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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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ES gibt jedoch eine Revolutionsküche in Wien, deren genauere Kenntniß den
Herren von der rächenden Nemesis und den Historikern der Mit- und Nachwelt
einige interessante Aufschlüsse geben könnte, durch welche Persönlichkeiten und in
welcher Art und Weise die östreichische Revolution in ihren verschiedenen Ent-
wickelungsphaseu geleitet wurde. Aus dieser Revolutionsküche holten nach - und
nebeneinander alle Parteien ihre Nahrung und verzehrten daselbst bei "Backhän¬
del", Wein und Bier in Gedanken und Worten ihre geheimen und offenen Gegner.

Die Restauration "Zum rothen Igel" am Wildpretmarkt diente redlich und
unparteiisch den Söhnen des östreichischen Vaterlandes zum Tunnel- und Spiel¬
platze bei ihren politischen Kämpfen. Hier war der neutrale Boden, wo heran¬
blühende Minister, wüthende Demokraten, schwarzgelbe Banquiers, radicale Deutsche
und Polen, mit der "Camarilla" verbündete Slaven, kampflustige Legionäre,
kaiserlich gesinnte Beamte und blutlüsterne Republikaner mit einander ruhig ver¬
kehrten. Hier wurde über die Tagesfragen nach allen verschiedenen Richtungen
hin debattirt, über Reaction und Schwarzgelbthum geschimpft, die Frankfurter
Linke und ihre Anhänger gehöhnt, in diese" Räume" stimmte man nacheinander
"das deutsche Vaterland", "SeliusvIKa iiinii z>lec" und "Noch ist Polen nicht ver¬
loren" an, die Czechen ließen Jellachich leben und die Deutschen riefen Eljen zu
einem Siegesbericht Kossuth's, ein Mitglied des Gemeinderaths verrheioigte "das
Ruhe und Ordnung um jeden Preis" und ein Mitglied der akademischen Legion
sprach ihm gegenüber von seiner Macht als Aufseher eiuer Arbeiterparthie. Im
"rothen Igel" war die -nlle "Jos pas pöräus, wo man Minister einsetzte und
stürzte, wo die Ministerialräthe sogleich nach ihrer Ernennung sich repräsentirten
und ihren bisherigen Duzbrüdern und Kollegen kleine Bureaugeheimuisse mittheil¬
ten, Familiengesuche erledigten und sich mit dem ganzen Bewußtsein ihrer neuen
Amtsgewalt über die politischen Ereignisse und deren Einfluß aus die Regierungs¬
politik aussprachen. Hier im rothen Igel war vollkommene Gleichberechtigung
der Nationalitäten, Gleichheit des Standes und Glaubens, keine Spur von Ter¬
rorismus in politischen und persönlichen Meinungen. Warum wurde nicht im
"rothen Igel" beim gemüthlichen Schmaus und Zechen die Verfassung der östrei¬
chischen Völker berathen und festgestellt? Warum verlegte der Ministerrath nicht
hierher seine Bureaus und der Hof seine Empfangzimmer und Fürst Windischgrätz
sein Hauptquartier? Wie schnell hätte sich da Alles verständigen können, nud
die unnützen Fragen wegen "Vereinbarung," Rechten der Krone und der Volks¬
souveränität u. tgi. in. wären ohne Blutvergießen beim gemüthlichen Glase Wein
erledigt worden!!

Unmittelbar nach den Märztagen versammelten sich im "rothen Igel" die Li¬
beralen von einiger Bedeutung. Damals gab es noch keinen Unterschied von
schwarzgelben und Radicalen, Konstitutionellen und Demokraten. Alles harrte
ungeduldig der Verfassung, die da kommen sollte von Gottes Gnaden, Pillersdorf


ES gibt jedoch eine Revolutionsküche in Wien, deren genauere Kenntniß den
Herren von der rächenden Nemesis und den Historikern der Mit- und Nachwelt
einige interessante Aufschlüsse geben könnte, durch welche Persönlichkeiten und in
welcher Art und Weise die östreichische Revolution in ihren verschiedenen Ent-
wickelungsphaseu geleitet wurde. Aus dieser Revolutionsküche holten nach - und
nebeneinander alle Parteien ihre Nahrung und verzehrten daselbst bei „Backhän¬
del", Wein und Bier in Gedanken und Worten ihre geheimen und offenen Gegner.

Die Restauration „Zum rothen Igel" am Wildpretmarkt diente redlich und
unparteiisch den Söhnen des östreichischen Vaterlandes zum Tunnel- und Spiel¬
platze bei ihren politischen Kämpfen. Hier war der neutrale Boden, wo heran¬
blühende Minister, wüthende Demokraten, schwarzgelbe Banquiers, radicale Deutsche
und Polen, mit der „Camarilla" verbündete Slaven, kampflustige Legionäre,
kaiserlich gesinnte Beamte und blutlüsterne Republikaner mit einander ruhig ver¬
kehrten. Hier wurde über die Tagesfragen nach allen verschiedenen Richtungen
hin debattirt, über Reaction und Schwarzgelbthum geschimpft, die Frankfurter
Linke und ihre Anhänger gehöhnt, in diese» Räume» stimmte man nacheinander
„das deutsche Vaterland", „SeliusvIKa iiinii z>lec" und „Noch ist Polen nicht ver¬
loren" an, die Czechen ließen Jellachich leben und die Deutschen riefen Eljen zu
einem Siegesbericht Kossuth's, ein Mitglied des Gemeinderaths verrheioigte „das
Ruhe und Ordnung um jeden Preis" und ein Mitglied der akademischen Legion
sprach ihm gegenüber von seiner Macht als Aufseher eiuer Arbeiterparthie. Im
„rothen Igel" war die -nlle «Jos pas pöräus, wo man Minister einsetzte und
stürzte, wo die Ministerialräthe sogleich nach ihrer Ernennung sich repräsentirten
und ihren bisherigen Duzbrüdern und Kollegen kleine Bureaugeheimuisse mittheil¬
ten, Familiengesuche erledigten und sich mit dem ganzen Bewußtsein ihrer neuen
Amtsgewalt über die politischen Ereignisse und deren Einfluß aus die Regierungs¬
politik aussprachen. Hier im rothen Igel war vollkommene Gleichberechtigung
der Nationalitäten, Gleichheit des Standes und Glaubens, keine Spur von Ter¬
rorismus in politischen und persönlichen Meinungen. Warum wurde nicht im
„rothen Igel" beim gemüthlichen Schmaus und Zechen die Verfassung der östrei¬
chischen Völker berathen und festgestellt? Warum verlegte der Ministerrath nicht
hierher seine Bureaus und der Hof seine Empfangzimmer und Fürst Windischgrätz
sein Hauptquartier? Wie schnell hätte sich da Alles verständigen können, nud
die unnützen Fragen wegen „Vereinbarung," Rechten der Krone und der Volks¬
souveränität u. tgi. in. wären ohne Blutvergießen beim gemüthlichen Glase Wein
erledigt worden!!

Unmittelbar nach den Märztagen versammelten sich im „rothen Igel" die Li¬
beralen von einiger Bedeutung. Damals gab es noch keinen Unterschied von
schwarzgelben und Radicalen, Konstitutionellen und Demokraten. Alles harrte
ungeduldig der Verfassung, die da kommen sollte von Gottes Gnaden, Pillersdorf


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[0076] ES gibt jedoch eine Revolutionsküche in Wien, deren genauere Kenntniß den Herren von der rächenden Nemesis und den Historikern der Mit- und Nachwelt einige interessante Aufschlüsse geben könnte, durch welche Persönlichkeiten und in welcher Art und Weise die östreichische Revolution in ihren verschiedenen Ent- wickelungsphaseu geleitet wurde. Aus dieser Revolutionsküche holten nach - und nebeneinander alle Parteien ihre Nahrung und verzehrten daselbst bei „Backhän¬ del", Wein und Bier in Gedanken und Worten ihre geheimen und offenen Gegner. Die Restauration „Zum rothen Igel" am Wildpretmarkt diente redlich und unparteiisch den Söhnen des östreichischen Vaterlandes zum Tunnel- und Spiel¬ platze bei ihren politischen Kämpfen. Hier war der neutrale Boden, wo heran¬ blühende Minister, wüthende Demokraten, schwarzgelbe Banquiers, radicale Deutsche und Polen, mit der „Camarilla" verbündete Slaven, kampflustige Legionäre, kaiserlich gesinnte Beamte und blutlüsterne Republikaner mit einander ruhig ver¬ kehrten. Hier wurde über die Tagesfragen nach allen verschiedenen Richtungen hin debattirt, über Reaction und Schwarzgelbthum geschimpft, die Frankfurter Linke und ihre Anhänger gehöhnt, in diese» Räume» stimmte man nacheinander „das deutsche Vaterland", „SeliusvIKa iiinii z>lec" und „Noch ist Polen nicht ver¬ loren" an, die Czechen ließen Jellachich leben und die Deutschen riefen Eljen zu einem Siegesbericht Kossuth's, ein Mitglied des Gemeinderaths verrheioigte „das Ruhe und Ordnung um jeden Preis" und ein Mitglied der akademischen Legion sprach ihm gegenüber von seiner Macht als Aufseher eiuer Arbeiterparthie. Im „rothen Igel" war die -nlle «Jos pas pöräus, wo man Minister einsetzte und stürzte, wo die Ministerialräthe sogleich nach ihrer Ernennung sich repräsentirten und ihren bisherigen Duzbrüdern und Kollegen kleine Bureaugeheimuisse mittheil¬ ten, Familiengesuche erledigten und sich mit dem ganzen Bewußtsein ihrer neuen Amtsgewalt über die politischen Ereignisse und deren Einfluß aus die Regierungs¬ politik aussprachen. Hier im rothen Igel war vollkommene Gleichberechtigung der Nationalitäten, Gleichheit des Standes und Glaubens, keine Spur von Ter¬ rorismus in politischen und persönlichen Meinungen. Warum wurde nicht im „rothen Igel" beim gemüthlichen Schmaus und Zechen die Verfassung der östrei¬ chischen Völker berathen und festgestellt? Warum verlegte der Ministerrath nicht hierher seine Bureaus und der Hof seine Empfangzimmer und Fürst Windischgrätz sein Hauptquartier? Wie schnell hätte sich da Alles verständigen können, nud die unnützen Fragen wegen „Vereinbarung," Rechten der Krone und der Volks¬ souveränität u. tgi. in. wären ohne Blutvergießen beim gemüthlichen Glase Wein erledigt worden!! Unmittelbar nach den Märztagen versammelten sich im „rothen Igel" die Li¬ beralen von einiger Bedeutung. Damals gab es noch keinen Unterschied von schwarzgelben und Radicalen, Konstitutionellen und Demokraten. Alles harrte ungeduldig der Verfassung, die da kommen sollte von Gottes Gnaden, Pillersdorf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/76>, abgerufen am 23.12.2024.