Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.rief, läßt sich schwer beschreiben, Flottwell würde buchstäblich zerrissen worden sein, Flottwell's Vorgänger im Amte war der berühmte alte Vincke, Vater des 17*
rief, läßt sich schwer beschreiben, Flottwell würde buchstäblich zerrissen worden sein, Flottwell's Vorgänger im Amte war der berühmte alte Vincke, Vater des 17*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278641"/> <p xml:id="ID_393" prev="#ID_392"> rief, läßt sich schwer beschreiben, Flottwell würde buchstäblich zerrissen worden sein,<lb/> hätte er gewagt hierher zu kommen. Carrikaturen und Spottlieder sind uoch jetzt<lb/> im Munde der Straßenjugend, das unschuldigste ist noch: „Schleswig Holstein<lb/> stammverwandt, Flottwell hat sich den Mund verbrannt!" Dies ist wirklich Volks-<lb/> witz, denn der Mißgriff, sich die ganze katholische Bevölkerung Westphalens zu ver¬<lb/> feinden , war eben nur Uebereilung und ist aufrichtiger und naiver bereut worden,<lb/> als es einem Staatsmanne geziemt. Flottwell hat gegen den Bischof und mehrere<lb/> Geistliche seine Unterschrift mit Unkenntniß des Inhalt jener Petition zu rechtfertige»<lb/> gesucht; doch hat dies die Gemüther nicht versöhnt und es wird ihm schwerlich geliu^<lb/> gen, seine Existenz in Münster wieder zu befestigen, denn man scheint in Berlin mehr<lb/> Rücksicht auf den katholischen Klerus zu nehmen, als dieser selbst glauben will.</p><lb/> <p xml:id="ID_394" next="#ID_395"> Flottwell's Vorgänger im Amte war der berühmte alte Vincke, Vater des<lb/> bekannten Deputirten, ein würdiger Vater des edlen Sohnes. Schon als Jüng¬<lb/> ling schwärmte er wie dieser für das englische Vorbild einer volksthümlichen Ver¬<lb/> fassung, für Selbstregierung der Bürger und patriotische Aufopferung der Aristo¬<lb/> kraten. Sein klassisches Büchlein: „Darstellung der innern Verwaltung Gro߬<lb/> britanniens, 1815," von Niebuhr herausgegeben, legt seine Ansichten in sehr<lb/> merkwürdigen und kühnen Erörterungen dar. Man fühlt den Pulsschlag der da¬<lb/> maligen Freiheitsregungen Deutschlands heraus. Nachdem Vinde vom französischen<lb/> Despotismus verfolgt war, wie sei» Freund Stein, wurde er bei der Neoccnpa-<lb/> tion Oberpräsident in Münster und zeichnete sich nochmals als Führer des Land¬<lb/> sturms aus, als Napoleon von Elba zurückkehrte. Aus dieser militärischen Wirk¬<lb/> samkeit stammte als bescheidenstes Abzeichen eine alte Soldateumütze, die Vincke<lb/> fortwährend trug, er mochte im Frack vor dem Könige erscheinen oder im blauen<lb/> Kittel als Chef der Provinz eine Dienstreise unternehmen. Seine unbeschnittene<lb/> Originalität zeigte sich deutlich auch in seiner äußern Erscheinung, von seiner<lb/> Haltung und Kleidung ließ sich dieselbe Beschreibung machen, wie Schiller zur<lb/> Zeit des Jena'schen Zusammenlebens einmal von Wilhelm Humboldt freundschaftlich<lb/> schrieb: „er sah im besten Anzüge höchstens ans wie ein reputirlicher Schneider."<lb/> Gemüthlicher war sein Anblick, wenn er auf Reisen den blauen Fubrmannölittcl<lb/> trug, wie er im Münsterlande gebräuchlich ist, die Militärmütze auf dem starken<lb/> grauen Haar, die kurze Pfeife im Munde und, den Knotenstock in der Hand wan¬<lb/> derte er oft meilenweit zu Fuß oder fuhr mit der ordinäre,, Post. Nicht selten<lb/> hielt man ihn für einen schlichten Bauersmann und höchst ergötzliche Mythen<lb/> knüpfen sich an derartige Verwechselungen. So kommt er z. B. einmal zu einer<lb/> Beamtenfamilie in einem kleinen Städtchen, die ihn unbekannterweise als ihren<lb/> Wohlthäter verehrt, und bei der Kunde, daß er in dem Kreise erwartet wird,<lb/> ihm mit Herzklopfen und Festkleidern entgegensteht; als der kleine Mann mit dem<lb/> freundlichen breiten Gesicht und dem blauen Kittel im Hanse erscheint, führt ihn<lb/> die Hausfrau eilig und nicht sehr höflich in den Kuhstall, weil sie ihn für einen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 17*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0131]
rief, läßt sich schwer beschreiben, Flottwell würde buchstäblich zerrissen worden sein,
hätte er gewagt hierher zu kommen. Carrikaturen und Spottlieder sind uoch jetzt
im Munde der Straßenjugend, das unschuldigste ist noch: „Schleswig Holstein
stammverwandt, Flottwell hat sich den Mund verbrannt!" Dies ist wirklich Volks-
witz, denn der Mißgriff, sich die ganze katholische Bevölkerung Westphalens zu ver¬
feinden , war eben nur Uebereilung und ist aufrichtiger und naiver bereut worden,
als es einem Staatsmanne geziemt. Flottwell hat gegen den Bischof und mehrere
Geistliche seine Unterschrift mit Unkenntniß des Inhalt jener Petition zu rechtfertige»
gesucht; doch hat dies die Gemüther nicht versöhnt und es wird ihm schwerlich geliu^
gen, seine Existenz in Münster wieder zu befestigen, denn man scheint in Berlin mehr
Rücksicht auf den katholischen Klerus zu nehmen, als dieser selbst glauben will.
Flottwell's Vorgänger im Amte war der berühmte alte Vincke, Vater des
bekannten Deputirten, ein würdiger Vater des edlen Sohnes. Schon als Jüng¬
ling schwärmte er wie dieser für das englische Vorbild einer volksthümlichen Ver¬
fassung, für Selbstregierung der Bürger und patriotische Aufopferung der Aristo¬
kraten. Sein klassisches Büchlein: „Darstellung der innern Verwaltung Gro߬
britanniens, 1815," von Niebuhr herausgegeben, legt seine Ansichten in sehr
merkwürdigen und kühnen Erörterungen dar. Man fühlt den Pulsschlag der da¬
maligen Freiheitsregungen Deutschlands heraus. Nachdem Vinde vom französischen
Despotismus verfolgt war, wie sei» Freund Stein, wurde er bei der Neoccnpa-
tion Oberpräsident in Münster und zeichnete sich nochmals als Führer des Land¬
sturms aus, als Napoleon von Elba zurückkehrte. Aus dieser militärischen Wirk¬
samkeit stammte als bescheidenstes Abzeichen eine alte Soldateumütze, die Vincke
fortwährend trug, er mochte im Frack vor dem Könige erscheinen oder im blauen
Kittel als Chef der Provinz eine Dienstreise unternehmen. Seine unbeschnittene
Originalität zeigte sich deutlich auch in seiner äußern Erscheinung, von seiner
Haltung und Kleidung ließ sich dieselbe Beschreibung machen, wie Schiller zur
Zeit des Jena'schen Zusammenlebens einmal von Wilhelm Humboldt freundschaftlich
schrieb: „er sah im besten Anzüge höchstens ans wie ein reputirlicher Schneider."
Gemüthlicher war sein Anblick, wenn er auf Reisen den blauen Fubrmannölittcl
trug, wie er im Münsterlande gebräuchlich ist, die Militärmütze auf dem starken
grauen Haar, die kurze Pfeife im Munde und, den Knotenstock in der Hand wan¬
derte er oft meilenweit zu Fuß oder fuhr mit der ordinäre,, Post. Nicht selten
hielt man ihn für einen schlichten Bauersmann und höchst ergötzliche Mythen
knüpfen sich an derartige Verwechselungen. So kommt er z. B. einmal zu einer
Beamtenfamilie in einem kleinen Städtchen, die ihn unbekannterweise als ihren
Wohlthäter verehrt, und bei der Kunde, daß er in dem Kreise erwartet wird,
ihm mit Herzklopfen und Festkleidern entgegensteht; als der kleine Mann mit dem
freundlichen breiten Gesicht und dem blauen Kittel im Hanse erscheint, führt ihn
die Hausfrau eilig und nicht sehr höflich in den Kuhstall, weil sie ihn für einen
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