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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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stammende badische Preßgesetz war die conäitio sine qu-r von der "Deutschen Zei¬
tung", ihre Entstehung aber und ihr ganz individueller Charakter ist allem aus
dem glücklichen Zusammentreffen einiger eng befreundeter Männer herzuleiten.
Den äußeren Thatsachen nach ist zwar dieses Blatt auf einer im Herbst 1846
stattfindenden Besprechung einer Anzahl Ständemitgliedcr ans den verschiedenen
Ländern über die Lage des Gesammtvaterlaudes, welcher sich verschiedene andere
angesehne Publicisten anschlössen, zuerst "erdacht" worden, d. h. das Bedürfniß
nach einem unabhängigen, in's Gewicht fallenden Organe stellte sich als zu dringend
heraus, als daß man nicht ans seine Befriedigung hätte hinarbeiten müssen, und
dem Anscheine nach fanden sich auch dazu eine hinreichende Menge geeigneter
Kräfte. Allein während Gervinus ernstlich zur Verwirklichung des gefaßten
Gedankens schritt, zeigte es sich nnr zu bald, wie er in seinem ersten leitenden Artikel
schreibt, "daß der wirklich tüchtigen activen Kräfte in Deutschland noch viel zu
wenige sind, daß die vielen Passiver weder den Begriff noch die Neigung einer
Parteistellung haben, daß die Meisten auch der Gleichgesinnten und Fähigen sich
wohl ein Blatt in ihrem Sinne gefallen lassen, aber Nichts dazu thun wollen."
Obgleich es bei den immer drohender heranziehenden Gewitterwolken so dringend
Noth that, sich zu einer festgeschlossenen Partei zu organisiren, obgleich es die
höchste Zeit war, fortan "nicht mehr die Schicksale des Vaterlandes dem blinden
Zufalle und der blinden Leidenschaft preiszugeben", fehlte doch so Mancher der
beschlossenen That.

So wurde denn die "Deutsche Zeitung" recht eigentlich ein Heidelberger
Kind. Mit wenigen Ausnahmen waren es Gervinus nächste Freunde aus seiner
unmittelbarsten Umgebung, ein Vangerow, ein Herle, ein Pfeufser, welche
durch ihre Geldmittel den Anfang des Unternehmens möglich machten. Da ihm
dieser Freundeskreis das Blatt ohne alle weitere Bedingung übergab, konnte er
demselben jenes individuelle Gepräge aufdrücken, jene unerschütterliche Konsequenz
erhalten, welche es nach kurzer Zeit seines Bestandes zum ersten Journal Deutsch¬
lands emporhob. Gervinus ist eine freie, edle Natur, ein harmonisch in sich
vollendeter Mensch, wie es auf dieser Stufe geistiger Ausbildung wohl schwerlich
in Deutschland zum zweite" Male angetroffen wird. Er gehört zu den wenigen
Sterblichen, denen es der erste Blick ansieht, daß sie nie einer niederen Leiden¬
schaft gestöhnt haben und daß selbst die gewöhnlichen kleinen Genüsse -- los vitio"
muimres wie sie der feine Castilianer nennt -- ihnen als nicht der Beachtung
werth fremd geblieben sind. Man kann ein äußerst tüchtiges geistvolles Mitglied
der menschlichen Gesellschaft sein und doch lieber besser als gut essen oder eine
Upman, als eine Cumanacoa rauchen, man kann der beste Gatte, der liebens¬
würdigste Familienvater sein und dessenungeachtet "unter uns" hie und da in aller
Breite ein Gespräch sichren, dem weder Gattin noch Tochter beiwohnen dürfte;
einen durchweg edlen Menschen legt aber ein unmittelbares Gefühl in uns, keine


stammende badische Preßgesetz war die conäitio sine qu-r von der „Deutschen Zei¬
tung", ihre Entstehung aber und ihr ganz individueller Charakter ist allem aus
dem glücklichen Zusammentreffen einiger eng befreundeter Männer herzuleiten.
Den äußeren Thatsachen nach ist zwar dieses Blatt auf einer im Herbst 1846
stattfindenden Besprechung einer Anzahl Ständemitgliedcr ans den verschiedenen
Ländern über die Lage des Gesammtvaterlaudes, welcher sich verschiedene andere
angesehne Publicisten anschlössen, zuerst „erdacht" worden, d. h. das Bedürfniß
nach einem unabhängigen, in's Gewicht fallenden Organe stellte sich als zu dringend
heraus, als daß man nicht ans seine Befriedigung hätte hinarbeiten müssen, und
dem Anscheine nach fanden sich auch dazu eine hinreichende Menge geeigneter
Kräfte. Allein während Gervinus ernstlich zur Verwirklichung des gefaßten
Gedankens schritt, zeigte es sich nnr zu bald, wie er in seinem ersten leitenden Artikel
schreibt, „daß der wirklich tüchtigen activen Kräfte in Deutschland noch viel zu
wenige sind, daß die vielen Passiver weder den Begriff noch die Neigung einer
Parteistellung haben, daß die Meisten auch der Gleichgesinnten und Fähigen sich
wohl ein Blatt in ihrem Sinne gefallen lassen, aber Nichts dazu thun wollen."
Obgleich es bei den immer drohender heranziehenden Gewitterwolken so dringend
Noth that, sich zu einer festgeschlossenen Partei zu organisiren, obgleich es die
höchste Zeit war, fortan „nicht mehr die Schicksale des Vaterlandes dem blinden
Zufalle und der blinden Leidenschaft preiszugeben", fehlte doch so Mancher der
beschlossenen That.

So wurde denn die „Deutsche Zeitung" recht eigentlich ein Heidelberger
Kind. Mit wenigen Ausnahmen waren es Gervinus nächste Freunde aus seiner
unmittelbarsten Umgebung, ein Vangerow, ein Herle, ein Pfeufser, welche
durch ihre Geldmittel den Anfang des Unternehmens möglich machten. Da ihm
dieser Freundeskreis das Blatt ohne alle weitere Bedingung übergab, konnte er
demselben jenes individuelle Gepräge aufdrücken, jene unerschütterliche Konsequenz
erhalten, welche es nach kurzer Zeit seines Bestandes zum ersten Journal Deutsch¬
lands emporhob. Gervinus ist eine freie, edle Natur, ein harmonisch in sich
vollendeter Mensch, wie es auf dieser Stufe geistiger Ausbildung wohl schwerlich
in Deutschland zum zweite» Male angetroffen wird. Er gehört zu den wenigen
Sterblichen, denen es der erste Blick ansieht, daß sie nie einer niederen Leiden¬
schaft gestöhnt haben und daß selbst die gewöhnlichen kleinen Genüsse — los vitio»
muimres wie sie der feine Castilianer nennt — ihnen als nicht der Beachtung
werth fremd geblieben sind. Man kann ein äußerst tüchtiges geistvolles Mitglied
der menschlichen Gesellschaft sein und doch lieber besser als gut essen oder eine
Upman, als eine Cumanacoa rauchen, man kann der beste Gatte, der liebens¬
würdigste Familienvater sein und dessenungeachtet „unter uns" hie und da in aller
Breite ein Gespräch sichren, dem weder Gattin noch Tochter beiwohnen dürfte;
einen durchweg edlen Menschen legt aber ein unmittelbares Gefühl in uns, keine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/122>, abgerufen am 15.01.2025.