Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

-- lächerlich, wenn man uns nicht Eine Kammer gibt, diese aristorikratischen
Schmeißfliegen wollen regieren? Ha, ha, da hat das Volk auch noch was mit zu
reden!" Darauf hebt der Andere das Bierglas mit Pathos in die Höhe, setzt
an, thut einen tüchtigen Schluck und gibt seine volle Einstimmung dadurch zu
erkennen, daß er das Glas mit ungenauer Kraft auf den Tisch niedersetzt.

So friedlich und harmlos sich es noch vor den Maitagen beim "rothen
Igel" aus. In der Zeit, als noch der "Sicherheitsausschuß" die Regierungsge-
walt mit dem Ministerium theilte, kamen die Mitglieder dieser Wiener Vertranens-
behörde, deren Versammlungsort in dem Hause zum "rothen Igel", gelegen
war, auch in die Restauration gleichen Namens zu Tisch. Hier konnte mau die
Mächtigen des Tages, jene Dämpfer der Arbeiterbewegungen, die sorgsamen Hüter
für "Ruhe,, Ordnung und Wahrung der Volksrechte" nach vollbrachtem mühe¬
vollem Tagewerk ausruhen sehen. Hier saß dann abermals Fischhof als der um"
fichtige, würdige Präsident des Ausschusses, Goldmark, der unermüdliche Antrag¬
steller, öl. Schiel, der gewandte und wegen seiner frühern Dienste in Metternichs
Bureau als moderner Talleyrand verdächtigte Secretär. Ihnen reihten sich als
rastlose Mitregenten an Herr Freund, ein kleiner, praktischer Geschäftsmann,
später Mitglied des Gemcinderaths, Herr Fizia, ein Freund radikaler Reformen,
in unsern Tagen von Fürst Windischgrätz zu ILjähriger Schanzarbeit verurtheilt,
Herr Jägermeyer, Kaufmann vom Graben, der geschmeidige Zwischenträger zwi¬
schen den eifersüchtigen Gewalthabern des Magistrat- und Gemeiudeauöschusses und
des SicherheitsausschusseS, Fürst Naziwill, der kühne Vollstrecker der sicherheits-
ausschüßlichen Beschlüsse in privatrechtlichen Fällen, besonders verwendbar bei
Zwistigkeiten zwischen Bäckern, Fleischern und deren betrogenen Kunden, Dr.
Bach, Mi., Bruder des Ministers, der juridische Nothanker des Ausschusses in
verwickelten Rechtsfällen und Student Willner, der Abgott der Gallerten und der
Damenwelt. Der letztere war das Prototyp des Wiener Legionärs in der Blüthe¬
zeit seines Ansehens. Eine schöne, jugendliche Gestalt, glänzend schwarzes Auge,
langes Kopf- und Barthaar, offene zottige Brust, Sammetrock mit dem deutschen
Schwert um die Lenden, und ein golddurchwirktes schwarz-roth-gelbes Band über
die linke Schulter, eleganter Stürmer mit einer wallenden Straußenfeder.
Wenn Student Willner mit seiner tiefen Baßstimme, glühend von innerer Aufre¬
gung, zum Schlüsse einer schwierigen Debatte eine kurze, mit derben Worten aus¬
geschmückte Rede hielt, so fühlte der gesammte Sicherheitsausschuß, daß dieser
Jüngling Recht haben müsse und der Saal erdröhnte vom Beifall der klatschenden
Mitglieder und vom Gejauchze der Gallerien, und die Blumen und Sträußchen
von zarten Händen fielen dein schönen Jüngling auf's lockige Haupt. Daun hatte
der verständige Präsident eine halbe Stunde zu thun, durch die Glocke die Ruhe
und durch eine glückliche Wendung den verrückten Standpunkt der Debatte wieder
herzustellen. Willner war zugleich durch seine imponirende Gestalt und Stimme


— lächerlich, wenn man uns nicht Eine Kammer gibt, diese aristorikratischen
Schmeißfliegen wollen regieren? Ha, ha, da hat das Volk auch noch was mit zu
reden!" Darauf hebt der Andere das Bierglas mit Pathos in die Höhe, setzt
an, thut einen tüchtigen Schluck und gibt seine volle Einstimmung dadurch zu
erkennen, daß er das Glas mit ungenauer Kraft auf den Tisch niedersetzt.

So friedlich und harmlos sich es noch vor den Maitagen beim „rothen
Igel" aus. In der Zeit, als noch der „Sicherheitsausschuß" die Regierungsge-
walt mit dem Ministerium theilte, kamen die Mitglieder dieser Wiener Vertranens-
behörde, deren Versammlungsort in dem Hause zum „rothen Igel", gelegen
war, auch in die Restauration gleichen Namens zu Tisch. Hier konnte mau die
Mächtigen des Tages, jene Dämpfer der Arbeiterbewegungen, die sorgsamen Hüter
für „Ruhe,, Ordnung und Wahrung der Volksrechte" nach vollbrachtem mühe¬
vollem Tagewerk ausruhen sehen. Hier saß dann abermals Fischhof als der um»
fichtige, würdige Präsident des Ausschusses, Goldmark, der unermüdliche Antrag¬
steller, öl. Schiel, der gewandte und wegen seiner frühern Dienste in Metternichs
Bureau als moderner Talleyrand verdächtigte Secretär. Ihnen reihten sich als
rastlose Mitregenten an Herr Freund, ein kleiner, praktischer Geschäftsmann,
später Mitglied des Gemcinderaths, Herr Fizia, ein Freund radikaler Reformen,
in unsern Tagen von Fürst Windischgrätz zu ILjähriger Schanzarbeit verurtheilt,
Herr Jägermeyer, Kaufmann vom Graben, der geschmeidige Zwischenträger zwi¬
schen den eifersüchtigen Gewalthabern des Magistrat- und Gemeiudeauöschusses und
des SicherheitsausschusseS, Fürst Naziwill, der kühne Vollstrecker der sicherheits-
ausschüßlichen Beschlüsse in privatrechtlichen Fällen, besonders verwendbar bei
Zwistigkeiten zwischen Bäckern, Fleischern und deren betrogenen Kunden, Dr.
Bach, Mi., Bruder des Ministers, der juridische Nothanker des Ausschusses in
verwickelten Rechtsfällen und Student Willner, der Abgott der Gallerten und der
Damenwelt. Der letztere war das Prototyp des Wiener Legionärs in der Blüthe¬
zeit seines Ansehens. Eine schöne, jugendliche Gestalt, glänzend schwarzes Auge,
langes Kopf- und Barthaar, offene zottige Brust, Sammetrock mit dem deutschen
Schwert um die Lenden, und ein golddurchwirktes schwarz-roth-gelbes Band über
die linke Schulter, eleganter Stürmer mit einer wallenden Straußenfeder.
Wenn Student Willner mit seiner tiefen Baßstimme, glühend von innerer Aufre¬
gung, zum Schlüsse einer schwierigen Debatte eine kurze, mit derben Worten aus¬
geschmückte Rede hielt, so fühlte der gesammte Sicherheitsausschuß, daß dieser
Jüngling Recht haben müsse und der Saal erdröhnte vom Beifall der klatschenden
Mitglieder und vom Gejauchze der Gallerien, und die Blumen und Sträußchen
von zarten Händen fielen dein schönen Jüngling auf's lockige Haupt. Daun hatte
der verständige Präsident eine halbe Stunde zu thun, durch die Glocke die Ruhe
und durch eine glückliche Wendung den verrückten Standpunkt der Debatte wieder
herzustellen. Willner war zugleich durch seine imponirende Gestalt und Stimme


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278067"/>
            <p xml:id="ID_236" prev="#ID_235"> &#x2014; lächerlich, wenn man uns nicht Eine Kammer gibt, diese aristorikratischen<lb/>
Schmeißfliegen wollen regieren? Ha, ha, da hat das Volk auch noch was mit zu<lb/>
reden!" Darauf hebt der Andere das Bierglas mit Pathos in die Höhe, setzt<lb/>
an, thut einen tüchtigen Schluck und gibt seine volle Einstimmung dadurch zu<lb/>
erkennen, daß er das Glas mit ungenauer Kraft auf den Tisch niedersetzt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_237" next="#ID_238"> So friedlich und harmlos sich es noch vor den Maitagen beim &#x201E;rothen<lb/>
Igel" aus. In der Zeit, als noch der &#x201E;Sicherheitsausschuß" die Regierungsge-<lb/>
walt mit dem Ministerium theilte, kamen die Mitglieder dieser Wiener Vertranens-<lb/>
behörde, deren Versammlungsort in dem Hause zum &#x201E;rothen Igel", gelegen<lb/>
war, auch in die Restauration gleichen Namens zu Tisch. Hier konnte mau die<lb/>
Mächtigen des Tages, jene Dämpfer der Arbeiterbewegungen, die sorgsamen Hüter<lb/>
für &#x201E;Ruhe,, Ordnung und Wahrung der Volksrechte" nach vollbrachtem mühe¬<lb/>
vollem Tagewerk ausruhen sehen. Hier saß dann abermals Fischhof als der um»<lb/>
fichtige, würdige Präsident des Ausschusses, Goldmark, der unermüdliche Antrag¬<lb/>
steller, öl. Schiel, der gewandte und wegen seiner frühern Dienste in Metternichs<lb/>
Bureau als moderner Talleyrand verdächtigte Secretär. Ihnen reihten sich als<lb/>
rastlose Mitregenten an Herr Freund, ein kleiner, praktischer Geschäftsmann,<lb/>
später Mitglied des Gemcinderaths, Herr Fizia, ein Freund radikaler Reformen,<lb/>
in unsern Tagen von Fürst Windischgrätz zu ILjähriger Schanzarbeit verurtheilt,<lb/>
Herr Jägermeyer, Kaufmann vom Graben, der geschmeidige Zwischenträger zwi¬<lb/>
schen den eifersüchtigen Gewalthabern des Magistrat- und Gemeiudeauöschusses und<lb/>
des SicherheitsausschusseS, Fürst Naziwill, der kühne Vollstrecker der sicherheits-<lb/>
ausschüßlichen Beschlüsse in privatrechtlichen Fällen, besonders verwendbar bei<lb/>
Zwistigkeiten zwischen Bäckern, Fleischern und deren betrogenen Kunden, Dr.<lb/>
Bach, Mi., Bruder des Ministers, der juridische Nothanker des Ausschusses in<lb/>
verwickelten Rechtsfällen und Student Willner, der Abgott der Gallerten und der<lb/>
Damenwelt. Der letztere war das Prototyp des Wiener Legionärs in der Blüthe¬<lb/>
zeit seines Ansehens. Eine schöne, jugendliche Gestalt, glänzend schwarzes Auge,<lb/>
langes Kopf- und Barthaar, offene zottige Brust, Sammetrock mit dem deutschen<lb/>
Schwert um die Lenden, und ein golddurchwirktes schwarz-roth-gelbes Band über<lb/>
die linke Schulter, eleganter Stürmer mit einer wallenden Straußenfeder.<lb/>
Wenn Student Willner mit seiner tiefen Baßstimme, glühend von innerer Aufre¬<lb/>
gung, zum Schlüsse einer schwierigen Debatte eine kurze, mit derben Worten aus¬<lb/>
geschmückte Rede hielt, so fühlte der gesammte Sicherheitsausschuß, daß dieser<lb/>
Jüngling Recht haben müsse und der Saal erdröhnte vom Beifall der klatschenden<lb/>
Mitglieder und vom Gejauchze der Gallerien, und die Blumen und Sträußchen<lb/>
von zarten Händen fielen dein schönen Jüngling auf's lockige Haupt. Daun hatte<lb/>
der verständige Präsident eine halbe Stunde zu thun, durch die Glocke die Ruhe<lb/>
und durch eine glückliche Wendung den verrückten Standpunkt der Debatte wieder<lb/>
herzustellen. Willner war zugleich durch seine imponirende Gestalt und Stimme</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] — lächerlich, wenn man uns nicht Eine Kammer gibt, diese aristorikratischen Schmeißfliegen wollen regieren? Ha, ha, da hat das Volk auch noch was mit zu reden!" Darauf hebt der Andere das Bierglas mit Pathos in die Höhe, setzt an, thut einen tüchtigen Schluck und gibt seine volle Einstimmung dadurch zu erkennen, daß er das Glas mit ungenauer Kraft auf den Tisch niedersetzt. So friedlich und harmlos sich es noch vor den Maitagen beim „rothen Igel" aus. In der Zeit, als noch der „Sicherheitsausschuß" die Regierungsge- walt mit dem Ministerium theilte, kamen die Mitglieder dieser Wiener Vertranens- behörde, deren Versammlungsort in dem Hause zum „rothen Igel", gelegen war, auch in die Restauration gleichen Namens zu Tisch. Hier konnte mau die Mächtigen des Tages, jene Dämpfer der Arbeiterbewegungen, die sorgsamen Hüter für „Ruhe,, Ordnung und Wahrung der Volksrechte" nach vollbrachtem mühe¬ vollem Tagewerk ausruhen sehen. Hier saß dann abermals Fischhof als der um» fichtige, würdige Präsident des Ausschusses, Goldmark, der unermüdliche Antrag¬ steller, öl. Schiel, der gewandte und wegen seiner frühern Dienste in Metternichs Bureau als moderner Talleyrand verdächtigte Secretär. Ihnen reihten sich als rastlose Mitregenten an Herr Freund, ein kleiner, praktischer Geschäftsmann, später Mitglied des Gemcinderaths, Herr Fizia, ein Freund radikaler Reformen, in unsern Tagen von Fürst Windischgrätz zu ILjähriger Schanzarbeit verurtheilt, Herr Jägermeyer, Kaufmann vom Graben, der geschmeidige Zwischenträger zwi¬ schen den eifersüchtigen Gewalthabern des Magistrat- und Gemeiudeauöschusses und des SicherheitsausschusseS, Fürst Naziwill, der kühne Vollstrecker der sicherheits- ausschüßlichen Beschlüsse in privatrechtlichen Fällen, besonders verwendbar bei Zwistigkeiten zwischen Bäckern, Fleischern und deren betrogenen Kunden, Dr. Bach, Mi., Bruder des Ministers, der juridische Nothanker des Ausschusses in verwickelten Rechtsfällen und Student Willner, der Abgott der Gallerten und der Damenwelt. Der letztere war das Prototyp des Wiener Legionärs in der Blüthe¬ zeit seines Ansehens. Eine schöne, jugendliche Gestalt, glänzend schwarzes Auge, langes Kopf- und Barthaar, offene zottige Brust, Sammetrock mit dem deutschen Schwert um die Lenden, und ein golddurchwirktes schwarz-roth-gelbes Band über die linke Schulter, eleganter Stürmer mit einer wallenden Straußenfeder. Wenn Student Willner mit seiner tiefen Baßstimme, glühend von innerer Aufre¬ gung, zum Schlüsse einer schwierigen Debatte eine kurze, mit derben Worten aus¬ geschmückte Rede hielt, so fühlte der gesammte Sicherheitsausschuß, daß dieser Jüngling Recht haben müsse und der Saal erdröhnte vom Beifall der klatschenden Mitglieder und vom Gejauchze der Gallerien, und die Blumen und Sträußchen von zarten Händen fielen dein schönen Jüngling auf's lockige Haupt. Daun hatte der verständige Präsident eine halbe Stunde zu thun, durch die Glocke die Ruhe und durch eine glückliche Wendung den verrückten Standpunkt der Debatte wieder herzustellen. Willner war zugleich durch seine imponirende Gestalt und Stimme

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/79>, abgerufen am 23.07.2024.