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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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war der Mann des Vertrauens, und die Wiener ließen sich Essen und Trinken
als constitutionelle Staatsbürger und befreit vom Alp des geheimen Spitzelwesens
nochmals so gut schmecken. Zu dieser Zeit konnte man im rothen Igel an einem
großen Tische Männer zusammensitzen finden, welche sich im Laufe der kommenden
Monate als erbitterte Gegner gegenüberstanden. Ein bleicher Mann, kaum in
den Dreißigern, mit glattem, wenig markirten Gesicht, vorstehendem Kinn, vollem
blondem Haar und eckigen Körperbewegungen spricht lebhaft mit dem gegenüber¬
sitzenden Musiker Dr. Julius Becher, dessen blonde Locken und langer Bart sehr
hübsch zu dem schwarzen deutschen Rock paßten, in welchem die durchaus ehrliche
Haut des spätern "Radicalen" steckte. Ein beständiges Lächeln liegt auf- dem
Gesichte des erstgeschilderten jungen Mannes und gibt demselben nebst den stechen¬
den grauen Augen einen intelligenten, aber lauernden Ausdruck. Dr. Alexander
Bach, so heißt der junge Mann, ist bereits vor den Märztagen als ein tüchtiger
Liberaler bekannt gewesen und hatte Gelegenheit, auf größeren Reisen seine juri¬
dischen Studien auszubilden. Er ist daher als Advokat gesucht und in der ele¬
ganten Welt seiner geistreichen Einfälle wegen gern gesehen. An demselben Tische
hören wir noch Banernfeld mit Eifer und Witz die politischen Ereignisse besprechen,
Nebenan sitzen Dr. Banernschmidt, später Secretair des Wiener Bürgeranöschnsses,
und derzeit Mitglied der Frankfurter Linken, Dn. Tansenau, den später so be¬
rühmten Volksredner, einige conservative Mitglieder des Gemeiudeausschusses,
junge Juriste" und Uvclieinmv "lovloivs, welche wenige Wochen darauf zu den
Matadoren der Legion gezählt werden. Die Gespräche ergießen sich in heiterer,
lebendiger Weise über die Tagesereignisse, mau macht Conjnncturcn für und ge¬
gen eine Intervention Frankreichs in Italien, befürchtet eine Allianz mit Ru߬
land durch deu im Norden beliebten Grafen Fiquelmout, damals Minister deö
Auswärtigen und Ministerpräsident in Oestreich. Die Gesellschaft debattirt ohne
Leidenschaft und persönliche Aufregung, man sieht es deutlich, daß sich die Herren
noch an der ungewohnten Freiheit des öffentlichen Redens über politische und
Regierungsangelegenheiten aus voller Seele erfreuen.

In einem anderen Zimmer finden wir an einem Tische eine Zahl von k>--8
jungen Leuten, ans deren kordialer Unterhaltung hervorgeht, daß sie in engerm
Zusammenleben sich kennen gelernt. ES sind größtentheils Mediciner, theils "ab-
solvirte", theils "fertige Doctoren." Die hervorragendste Persönlichkeit und zu¬
gleich die politisch bedeutsamste unter ihnen ist Dr. Ad. Fischhof, kräftiger, gutge¬
nährter Körper, derbes Gesicht, aber mit seinen, sanften Zügen, intelligentes
blaues Auge, braunes Kopf- und Barthaar, ruhige Bewegung im Sprechen.
Neben ihm sehen wir ein paar graue Augen luchsartig hinter den Brillen her-
vorlugen, über diesen Augen eine schöngeformte hohe Stirne, welche nebst einem
tüchtigen Schnurrbärte dem übrigen fleischigen und rasirten Gesichte einen höhern
Ausdruck verleiht. .Das gescheitelte graue Haar läßt erkennen, daß Dr. Gold-


war der Mann des Vertrauens, und die Wiener ließen sich Essen und Trinken
als constitutionelle Staatsbürger und befreit vom Alp des geheimen Spitzelwesens
nochmals so gut schmecken. Zu dieser Zeit konnte man im rothen Igel an einem
großen Tische Männer zusammensitzen finden, welche sich im Laufe der kommenden
Monate als erbitterte Gegner gegenüberstanden. Ein bleicher Mann, kaum in
den Dreißigern, mit glattem, wenig markirten Gesicht, vorstehendem Kinn, vollem
blondem Haar und eckigen Körperbewegungen spricht lebhaft mit dem gegenüber¬
sitzenden Musiker Dr. Julius Becher, dessen blonde Locken und langer Bart sehr
hübsch zu dem schwarzen deutschen Rock paßten, in welchem die durchaus ehrliche
Haut des spätern „Radicalen" steckte. Ein beständiges Lächeln liegt auf- dem
Gesichte des erstgeschilderten jungen Mannes und gibt demselben nebst den stechen¬
den grauen Augen einen intelligenten, aber lauernden Ausdruck. Dr. Alexander
Bach, so heißt der junge Mann, ist bereits vor den Märztagen als ein tüchtiger
Liberaler bekannt gewesen und hatte Gelegenheit, auf größeren Reisen seine juri¬
dischen Studien auszubilden. Er ist daher als Advokat gesucht und in der ele¬
ganten Welt seiner geistreichen Einfälle wegen gern gesehen. An demselben Tische
hören wir noch Banernfeld mit Eifer und Witz die politischen Ereignisse besprechen,
Nebenan sitzen Dr. Banernschmidt, später Secretair des Wiener Bürgeranöschnsses,
und derzeit Mitglied der Frankfurter Linken, Dn. Tansenau, den später so be¬
rühmten Volksredner, einige conservative Mitglieder des Gemeiudeausschusses,
junge Juriste» und Uvclieinmv «lovloivs, welche wenige Wochen darauf zu den
Matadoren der Legion gezählt werden. Die Gespräche ergießen sich in heiterer,
lebendiger Weise über die Tagesereignisse, mau macht Conjnncturcn für und ge¬
gen eine Intervention Frankreichs in Italien, befürchtet eine Allianz mit Ru߬
land durch deu im Norden beliebten Grafen Fiquelmout, damals Minister deö
Auswärtigen und Ministerpräsident in Oestreich. Die Gesellschaft debattirt ohne
Leidenschaft und persönliche Aufregung, man sieht es deutlich, daß sich die Herren
noch an der ungewohnten Freiheit des öffentlichen Redens über politische und
Regierungsangelegenheiten aus voller Seele erfreuen.

In einem anderen Zimmer finden wir an einem Tische eine Zahl von k>—8
jungen Leuten, ans deren kordialer Unterhaltung hervorgeht, daß sie in engerm
Zusammenleben sich kennen gelernt. ES sind größtentheils Mediciner, theils „ab-
solvirte", theils „fertige Doctoren." Die hervorragendste Persönlichkeit und zu¬
gleich die politisch bedeutsamste unter ihnen ist Dr. Ad. Fischhof, kräftiger, gutge¬
nährter Körper, derbes Gesicht, aber mit seinen, sanften Zügen, intelligentes
blaues Auge, braunes Kopf- und Barthaar, ruhige Bewegung im Sprechen.
Neben ihm sehen wir ein paar graue Augen luchsartig hinter den Brillen her-
vorlugen, über diesen Augen eine schöngeformte hohe Stirne, welche nebst einem
tüchtigen Schnurrbärte dem übrigen fleischigen und rasirten Gesichte einen höhern
Ausdruck verleiht. .Das gescheitelte graue Haar läßt erkennen, daß Dr. Gold-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/77>, abgerufen am 23.07.2024.