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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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ein bezahlter Diener. An das Entscheidende, daß die Bürgerschaft allein die
Gesetze zu beschließen hat,*) dachte Keiner oder wollte Keiner denken, und so
war der ganze giftige Streit eigentlich "to I-iva, ni^n-in", geführt. Als aber Wiebel
nachwies, daß auch der kleine Rath in der gut demokratischen Schweiz das Recht
des Gesetzvorschlages habe, war die Schweiz auf einmal nicht mehr ganz kauscher,
trotzdem sie sonst immer wie eine Citrone ausgepreßt wurde, um Beispiele für die
Einrichtungen der reinen Demokratie herauszutröpfelu. R,e8 mal IVinrios venit!
Da erhob sich Trittau, um zu beweise", daß die linke Seite auch den besten
Gegner nicht zu scheuen habe, und hielt trotz seines besten acceptirten Gelübdes,
uicht zu sprechen, eine halsbrechende Philippina. Umsonst; die Initiative des
Rathes neben der der Bürgerschaft wurde angenommen. Um aber nicht alle Lor¬
beeren von den Heldenschläfen der Radikalen zu reißen, wurde ein Amendement
von Löwe wenigstens als Zusatz angenommen, daß der Rath alle Jahr eine Bot¬
schaft, d. h. eine Art Rechenschaftsbericht über die Staatsverwaltung der Bürger¬
schaft einzureichen verpflichtet sein solle. So endete die denkwürdige Sitzung des
12'. April, sie förderte den ez. 13 zum Schlüsse. Uebrigens muß ich hierbei be.
merken, daß es sich zunächst nur um Aufstellungen von Grundbestimmungen für
die künftige Verfassung handelt. Diese Bestimmungen werden jetzt im Schooße der
Constituante berathen und beschlossen. Erst nachdem auf diese Weise alle einzelnen
Paragraphen des Entwurfes sanctionirt sind, wird von einem besonderen, jetzt erst
gewählten Verfassungsausschusse ein vollständiges Grundgesetz entworfen und dem¬
nächst der Plenarversammlung vorgelegt werden, welcher auch bereits ein Ent"
Wurf über die richterliche Behörde von dem für diesen Zweig der Verfassung beste¬
henden Ausschusse eingereicht ist. -- Die Debatten innerhalb der constituirenden
Versammlung sind übrigens nicht die einzigen, welche das öffentliche Leben hier
w Fluctuation erhalten.

Wie die Freihändler mit deutschem Fleiß und deutscher Industrie umspringen,
davon möge ein Beispiel statt vieler gelten. Am 27. März war nach langer
Unterbrechung wieder öffentliche Sitzung des Freihandelsvereins. Der Vorsitzende
Roß machte die bedenkliche Mittheilung, daß die Schutzzollpartei schon ein bedeu¬
tendes Terrain gewonnen habe, daß sie Alles aufbiete, und Adressen über Adressen
nach Frankfurt schicke. Mau wisse freilich, wie die Namensunterschriften, z. B. die
86,000 der Eisenstück'schen Adresse, entstanden seien, wie die armen Fabrikarbeiter
genöthigt würden u. s. w. Solche Mittel müsse natürlich der Freihandelsverein
'Uit Verachtung zurückweisen, aber -- da kam der Pferdefuß zum Vorschein --
Propaganda müsse auf alle Weise gemacht werden. Jeder müsse mit den ihm zu
Gebote stehenden Mitteln (?) wirken. Einen heiteren Eindruck machte es, als er
Zum Beweise des endlichen Triumphs des Freihandelssystems pomphaft verkündigte,
daß sich sogar schon eine Ständekammer, die mecklenburgische, dafür ausgesprochen
habe, während ein anderer Redner in seiner Naivetät berichtete, daß auch eine


Hren,bot"n. II. l8"S. 18

ein bezahlter Diener. An das Entscheidende, daß die Bürgerschaft allein die
Gesetze zu beschließen hat,*) dachte Keiner oder wollte Keiner denken, und so
war der ganze giftige Streit eigentlich «to I-iva, ni^n-in», geführt. Als aber Wiebel
nachwies, daß auch der kleine Rath in der gut demokratischen Schweiz das Recht
des Gesetzvorschlages habe, war die Schweiz auf einmal nicht mehr ganz kauscher,
trotzdem sie sonst immer wie eine Citrone ausgepreßt wurde, um Beispiele für die
Einrichtungen der reinen Demokratie herauszutröpfelu. R,e8 mal IVinrios venit!
Da erhob sich Trittau, um zu beweise», daß die linke Seite auch den besten
Gegner nicht zu scheuen habe, und hielt trotz seines besten acceptirten Gelübdes,
uicht zu sprechen, eine halsbrechende Philippina. Umsonst; die Initiative des
Rathes neben der der Bürgerschaft wurde angenommen. Um aber nicht alle Lor¬
beeren von den Heldenschläfen der Radikalen zu reißen, wurde ein Amendement
von Löwe wenigstens als Zusatz angenommen, daß der Rath alle Jahr eine Bot¬
schaft, d. h. eine Art Rechenschaftsbericht über die Staatsverwaltung der Bürger¬
schaft einzureichen verpflichtet sein solle. So endete die denkwürdige Sitzung des
12'. April, sie förderte den ez. 13 zum Schlüsse. Uebrigens muß ich hierbei be.
merken, daß es sich zunächst nur um Aufstellungen von Grundbestimmungen für
die künftige Verfassung handelt. Diese Bestimmungen werden jetzt im Schooße der
Constituante berathen und beschlossen. Erst nachdem auf diese Weise alle einzelnen
Paragraphen des Entwurfes sanctionirt sind, wird von einem besonderen, jetzt erst
gewählten Verfassungsausschusse ein vollständiges Grundgesetz entworfen und dem¬
nächst der Plenarversammlung vorgelegt werden, welcher auch bereits ein Ent»
Wurf über die richterliche Behörde von dem für diesen Zweig der Verfassung beste¬
henden Ausschusse eingereicht ist. — Die Debatten innerhalb der constituirenden
Versammlung sind übrigens nicht die einzigen, welche das öffentliche Leben hier
w Fluctuation erhalten.

Wie die Freihändler mit deutschem Fleiß und deutscher Industrie umspringen,
davon möge ein Beispiel statt vieler gelten. Am 27. März war nach langer
Unterbrechung wieder öffentliche Sitzung des Freihandelsvereins. Der Vorsitzende
Roß machte die bedenkliche Mittheilung, daß die Schutzzollpartei schon ein bedeu¬
tendes Terrain gewonnen habe, daß sie Alles aufbiete, und Adressen über Adressen
nach Frankfurt schicke. Mau wisse freilich, wie die Namensunterschriften, z. B. die
86,000 der Eisenstück'schen Adresse, entstanden seien, wie die armen Fabrikarbeiter
genöthigt würden u. s. w. Solche Mittel müsse natürlich der Freihandelsverein
'Uit Verachtung zurückweisen, aber — da kam der Pferdefuß zum Vorschein —
Propaganda müsse auf alle Weise gemacht werden. Jeder müsse mit den ihm zu
Gebote stehenden Mitteln (?) wirken. Einen heiteren Eindruck machte es, als er
Zum Beweise des endlichen Triumphs des Freihandelssystems pomphaft verkündigte,
daß sich sogar schon eine Ständekammer, die mecklenburgische, dafür ausgesprochen
habe, während ein anderer Redner in seiner Naivetät berichtete, daß auch eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/137>, abgerufen am 15.01.2025.