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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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deren Grundstücke großentheils so sehr durch servitutem, durch Gespann- und
Handdienste belastet sind, daß eine Ablösung auf gesetzlichem Wege bis jetzt oft
zur Unmöglichkeit wurde. Die polnische Bevölkerung mußte ans ihrem Terrain
zusammengedrängt bleiben, weil ihre Sprache das übrige Schlesien zum Aus¬
land machte, die Folgen davon waren ein sehr niedriger Tagelohn, der ihnen
wenig andere Nahrung als Kartoffeln und Branntwein gestattete, nachlässige
Arbeit, elende Bewirthschaftung ihres Feldes, Verarmung und all der Fluch,
welcher mit der Armseligkeit in die Hütten einzieht. Selbst der große Aufschwung,
welchen die Berg- und Hüttenindustrie seit etwa zwanzig Jahren genommen hat,
gereichte dem polnischen Landmann mehr zum Fluch als zum Segen. Allerdings
war ihm Gelegenheit gegeben, durch zahlreiche Holz-, Kohlen- und Erzfuhren in
deu Herbst- und Wintermonaten einiges Geld zu verdienen, da aber die Freude
am Sparen und Erwerb in ihm noch nicht geweckt ist, so wurde er durch das
Leben auf der Landstraße ein liederlicher Säufer. Kamen nun Jahre, wie die
letztvergangenen, wo sein einziges Nahrungsmittel, die Kartoffel, mißrieth, so war
er jedem Elend "ut den scheußlichen Folgen des Hungers preisgegeben. Von der
Huugerpest Oberschlesiens haben die Zeitungen genug gemeldet. An den Grenzen
aber, wo slavische und deutsche Sprache zusammenstoßen, z. B. im Krcuzburger
und Nosenberger Kreise, haben wir gesehen, wie wüste Rohheit und nervöse Unruhe
die halb polnische halb deutsche Bevölkerung bis zum Mord und Aufruhr trieben.
Und fragt man, wie dieses Leiden zu heilen ist, so wird man nur ein Mittel
finden, Zwangsgesetze und eine Diktatur, welche ein schnelles Germanisiren der
polnischen Jngend bewirkt, dem Alter die Freiheit nimmt, sich durch eigene Schwäche
zu vernichten und die Möglichkeit gibt, freie Thätigkeit zu gewinnen.

Weit jünger ist der Ursprung eines andern socialen Trauerspiels, welches sich
in der schönen Natur des schlesischen Gebirges von der Graftschaft Glaz an bis
nahe an die sächsische Grenze in den laug gestreckten Thaldörfern und am Fuß
der Vorberge abspielt; das Schicksal der Leinwand- und Baumwollenweber und
Garnspinner, das Unglück von beiläufig 50,000 Familien und mehr als 200,000
Menschen. Wohl ist es hier uicht die Absicht, deu Leser durch detailirte Schilde¬
rungen menschlichen Elends zu quälen, er mag voraussetzen, daß an Einzelnen
alle Gräuel, welche die Literatur vor kurzer Zeit mit Vorliebe darstellte, zur Er¬
scheinung kommen. Aber belehrend ist es, dem Gange nachzuforschen, welchen das
Unheil da nimmt, wo es über große Richtungen industrieller Thätigkeit hereinbricht.

Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts blühte die Linnenweberet
in den Gebirgsdörfern schnell und üppig ans, unter den Dorfbewohnern entwickelte
sich eine zahlreiche Klasse von webenden Handarbeitern, welche großentheils ohne
Grundbesitz waren. Das Weben hatte die einfachen Formen des Handwerks; ein
Webstuhl, vielleicht zwei, standen in der Wohnstube, der Hausherr webte, die
Familienmitglieder besorgten die Nebenverrichtuugen. Der Flachs wurde roh oder


deren Grundstücke großentheils so sehr durch servitutem, durch Gespann- und
Handdienste belastet sind, daß eine Ablösung auf gesetzlichem Wege bis jetzt oft
zur Unmöglichkeit wurde. Die polnische Bevölkerung mußte ans ihrem Terrain
zusammengedrängt bleiben, weil ihre Sprache das übrige Schlesien zum Aus¬
land machte, die Folgen davon waren ein sehr niedriger Tagelohn, der ihnen
wenig andere Nahrung als Kartoffeln und Branntwein gestattete, nachlässige
Arbeit, elende Bewirthschaftung ihres Feldes, Verarmung und all der Fluch,
welcher mit der Armseligkeit in die Hütten einzieht. Selbst der große Aufschwung,
welchen die Berg- und Hüttenindustrie seit etwa zwanzig Jahren genommen hat,
gereichte dem polnischen Landmann mehr zum Fluch als zum Segen. Allerdings
war ihm Gelegenheit gegeben, durch zahlreiche Holz-, Kohlen- und Erzfuhren in
deu Herbst- und Wintermonaten einiges Geld zu verdienen, da aber die Freude
am Sparen und Erwerb in ihm noch nicht geweckt ist, so wurde er durch das
Leben auf der Landstraße ein liederlicher Säufer. Kamen nun Jahre, wie die
letztvergangenen, wo sein einziges Nahrungsmittel, die Kartoffel, mißrieth, so war
er jedem Elend »ut den scheußlichen Folgen des Hungers preisgegeben. Von der
Huugerpest Oberschlesiens haben die Zeitungen genug gemeldet. An den Grenzen
aber, wo slavische und deutsche Sprache zusammenstoßen, z. B. im Krcuzburger
und Nosenberger Kreise, haben wir gesehen, wie wüste Rohheit und nervöse Unruhe
die halb polnische halb deutsche Bevölkerung bis zum Mord und Aufruhr trieben.
Und fragt man, wie dieses Leiden zu heilen ist, so wird man nur ein Mittel
finden, Zwangsgesetze und eine Diktatur, welche ein schnelles Germanisiren der
polnischen Jngend bewirkt, dem Alter die Freiheit nimmt, sich durch eigene Schwäche
zu vernichten und die Möglichkeit gibt, freie Thätigkeit zu gewinnen.

Weit jünger ist der Ursprung eines andern socialen Trauerspiels, welches sich
in der schönen Natur des schlesischen Gebirges von der Graftschaft Glaz an bis
nahe an die sächsische Grenze in den laug gestreckten Thaldörfern und am Fuß
der Vorberge abspielt; das Schicksal der Leinwand- und Baumwollenweber und
Garnspinner, das Unglück von beiläufig 50,000 Familien und mehr als 200,000
Menschen. Wohl ist es hier uicht die Absicht, deu Leser durch detailirte Schilde¬
rungen menschlichen Elends zu quälen, er mag voraussetzen, daß an Einzelnen
alle Gräuel, welche die Literatur vor kurzer Zeit mit Vorliebe darstellte, zur Er¬
scheinung kommen. Aber belehrend ist es, dem Gange nachzuforschen, welchen das
Unheil da nimmt, wo es über große Richtungen industrieller Thätigkeit hereinbricht.

Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts blühte die Linnenweberet
in den Gebirgsdörfern schnell und üppig ans, unter den Dorfbewohnern entwickelte
sich eine zahlreiche Klasse von webenden Handarbeitern, welche großentheils ohne
Grundbesitz waren. Das Weben hatte die einfachen Formen des Handwerks; ein
Webstuhl, vielleicht zwei, standen in der Wohnstube, der Hausherr webte, die
Familienmitglieder besorgten die Nebenverrichtuugen. Der Flachs wurde roh oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/94>, abgerufen am 23.07.2024.