Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ländlichen Schlächter und Käufer ihres jüngsten Katheders ansieht. Er beachtete
solche Verstöße niemals und benutzte sein Jncognito nur zuweilen, um manche
geheime Mißbräuche seiner Untergebenen zur Verantwortung zu ziehen. Noch
weit zahlreicher sind die Histörchen über seine unbegrenzte Gutmüthigkeit, seine
Freigebigkeit im Wohlthun und seine Sparsamkeit gegen Anforderungen deö Luxus
in seiner Häuslichkeit. Er war ein deutscher Origiualcharaktcr, dessen Leben und
Wirken zu einem vollständigen Bilde zu gestalten eine schöne Aufgabe für unsre
biographischen Schriftsteller wäre, aber es existirt nicht einmal eine ausführliche
Lebensbeschreibung von ihm. Seine rastlose Thätigkeit für die Provinz hatte nach
und nach seine universellere politische Richtung absorbirt, und er folgte sogar den
ersten kühnen Schritten des Sohnes auf dem Wege der Opposition mit mißbilli¬
genden Blicken. Die spätere Entwicklung dieses großen und festen Geistes hat
er nicht mehr erlebt. Er starb am 2. December 1844 an Ueberanstrengung aller
seiner Kräfte, bis zum letzten Augenblicke hatte er gestrebt sie für seinen Beruf
nutzbar zu machen. Er, der in seiner Jugend gegen das Zuvielregieren der
Beamten geeifert hatte, war in spätern Jahren in gewisser Weise und in bester
Absicht Autokrat geworden. Er wollte mit väterlicher Sorge das Kleinste wie
das Größte in seinein Bezirke selbst leiten und überwachen. Die vielgeschmähte,
aber nirgends in strenger Ordnung und Rechtlichkeit übertroffene preußische Be¬
amtenmaschinerie, in der sich die besten Kräfte mit unvergleichlicher und unbe¬
greiflicher Selbstaufopferung geduldig abnutzen lassen, hatte auch ihn mit Leib
und Seele erfaßt. Er nahm seine geliebten Actenstöße mit auf sein Sterbebett
und wird stets als ein Musterbild eines preußischen Beamten anerkannt werden
müssen. Als Familienvater war er eben so vortrefflich als glücklich; er hinterließ
elf lebende Kinder, vier Söhne und sieben Töchter. Der berühmte Abgeordnete
ist der älteste, er besitzt dieselbe Thatkraft, denselben Gemeinsinn wie sein Vater,
und erbte von einer geistreichen Mutter mehr Schärfe und Consequenz des Ur¬
theils, mehr Präcision und Gewalt des Ausdrucks. Der zweite Sohn ist ein
talentvoller Dichter, der jüngste bethätigt seinen strebsamen Sinn, seinen eben¬
bürtigen Villele'schen Geist in diesem Augenblick durch eine Reise nach Amerika
zu wissenschaftlichen Zwecken. Die Töchter haben in die ersten Familien des Lan¬
des geheirathet. Uebrigens ist diese Linie der Freiherrn Vincke nicht verwandt
mit dem gleichnamigen Major v. Vincke, Abgeordneten der ersten Kammer in
Berlin. Es ist ein seltsamer Zufall, daß so manche der jetzt vielgenannten Per¬
sönlichkeiten in Münster ein Stuck Lebensgeschichte stehen haben. So haben außer
dem berühmten Abgeordneten Vincke, der seine Kinder- und Jugendjahre auf dem
hiesigen Schlosse zugebracht hat, auch die Exminister Schreckenstein und Pfuel
hier jahrelang gelebt, auch General Wrangel's Aufenthalt steht hier noch in leb¬
hafter Erinnerung. Er war hier zur Zeit der sogenannten Kölner Wirren, in deren
Folge Münster sich durch einen Aufruhr auszeichnete. Man zeigt hier noch


ländlichen Schlächter und Käufer ihres jüngsten Katheders ansieht. Er beachtete
solche Verstöße niemals und benutzte sein Jncognito nur zuweilen, um manche
geheime Mißbräuche seiner Untergebenen zur Verantwortung zu ziehen. Noch
weit zahlreicher sind die Histörchen über seine unbegrenzte Gutmüthigkeit, seine
Freigebigkeit im Wohlthun und seine Sparsamkeit gegen Anforderungen deö Luxus
in seiner Häuslichkeit. Er war ein deutscher Origiualcharaktcr, dessen Leben und
Wirken zu einem vollständigen Bilde zu gestalten eine schöne Aufgabe für unsre
biographischen Schriftsteller wäre, aber es existirt nicht einmal eine ausführliche
Lebensbeschreibung von ihm. Seine rastlose Thätigkeit für die Provinz hatte nach
und nach seine universellere politische Richtung absorbirt, und er folgte sogar den
ersten kühnen Schritten des Sohnes auf dem Wege der Opposition mit mißbilli¬
genden Blicken. Die spätere Entwicklung dieses großen und festen Geistes hat
er nicht mehr erlebt. Er starb am 2. December 1844 an Ueberanstrengung aller
seiner Kräfte, bis zum letzten Augenblicke hatte er gestrebt sie für seinen Beruf
nutzbar zu machen. Er, der in seiner Jugend gegen das Zuvielregieren der
Beamten geeifert hatte, war in spätern Jahren in gewisser Weise und in bester
Absicht Autokrat geworden. Er wollte mit väterlicher Sorge das Kleinste wie
das Größte in seinein Bezirke selbst leiten und überwachen. Die vielgeschmähte,
aber nirgends in strenger Ordnung und Rechtlichkeit übertroffene preußische Be¬
amtenmaschinerie, in der sich die besten Kräfte mit unvergleichlicher und unbe¬
greiflicher Selbstaufopferung geduldig abnutzen lassen, hatte auch ihn mit Leib
und Seele erfaßt. Er nahm seine geliebten Actenstöße mit auf sein Sterbebett
und wird stets als ein Musterbild eines preußischen Beamten anerkannt werden
müssen. Als Familienvater war er eben so vortrefflich als glücklich; er hinterließ
elf lebende Kinder, vier Söhne und sieben Töchter. Der berühmte Abgeordnete
ist der älteste, er besitzt dieselbe Thatkraft, denselben Gemeinsinn wie sein Vater,
und erbte von einer geistreichen Mutter mehr Schärfe und Consequenz des Ur¬
theils, mehr Präcision und Gewalt des Ausdrucks. Der zweite Sohn ist ein
talentvoller Dichter, der jüngste bethätigt seinen strebsamen Sinn, seinen eben¬
bürtigen Villele'schen Geist in diesem Augenblick durch eine Reise nach Amerika
zu wissenschaftlichen Zwecken. Die Töchter haben in die ersten Familien des Lan¬
des geheirathet. Uebrigens ist diese Linie der Freiherrn Vincke nicht verwandt
mit dem gleichnamigen Major v. Vincke, Abgeordneten der ersten Kammer in
Berlin. Es ist ein seltsamer Zufall, daß so manche der jetzt vielgenannten Per¬
sönlichkeiten in Münster ein Stuck Lebensgeschichte stehen haben. So haben außer
dem berühmten Abgeordneten Vincke, der seine Kinder- und Jugendjahre auf dem
hiesigen Schlosse zugebracht hat, auch die Exminister Schreckenstein und Pfuel
hier jahrelang gelebt, auch General Wrangel's Aufenthalt steht hier noch in leb¬
hafter Erinnerung. Er war hier zur Zeit der sogenannten Kölner Wirren, in deren
Folge Münster sich durch einen Aufruhr auszeichnete. Man zeigt hier noch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278642"/>
          <p xml:id="ID_395" prev="#ID_394" next="#ID_396"> ländlichen Schlächter und Käufer ihres jüngsten Katheders ansieht. Er beachtete<lb/>
solche Verstöße niemals und benutzte sein Jncognito nur zuweilen, um manche<lb/>
geheime Mißbräuche seiner Untergebenen zur Verantwortung zu ziehen. Noch<lb/>
weit zahlreicher sind die Histörchen über seine unbegrenzte Gutmüthigkeit, seine<lb/>
Freigebigkeit im Wohlthun und seine Sparsamkeit gegen Anforderungen deö Luxus<lb/>
in seiner Häuslichkeit. Er war ein deutscher Origiualcharaktcr, dessen Leben und<lb/>
Wirken zu einem vollständigen Bilde zu gestalten eine schöne Aufgabe für unsre<lb/>
biographischen Schriftsteller wäre, aber es existirt nicht einmal eine ausführliche<lb/>
Lebensbeschreibung von ihm. Seine rastlose Thätigkeit für die Provinz hatte nach<lb/>
und nach seine universellere politische Richtung absorbirt, und er folgte sogar den<lb/>
ersten kühnen Schritten des Sohnes auf dem Wege der Opposition mit mißbilli¬<lb/>
genden Blicken. Die spätere Entwicklung dieses großen und festen Geistes hat<lb/>
er nicht mehr erlebt. Er starb am 2. December 1844 an Ueberanstrengung aller<lb/>
seiner Kräfte, bis zum letzten Augenblicke hatte er gestrebt sie für seinen Beruf<lb/>
nutzbar zu machen. Er, der in seiner Jugend gegen das Zuvielregieren der<lb/>
Beamten geeifert hatte, war in spätern Jahren in gewisser Weise und in bester<lb/>
Absicht Autokrat geworden. Er wollte mit väterlicher Sorge das Kleinste wie<lb/>
das Größte in seinein Bezirke selbst leiten und überwachen. Die vielgeschmähte,<lb/>
aber nirgends in strenger Ordnung und Rechtlichkeit übertroffene preußische Be¬<lb/>
amtenmaschinerie, in der sich die besten Kräfte mit unvergleichlicher und unbe¬<lb/>
greiflicher Selbstaufopferung geduldig abnutzen lassen, hatte auch ihn mit Leib<lb/>
und Seele erfaßt. Er nahm seine geliebten Actenstöße mit auf sein Sterbebett<lb/>
und wird stets als ein Musterbild eines preußischen Beamten anerkannt werden<lb/>
müssen. Als Familienvater war er eben so vortrefflich als glücklich; er hinterließ<lb/>
elf lebende Kinder, vier Söhne und sieben Töchter. Der berühmte Abgeordnete<lb/>
ist der älteste, er besitzt dieselbe Thatkraft, denselben Gemeinsinn wie sein Vater,<lb/>
und erbte von einer geistreichen Mutter mehr Schärfe und Consequenz des Ur¬<lb/>
theils, mehr Präcision und Gewalt des Ausdrucks. Der zweite Sohn ist ein<lb/>
talentvoller Dichter, der jüngste bethätigt seinen strebsamen Sinn, seinen eben¬<lb/>
bürtigen Villele'schen Geist in diesem Augenblick durch eine Reise nach Amerika<lb/>
zu wissenschaftlichen Zwecken. Die Töchter haben in die ersten Familien des Lan¬<lb/>
des geheirathet. Uebrigens ist diese Linie der Freiherrn Vincke nicht verwandt<lb/>
mit dem gleichnamigen Major v. Vincke, Abgeordneten der ersten Kammer in<lb/>
Berlin. Es ist ein seltsamer Zufall, daß so manche der jetzt vielgenannten Per¬<lb/>
sönlichkeiten in Münster ein Stuck Lebensgeschichte stehen haben. So haben außer<lb/>
dem berühmten Abgeordneten Vincke, der seine Kinder- und Jugendjahre auf dem<lb/>
hiesigen Schlosse zugebracht hat, auch die Exminister Schreckenstein und Pfuel<lb/>
hier jahrelang gelebt, auch General Wrangel's Aufenthalt steht hier noch in leb¬<lb/>
hafter Erinnerung. Er war hier zur Zeit der sogenannten Kölner Wirren, in deren<lb/>
Folge Münster sich durch einen Aufruhr auszeichnete.  Man zeigt hier noch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] ländlichen Schlächter und Käufer ihres jüngsten Katheders ansieht. Er beachtete solche Verstöße niemals und benutzte sein Jncognito nur zuweilen, um manche geheime Mißbräuche seiner Untergebenen zur Verantwortung zu ziehen. Noch weit zahlreicher sind die Histörchen über seine unbegrenzte Gutmüthigkeit, seine Freigebigkeit im Wohlthun und seine Sparsamkeit gegen Anforderungen deö Luxus in seiner Häuslichkeit. Er war ein deutscher Origiualcharaktcr, dessen Leben und Wirken zu einem vollständigen Bilde zu gestalten eine schöne Aufgabe für unsre biographischen Schriftsteller wäre, aber es existirt nicht einmal eine ausführliche Lebensbeschreibung von ihm. Seine rastlose Thätigkeit für die Provinz hatte nach und nach seine universellere politische Richtung absorbirt, und er folgte sogar den ersten kühnen Schritten des Sohnes auf dem Wege der Opposition mit mißbilli¬ genden Blicken. Die spätere Entwicklung dieses großen und festen Geistes hat er nicht mehr erlebt. Er starb am 2. December 1844 an Ueberanstrengung aller seiner Kräfte, bis zum letzten Augenblicke hatte er gestrebt sie für seinen Beruf nutzbar zu machen. Er, der in seiner Jugend gegen das Zuvielregieren der Beamten geeifert hatte, war in spätern Jahren in gewisser Weise und in bester Absicht Autokrat geworden. Er wollte mit väterlicher Sorge das Kleinste wie das Größte in seinein Bezirke selbst leiten und überwachen. Die vielgeschmähte, aber nirgends in strenger Ordnung und Rechtlichkeit übertroffene preußische Be¬ amtenmaschinerie, in der sich die besten Kräfte mit unvergleichlicher und unbe¬ greiflicher Selbstaufopferung geduldig abnutzen lassen, hatte auch ihn mit Leib und Seele erfaßt. Er nahm seine geliebten Actenstöße mit auf sein Sterbebett und wird stets als ein Musterbild eines preußischen Beamten anerkannt werden müssen. Als Familienvater war er eben so vortrefflich als glücklich; er hinterließ elf lebende Kinder, vier Söhne und sieben Töchter. Der berühmte Abgeordnete ist der älteste, er besitzt dieselbe Thatkraft, denselben Gemeinsinn wie sein Vater, und erbte von einer geistreichen Mutter mehr Schärfe und Consequenz des Ur¬ theils, mehr Präcision und Gewalt des Ausdrucks. Der zweite Sohn ist ein talentvoller Dichter, der jüngste bethätigt seinen strebsamen Sinn, seinen eben¬ bürtigen Villele'schen Geist in diesem Augenblick durch eine Reise nach Amerika zu wissenschaftlichen Zwecken. Die Töchter haben in die ersten Familien des Lan¬ des geheirathet. Uebrigens ist diese Linie der Freiherrn Vincke nicht verwandt mit dem gleichnamigen Major v. Vincke, Abgeordneten der ersten Kammer in Berlin. Es ist ein seltsamer Zufall, daß so manche der jetzt vielgenannten Per¬ sönlichkeiten in Münster ein Stuck Lebensgeschichte stehen haben. So haben außer dem berühmten Abgeordneten Vincke, der seine Kinder- und Jugendjahre auf dem hiesigen Schlosse zugebracht hat, auch die Exminister Schreckenstein und Pfuel hier jahrelang gelebt, auch General Wrangel's Aufenthalt steht hier noch in leb¬ hafter Erinnerung. Er war hier zur Zeit der sogenannten Kölner Wirren, in deren Folge Münster sich durch einen Aufruhr auszeichnete. Man zeigt hier noch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/132
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/132>, abgerufen am 15.01.2025.