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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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weit würde, wenn sie seine Werke übersähe, ein wesentliches Moment zum Ver¬
ständniß unsers liebenswürdigen Säculums abgehn.

Jene Tendenz versteckt sich bereits, wo man es am wenigsten vermuthen sollte,
im Namen. Gutzkow ist ein Schalk; er mystificirt das Publikum, noch ehe es
vor die Bretter tritt. Ottfried ist gar keine Person, kein reales Wesen, sondern
ein Abstractum, ein Mythus von der Doppelnatur eines Menschen im l9. Jahr¬
hundert. Die Sache verhält sich nämlich folgendermaßen.

Gottfried Eberlin, der Sohn eines frommen Predigers, hat von seinem Vater
nicht nur den Namen, sondern auch im Grunde seines Herzens eine gewisse spie߬
bürgerlich fromme Selbstbeschränkung empfangen, welche die angeborne gute Seite
seines Wesens ausmacht -- die Alice aus Robert dem Teufel oder das Lorle der
Madam Birchpfeiffer. Zugleich aber treibt ihn der Teufel des Hochmuths, er
quält sich mit jungen gräflichen und freiherrlichen Bonvivants herum, spielt, trinkt,
duellirt sich u. s. w., kurz, er lebt in der Creme der Gesellschaft. Als er eines
schönen Morgens sich Visitenkarten bestellt, überfällt ihn plötzlich von rechts und
links, von Alice und Bertram her, ein peinlicher Zweifel. Alice fragt, ernst mah¬
nend: ruht denn auch wirklich Gottes Friede der Art auf dir, daß dn dich mit
vollem Recht Gottfried nennen darfst? Bertram zischelt: ist der Mensch nicht
sein eigentlicher Schöpfer? soll er nicht, so wie er sein Schicksal und seinen Cha¬
rakter mit Freiheit aus sich heraus producirt, auch das Recht haben, seinen Namen
schöpferisch zu finden? Da beide Seiten in ihrem Resultat übereinstimmen, so ist
der Entschluß bald gefaßt; das G. wird gestrichen, und aus dem Gottfried wird
ein Ottfried.

Nach der Zeit verändert der Held zwar seine Lebensweise und seine Gesin¬
nungen -- davon später -- aber von den Visitenkarten bleibt ein Nest. Nun
soll er sich einer Dame von Welt vorstellen, deren Urtheil über sein künftiges
Schicksal entscheidend ist; sie hört: Gottfried Eberlin, Sohn eines Predigers!
Also natürlich ein linkischer, blasser, verkümmerter junger Mann mit langen blonden
Haaren, abgetragnen schwarzen Einsegnungsfrack und blödem Wesen; nun kommt
aber die Visitenkarte: nicht Gottfried, sondern Ottfried. Der Name weckt sofort
andere Vorstellungen; er klingt nobel, geistreich, etwas frivol, und demnach wird
auch die Person eine andere. Die Wiedergeburt des Jünglings war nicht voll¬
ständig, weil er nicht Zeit gewonnen hatte, sich neue Visitenkarten stechen zu lassen.

Endlich siegt sein besseres Ich; gedemüthigt und bekehrt, sinkt er seinem Lorle
in die Arme. Kann Ottfried sich herablassen, mich unbedeutendes Wesen zu lieben?
fragt das bescheidne Kind. Nicht Ottfried, sondern Gottfried! erwidert der Ge¬
liebte, der nun ganz sich selbst wieder gesunden hat.

Beiläufig bemerkt, könnte das Drama auch Götz heißen; denn auf diese Weise
alten die freiherrlichen Trinkgenossen des jungen Gelehrten seinen bürgerlichen


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weit würde, wenn sie seine Werke übersähe, ein wesentliches Moment zum Ver¬
ständniß unsers liebenswürdigen Säculums abgehn.

Jene Tendenz versteckt sich bereits, wo man es am wenigsten vermuthen sollte,
im Namen. Gutzkow ist ein Schalk; er mystificirt das Publikum, noch ehe es
vor die Bretter tritt. Ottfried ist gar keine Person, kein reales Wesen, sondern
ein Abstractum, ein Mythus von der Doppelnatur eines Menschen im l9. Jahr¬
hundert. Die Sache verhält sich nämlich folgendermaßen.

Gottfried Eberlin, der Sohn eines frommen Predigers, hat von seinem Vater
nicht nur den Namen, sondern auch im Grunde seines Herzens eine gewisse spie߬
bürgerlich fromme Selbstbeschränkung empfangen, welche die angeborne gute Seite
seines Wesens ausmacht — die Alice aus Robert dem Teufel oder das Lorle der
Madam Birchpfeiffer. Zugleich aber treibt ihn der Teufel des Hochmuths, er
quält sich mit jungen gräflichen und freiherrlichen Bonvivants herum, spielt, trinkt,
duellirt sich u. s. w., kurz, er lebt in der Creme der Gesellschaft. Als er eines
schönen Morgens sich Visitenkarten bestellt, überfällt ihn plötzlich von rechts und
links, von Alice und Bertram her, ein peinlicher Zweifel. Alice fragt, ernst mah¬
nend: ruht denn auch wirklich Gottes Friede der Art auf dir, daß dn dich mit
vollem Recht Gottfried nennen darfst? Bertram zischelt: ist der Mensch nicht
sein eigentlicher Schöpfer? soll er nicht, so wie er sein Schicksal und seinen Cha¬
rakter mit Freiheit aus sich heraus producirt, auch das Recht haben, seinen Namen
schöpferisch zu finden? Da beide Seiten in ihrem Resultat übereinstimmen, so ist
der Entschluß bald gefaßt; das G. wird gestrichen, und aus dem Gottfried wird
ein Ottfried.

Nach der Zeit verändert der Held zwar seine Lebensweise und seine Gesin¬
nungen — davon später — aber von den Visitenkarten bleibt ein Nest. Nun
soll er sich einer Dame von Welt vorstellen, deren Urtheil über sein künftiges
Schicksal entscheidend ist; sie hört: Gottfried Eberlin, Sohn eines Predigers!
Also natürlich ein linkischer, blasser, verkümmerter junger Mann mit langen blonden
Haaren, abgetragnen schwarzen Einsegnungsfrack und blödem Wesen; nun kommt
aber die Visitenkarte: nicht Gottfried, sondern Ottfried. Der Name weckt sofort
andere Vorstellungen; er klingt nobel, geistreich, etwas frivol, und demnach wird
auch die Person eine andere. Die Wiedergeburt des Jünglings war nicht voll¬
ständig, weil er nicht Zeit gewonnen hatte, sich neue Visitenkarten stechen zu lassen.

Endlich siegt sein besseres Ich; gedemüthigt und bekehrt, sinkt er seinem Lorle
in die Arme. Kann Ottfried sich herablassen, mich unbedeutendes Wesen zu lieben?
fragt das bescheidne Kind. Nicht Ottfried, sondern Gottfried! erwidert der Ge¬
liebte, der nun ganz sich selbst wieder gesunden hat.

Beiläufig bemerkt, könnte das Drama auch Götz heißen; denn auf diese Weise
alten die freiherrlichen Trinkgenossen des jungen Gelehrten seinen bürgerlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/99>, abgerufen am 23.12.2024.