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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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die Gunst ihrer Zuhörer buhlen; er hält sich an die Sache, und wenn sein Vor.
trag den Fragendes praktischen Lebeus sich zuwendet, so äußert er sich darüber
Mist und ruhig, aber freilich auch zu vermittelnd und unbestimmt.

Wie gesagt, ist Trendelenburg halb Philosoph, halb Philolog. Er hat dies
nicht nur durch die Herausgabe einer Schrift des Aristoteles gezeigt, die, in latei¬
nischer Sprache abgefaßt, eiuen philosophischen Gegenstand in den Formen philo¬
logischer Interpretation behandelt, sondern es liegt auch in seiner Art und Weise
des Studiums etwas Philologisches, die Emsigkeit und Gründlichkeit im Sam¬
meln des Details, die so recht eigentlich das Wesen der philologischen Thätigkeit
ausmacht. Wenn der Historiker, um die weiten Räume der Weltgeschichte durch-
messen zu können, aus dem riesenhaften Material, das seineu Forschungen zu
Grunde liegt, die großen Verhältnisse herausnimmt, wenn der Philosoph in eben
derselben Weise in einem noch weiter" Gebiete des Wissens verfährt, so besteht
das Geschäft des Philologen, der es stets mit der Erklärung eiues einzelnen
Denkmals der Literatur zu thun hat, in der Sorgfältigkeit und Genauigkeit, der
auch das Geringfügigste nicht zu unbedeutend scheint. Daß Trendelenburg dieser
Richtung uicht fremd ist, gibt sich zu erkennen in seinen Abhandlungen über ein¬
zelne Begriffe der Aristotelischen Philosophie, namentlich in seiner den Stoff voll¬
ständig erschöpfenden Schrift über die Kategorien des Aristoteles. Mit diesem
Verfahren würde er aber zu nichts Weiterem kommeu, als zu Monographien
über Abschnitte der Geschichte der Philosophie, und er macht Anspurch daraus,
nicht nur das ganze Gebiet der Geschichte der Philosophie zu beherrschen, sondern
auch der Gründer oder Vorbereiter eines eigenen Systems zu sein, das er in
die verschiedenen realen Wissenschaften hineinzuführen gedenkt. Denn ihm ist die
Philosophie nicht etwas Abstractes, das, getrennt von den empirischen Wissen¬
schaften, ein eignes Leben führte; sie ist ihm die Idee der Einheit alles Wissens
und stellt sich ihm daher dar in dem Leben der realen Wissenschaften selbst. --
Es scheint ihm indessen bis jetzt nicht gelungen zu sein, der Naturwissenschaften
und der Geschichte in dem Grade Herr zu werden, daß er eS versucht hätte auch
nur Vorlesungen darüber anzukündigen. Seine "logischen Untersuchungen" enthalten
manche Beispiele aus der Wissenschaft der Natur, die aber mir beweisen, daß
ihm dies Gebiet nicht ganz fremd geblieben ist. Der Geschichte hat er in seinem
bisherigen öffentlichen Auftreten noch gar keine Aufmerksamkeit zugewandt.

Wenn Trendelenburg's wissenschaftlicher Ruf vorzugsweise auf seinen Arbeiten
über einzelne Theile der Aristotelischen Philosophie beruht, so besteht die hervor-,
tretendste Seite seiner akademischen Wirksamkeit in seinen Vorlesungen über Ge¬
schichte der Philosophie. Er gehört nicht zu deu Philosophen der historischen
Schule, die, durch ein falsches Verständniß Hegel's verleitet, ans dem Entwicke-
lungsgange der Philosophie das Princip eines höheren Systems ableiten zu müssen
glaube"; vielmehr hat er in seinen selbstständigen philosophischen Arbeiten einen


die Gunst ihrer Zuhörer buhlen; er hält sich an die Sache, und wenn sein Vor.
trag den Fragendes praktischen Lebeus sich zuwendet, so äußert er sich darüber
Mist und ruhig, aber freilich auch zu vermittelnd und unbestimmt.

Wie gesagt, ist Trendelenburg halb Philosoph, halb Philolog. Er hat dies
nicht nur durch die Herausgabe einer Schrift des Aristoteles gezeigt, die, in latei¬
nischer Sprache abgefaßt, eiuen philosophischen Gegenstand in den Formen philo¬
logischer Interpretation behandelt, sondern es liegt auch in seiner Art und Weise
des Studiums etwas Philologisches, die Emsigkeit und Gründlichkeit im Sam¬
meln des Details, die so recht eigentlich das Wesen der philologischen Thätigkeit
ausmacht. Wenn der Historiker, um die weiten Räume der Weltgeschichte durch-
messen zu können, aus dem riesenhaften Material, das seineu Forschungen zu
Grunde liegt, die großen Verhältnisse herausnimmt, wenn der Philosoph in eben
derselben Weise in einem noch weiter» Gebiete des Wissens verfährt, so besteht
das Geschäft des Philologen, der es stets mit der Erklärung eiues einzelnen
Denkmals der Literatur zu thun hat, in der Sorgfältigkeit und Genauigkeit, der
auch das Geringfügigste nicht zu unbedeutend scheint. Daß Trendelenburg dieser
Richtung uicht fremd ist, gibt sich zu erkennen in seinen Abhandlungen über ein¬
zelne Begriffe der Aristotelischen Philosophie, namentlich in seiner den Stoff voll¬
ständig erschöpfenden Schrift über die Kategorien des Aristoteles. Mit diesem
Verfahren würde er aber zu nichts Weiterem kommeu, als zu Monographien
über Abschnitte der Geschichte der Philosophie, und er macht Anspurch daraus,
nicht nur das ganze Gebiet der Geschichte der Philosophie zu beherrschen, sondern
auch der Gründer oder Vorbereiter eines eigenen Systems zu sein, das er in
die verschiedenen realen Wissenschaften hineinzuführen gedenkt. Denn ihm ist die
Philosophie nicht etwas Abstractes, das, getrennt von den empirischen Wissen¬
schaften, ein eignes Leben führte; sie ist ihm die Idee der Einheit alles Wissens
und stellt sich ihm daher dar in dem Leben der realen Wissenschaften selbst. —
Es scheint ihm indessen bis jetzt nicht gelungen zu sein, der Naturwissenschaften
und der Geschichte in dem Grade Herr zu werden, daß er eS versucht hätte auch
nur Vorlesungen darüber anzukündigen. Seine „logischen Untersuchungen" enthalten
manche Beispiele aus der Wissenschaft der Natur, die aber mir beweisen, daß
ihm dies Gebiet nicht ganz fremd geblieben ist. Der Geschichte hat er in seinem
bisherigen öffentlichen Auftreten noch gar keine Aufmerksamkeit zugewandt.

Wenn Trendelenburg's wissenschaftlicher Ruf vorzugsweise auf seinen Arbeiten
über einzelne Theile der Aristotelischen Philosophie beruht, so besteht die hervor-,
tretendste Seite seiner akademischen Wirksamkeit in seinen Vorlesungen über Ge¬
schichte der Philosophie. Er gehört nicht zu deu Philosophen der historischen
Schule, die, durch ein falsches Verständniß Hegel's verleitet, ans dem Entwicke-
lungsgange der Philosophie das Princip eines höheren Systems ableiten zu müssen
glaube«; vielmehr hat er in seinen selbstständigen philosophischen Arbeiten einen


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[0105] die Gunst ihrer Zuhörer buhlen; er hält sich an die Sache, und wenn sein Vor. trag den Fragendes praktischen Lebeus sich zuwendet, so äußert er sich darüber Mist und ruhig, aber freilich auch zu vermittelnd und unbestimmt. Wie gesagt, ist Trendelenburg halb Philosoph, halb Philolog. Er hat dies nicht nur durch die Herausgabe einer Schrift des Aristoteles gezeigt, die, in latei¬ nischer Sprache abgefaßt, eiuen philosophischen Gegenstand in den Formen philo¬ logischer Interpretation behandelt, sondern es liegt auch in seiner Art und Weise des Studiums etwas Philologisches, die Emsigkeit und Gründlichkeit im Sam¬ meln des Details, die so recht eigentlich das Wesen der philologischen Thätigkeit ausmacht. Wenn der Historiker, um die weiten Räume der Weltgeschichte durch- messen zu können, aus dem riesenhaften Material, das seineu Forschungen zu Grunde liegt, die großen Verhältnisse herausnimmt, wenn der Philosoph in eben derselben Weise in einem noch weiter» Gebiete des Wissens verfährt, so besteht das Geschäft des Philologen, der es stets mit der Erklärung eiues einzelnen Denkmals der Literatur zu thun hat, in der Sorgfältigkeit und Genauigkeit, der auch das Geringfügigste nicht zu unbedeutend scheint. Daß Trendelenburg dieser Richtung uicht fremd ist, gibt sich zu erkennen in seinen Abhandlungen über ein¬ zelne Begriffe der Aristotelischen Philosophie, namentlich in seiner den Stoff voll¬ ständig erschöpfenden Schrift über die Kategorien des Aristoteles. Mit diesem Verfahren würde er aber zu nichts Weiterem kommeu, als zu Monographien über Abschnitte der Geschichte der Philosophie, und er macht Anspurch daraus, nicht nur das ganze Gebiet der Geschichte der Philosophie zu beherrschen, sondern auch der Gründer oder Vorbereiter eines eigenen Systems zu sein, das er in die verschiedenen realen Wissenschaften hineinzuführen gedenkt. Denn ihm ist die Philosophie nicht etwas Abstractes, das, getrennt von den empirischen Wissen¬ schaften, ein eignes Leben führte; sie ist ihm die Idee der Einheit alles Wissens und stellt sich ihm daher dar in dem Leben der realen Wissenschaften selbst. — Es scheint ihm indessen bis jetzt nicht gelungen zu sein, der Naturwissenschaften und der Geschichte in dem Grade Herr zu werden, daß er eS versucht hätte auch nur Vorlesungen darüber anzukündigen. Seine „logischen Untersuchungen" enthalten manche Beispiele aus der Wissenschaft der Natur, die aber mir beweisen, daß ihm dies Gebiet nicht ganz fremd geblieben ist. Der Geschichte hat er in seinem bisherigen öffentlichen Auftreten noch gar keine Aufmerksamkeit zugewandt. Wenn Trendelenburg's wissenschaftlicher Ruf vorzugsweise auf seinen Arbeiten über einzelne Theile der Aristotelischen Philosophie beruht, so besteht die hervor-, tretendste Seite seiner akademischen Wirksamkeit in seinen Vorlesungen über Ge¬ schichte der Philosophie. Er gehört nicht zu deu Philosophen der historischen Schule, die, durch ein falsches Verständniß Hegel's verleitet, ans dem Entwicke- lungsgange der Philosophie das Princip eines höheren Systems ableiten zu müssen glaube«; vielmehr hat er in seinen selbstständigen philosophischen Arbeiten einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/105>, abgerufen am 15.01.2025.