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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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gen, die bereits anderswoher in die moderne philosophische Bildung eingeführt sind,
Noch besitzt er die Kunst in der Geschichte der Philosophie zur Untersuchung schwie¬
riger historischer Fragen anzuregen. Es fehlt ihm dazu theils an Lebendigkeit,
vielmehr ist über seinen Vortrag eine etwas ermüdende Monotonie ausgebreitet;
theils an der Schärfe, durch die gerade das Widersprechende und Problemartige
bestimmt hervorgehoben wird. Er ersetzt diese Mängel einigermaßen dadurch, daß
er dem Schüler zu einer für den Anfang hinreichenden Masse positiver Kenntnisse
behilft.

Propaganda für seine eigenen philosophischen Ansichten macht er wohl nicht.
Wir glauben darin das Geständnis) zu finden, daß er selbst von der Dauerhaftig¬
keit derselben nicht allzufest überzeugt ist. Auch gibt er selbst seine logischen
Untersuchungen als etwas Unfertiges, als eine Verbreitung für eine spätere
systematische Darstellung dieses Theils der Philosophie. Die logischen Unter¬
suchungen haben den Charakter, den überhaupt die Philosophie der neusten Zeit
trägt, den des Zerfahrenen und Aufladen. Man sucht neue Wege, neue Princi¬
pien, ohne daß mau die Kraft hätte, etwas schlagendes und Durchgreifendes,
etwas Festes und Konsequentes zu gewinnen. Es geht ihm so, wie den meisten
Andern, daß er Vieles als unrichtig erkannt hat, was noch vor kurzem als höchste
Wahrheit galt, während seine eigenen positiven Ansichten meist so beschaffen sind,
daß sie noch viel schneller der Zerstörung erliegen müssen.

Als einen Vorzug muß mau es betrachten, daß Trendelenburg sich von dem
bei den neuer" Philosophen herrschenden abstracten Phrasenreichthum emancipirt
hat. Er spricht menschlich und doch stets als Philosoph. Den Gegensatz zwischen
ihm und den meisten Andern kann man prägnant kennen lernen, wenn man die
Streitschriften zwischen ihm und Gabler, dem Althegelianer, liest. Auch zeichnen
sich seine logischen Untersuchungen oft durch Klarheit und Einfachheit ans, so daß sie
bei den Studirenden, denen es nnr um eine oberflächliche Kenntniß der Philoso¬
phie zu thun ist, vielen Beifall zu finden pflegen. Doch spielt ihm auch in der
Sprache und Darstellung die Sucht, Alles zu erreichen, einen Streich. Er will
nicht blos gut, er will auch schön schreiben; er meint, auch die Philosophie dürfe
des zarten Duftes der belletristischen Ausdrucksweise nicht entbehren. Seine oft
blumigen Redewendungen machen in philosophischen Untersuchungen einen uner¬
quicklichen Eindruck, sie sind affectirt und gesucht.

In neuester Zeit hat auch Trendelenburg versucht, am politischen Leben Theil
!n nehmen. Er hat sich dazu vielleicht berufen gefühlt, durch seine philosophische
Gesinnung, d. h. durch die Einsicht, daß das Maaß und das Mittlere zwischen
Extremen das Beste sei. Von diesen- Geist sind, namentlich in der ausge¬
ben, dem Fanatismus der Abstractionen sich zuneigenden Gegenwart, Wenige
^Seele. Wer solche Richtung in sich fühlt, hat mehr,'als viele Andere, den Ruf,
w Streit der Parteien sich nicht zu entziehen, selbst wenn seine Mäßigung zu-


gen, die bereits anderswoher in die moderne philosophische Bildung eingeführt sind,
Noch besitzt er die Kunst in der Geschichte der Philosophie zur Untersuchung schwie¬
riger historischer Fragen anzuregen. Es fehlt ihm dazu theils an Lebendigkeit,
vielmehr ist über seinen Vortrag eine etwas ermüdende Monotonie ausgebreitet;
theils an der Schärfe, durch die gerade das Widersprechende und Problemartige
bestimmt hervorgehoben wird. Er ersetzt diese Mängel einigermaßen dadurch, daß
er dem Schüler zu einer für den Anfang hinreichenden Masse positiver Kenntnisse
behilft.

Propaganda für seine eigenen philosophischen Ansichten macht er wohl nicht.
Wir glauben darin das Geständnis) zu finden, daß er selbst von der Dauerhaftig¬
keit derselben nicht allzufest überzeugt ist. Auch gibt er selbst seine logischen
Untersuchungen als etwas Unfertiges, als eine Verbreitung für eine spätere
systematische Darstellung dieses Theils der Philosophie. Die logischen Unter¬
suchungen haben den Charakter, den überhaupt die Philosophie der neusten Zeit
trägt, den des Zerfahrenen und Aufladen. Man sucht neue Wege, neue Princi¬
pien, ohne daß mau die Kraft hätte, etwas schlagendes und Durchgreifendes,
etwas Festes und Konsequentes zu gewinnen. Es geht ihm so, wie den meisten
Andern, daß er Vieles als unrichtig erkannt hat, was noch vor kurzem als höchste
Wahrheit galt, während seine eigenen positiven Ansichten meist so beschaffen sind,
daß sie noch viel schneller der Zerstörung erliegen müssen.

Als einen Vorzug muß mau es betrachten, daß Trendelenburg sich von dem
bei den neuer» Philosophen herrschenden abstracten Phrasenreichthum emancipirt
hat. Er spricht menschlich und doch stets als Philosoph. Den Gegensatz zwischen
ihm und den meisten Andern kann man prägnant kennen lernen, wenn man die
Streitschriften zwischen ihm und Gabler, dem Althegelianer, liest. Auch zeichnen
sich seine logischen Untersuchungen oft durch Klarheit und Einfachheit ans, so daß sie
bei den Studirenden, denen es nnr um eine oberflächliche Kenntniß der Philoso¬
phie zu thun ist, vielen Beifall zu finden pflegen. Doch spielt ihm auch in der
Sprache und Darstellung die Sucht, Alles zu erreichen, einen Streich. Er will
nicht blos gut, er will auch schön schreiben; er meint, auch die Philosophie dürfe
des zarten Duftes der belletristischen Ausdrucksweise nicht entbehren. Seine oft
blumigen Redewendungen machen in philosophischen Untersuchungen einen uner¬
quicklichen Eindruck, sie sind affectirt und gesucht.

In neuester Zeit hat auch Trendelenburg versucht, am politischen Leben Theil
!n nehmen. Er hat sich dazu vielleicht berufen gefühlt, durch seine philosophische
Gesinnung, d. h. durch die Einsicht, daß das Maaß und das Mittlere zwischen
Extremen das Beste sei. Von diesen- Geist sind, namentlich in der ausge¬
ben, dem Fanatismus der Abstractionen sich zuneigenden Gegenwart, Wenige
^Seele. Wer solche Richtung in sich fühlt, hat mehr,'als viele Andere, den Ruf,
w Streit der Parteien sich nicht zu entziehen, selbst wenn seine Mäßigung zu-


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[0107] gen, die bereits anderswoher in die moderne philosophische Bildung eingeführt sind, Noch besitzt er die Kunst in der Geschichte der Philosophie zur Untersuchung schwie¬ riger historischer Fragen anzuregen. Es fehlt ihm dazu theils an Lebendigkeit, vielmehr ist über seinen Vortrag eine etwas ermüdende Monotonie ausgebreitet; theils an der Schärfe, durch die gerade das Widersprechende und Problemartige bestimmt hervorgehoben wird. Er ersetzt diese Mängel einigermaßen dadurch, daß er dem Schüler zu einer für den Anfang hinreichenden Masse positiver Kenntnisse behilft. Propaganda für seine eigenen philosophischen Ansichten macht er wohl nicht. Wir glauben darin das Geständnis) zu finden, daß er selbst von der Dauerhaftig¬ keit derselben nicht allzufest überzeugt ist. Auch gibt er selbst seine logischen Untersuchungen als etwas Unfertiges, als eine Verbreitung für eine spätere systematische Darstellung dieses Theils der Philosophie. Die logischen Unter¬ suchungen haben den Charakter, den überhaupt die Philosophie der neusten Zeit trägt, den des Zerfahrenen und Aufladen. Man sucht neue Wege, neue Princi¬ pien, ohne daß mau die Kraft hätte, etwas schlagendes und Durchgreifendes, etwas Festes und Konsequentes zu gewinnen. Es geht ihm so, wie den meisten Andern, daß er Vieles als unrichtig erkannt hat, was noch vor kurzem als höchste Wahrheit galt, während seine eigenen positiven Ansichten meist so beschaffen sind, daß sie noch viel schneller der Zerstörung erliegen müssen. Als einen Vorzug muß mau es betrachten, daß Trendelenburg sich von dem bei den neuer» Philosophen herrschenden abstracten Phrasenreichthum emancipirt hat. Er spricht menschlich und doch stets als Philosoph. Den Gegensatz zwischen ihm und den meisten Andern kann man prägnant kennen lernen, wenn man die Streitschriften zwischen ihm und Gabler, dem Althegelianer, liest. Auch zeichnen sich seine logischen Untersuchungen oft durch Klarheit und Einfachheit ans, so daß sie bei den Studirenden, denen es nnr um eine oberflächliche Kenntniß der Philoso¬ phie zu thun ist, vielen Beifall zu finden pflegen. Doch spielt ihm auch in der Sprache und Darstellung die Sucht, Alles zu erreichen, einen Streich. Er will nicht blos gut, er will auch schön schreiben; er meint, auch die Philosophie dürfe des zarten Duftes der belletristischen Ausdrucksweise nicht entbehren. Seine oft blumigen Redewendungen machen in philosophischen Untersuchungen einen uner¬ quicklichen Eindruck, sie sind affectirt und gesucht. In neuester Zeit hat auch Trendelenburg versucht, am politischen Leben Theil !n nehmen. Er hat sich dazu vielleicht berufen gefühlt, durch seine philosophische Gesinnung, d. h. durch die Einsicht, daß das Maaß und das Mittlere zwischen Extremen das Beste sei. Von diesen- Geist sind, namentlich in der ausge¬ ben, dem Fanatismus der Abstractionen sich zuneigenden Gegenwart, Wenige ^Seele. Wer solche Richtung in sich fühlt, hat mehr,'als viele Andere, den Ruf, w Streit der Parteien sich nicht zu entziehen, selbst wenn seine Mäßigung zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/107>, abgerufen am 15.01.2025.