksmänner" provocirt haben. Und doch stehen wir diesen alten
Doctrinen wenigstens ebenso fern als dem Radicalismus.

Die Volkssouveränität ist, theoretisch genommen, ein nonsous, praktisch eine
verderbliche Theorie, aus zwei Gründen. Einmal geht sie von der Idee der
Souveränität, d. h. der unbedingten Macht aus, die nur in der Form der Willkür
erscheinen kann. Souverän ist der türkische Kaiser, so lange seine Janitscharen ihn
nicht stranguliren, souverän ist der Räuberhauptmann, bis er an den Galgen kömmt,
souverän der tolle Hund, bis man ihn erschlägt. Im echten Staatsleben gibt es
nnr bedingte Gewalt. Jeder Nationalconvent provocirt einen Dictator, jeder
Tyrann eine Revolution. Wenn also ein politischer Körper sich weißmacht, er sei
souverän, d. h. seine Gewalt sei unbedingt, so wird er entweder tyrannisch, wenn
seine Gegner zu schwach sind, und ruft dadurch eine Reaction hervor, oder er geht
mit seinen Forderungen über seine Kräfte hinaus, und erreicht gar nichts. So ist
es der Paulskirche ergangen; sie erklärte sich selber — wenigstens in Beziehung
auf die deutsche Verfassungsfrage — für souverän, d. h., wie ein Ultramontaner
ganz richtig bemerkte, die Herren sahen sich untereinander voll Ehrfurcht an, und
äußerten sich im freundschaftlichen Gespräche: wir sind doch eigentlich sehr mächtig!
In dieser gegenseitigen Versicherung wiegte man sich so lange, bis die herbe Rea¬
lität den schönen Traum verscheuchte, und so ging am Uebermaß eine Fülle der
edelsten Volkskraft fruchtlos zu Grunde. Mit der preußischen Constituante war
es ganz derselbe Fall, sie erklärte sich für unauflöslich, d. h., wie Berg das ganz
richtig näher erörterte, sie rief der Gewalt zu: Probire es, uus aufzulösen! Es
geschah, und damit war die souveräne Constituante im Unrecht. Nicht jeder Be¬
siegte ist im Unrecht, wie das die abstracte Nevolutionstheorie gern aufstellen
möchte, sondern nur jeder besiegte Souverän, denn das einzige Recht der un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/14>, abgerufen am 23.01.2025.