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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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erwarten würde. Der "wtus "zuo des alten absoluten Staates konnte nach den
disciplinirten Begriffen dieser Herren nnr dnrch ein kaiserliches Wort und Gna¬
dengeschenk verrückt werden. Was darüber hinaus vom Volke oder von den Na¬
tionen gefordert wurde, ist Landesverralh, Versuch zum Aufruhr, ein Angriff auf
die Majestät des Thrones.

Die kaiserlichen Manifeste und andern allerhöchsten Actenstücke, durch welche
die Geschicke der Völker entschieden wurden, waren in den geheimen Confcrcnz-
zimmern, in den verschiedenen Cabineten der Prinzen nud Würdenträger ausge-
dacht, besprochen, stylisirt, corrigirt und zur endlichen Proclamation sanctionirt.
Bekanntlich wurde zu Metternich's Zeiten sehr selten im Jahre eine sogenannte
große Konferenz gehalten. Die erlauchten Herren regierten jeder für sich von
ihren Privatcabineten aus, und ein eigens dazu bestimmter Staatsrath, welcher
mir den Launen und Mienen der verschiedenen Staatslenker innig vertraut war,
ging bei wichtigen Anlässen von einem fürstlichen Palais zum andern, durch alle
"Kammern" des kaiserlichen Hauses, und befragte nach einander den Kaiser, die
Erzherzöge Ludwig, Franz Carl u. s. f., sodann die Fran Erzherzoginnen und
endlich die Herren Staats- und Confereuzräthe um deren allerhöchste, hohe und
excellente Meinungen, referirte dieselben in gewohnter Reihenfolge dem greisen
Staatskanzler, und dieser that hierauf, was ihm gut dünkte. Dies nannte man
in Oestreich in der guten alten Zeit: regieren. Diese Art des Regierens halten
nun die alten Herren, welche noch im Staatsdienste stehen, für die einzig mög¬
liche und heilsame. Was das Volk unter "Camarilla" versteht, scheint dieser
Camarilla selbst ein leeres Hirngespinnst, weil Jeder für sich nicht ein Theil die¬
ser Camarilla zu sein glaubt und daher die Existenz derselben gänzlich leugnet.
Also das Regieren im Geheimen und durch Nachtschlüssel und Hinterthüren ist so
tief in die Seele der vormärzlichen Persönlichkeiten hineinverwachsen., daß sie daS
Treiben der Revolutionärs, die Vvlksementen, die Barrttadenerschcinnngen und
das Entstehen der "volksthümlichen" Regierungen stets dem Einflüsse geheimer
Kräfte, dem Wirken "tiefverzweigtcr Verschwörungen" zuschreiben. Nun hat aber
gerade die östreichische Revolution in ihrem ganzen Verlaufe daS Charakteristische,
daß sie ohne alle Vorhcrberechnnng, plan- und kopflos vor die Welt getreten ist.
Die "gemüthliche Anarchie", wie Robert Blum sehr treffend die Wiener Nevolu-
tionszustände bezeichnet hatte, entstand jedesmal so plötzlich und machte sich so
allgemein geltend, daß sowohl die obersten Regierungsmänner als die Volksmän¬
ner, welche "die Bewegung zu leiten" sich rühmten, von den unerwarteten und
kühnen Demonstrationen der Volkssouveränität gleich überrascht waren. ES wird
daher sehr schwer sein, die Fäden der Komplotte aufzufinden, an welchen die öst¬
reichischen Revolutionen zu Tage gefördert wurden, und wir begreifen daher, daß
sich die Militärgerichte, welchen die Aufspürung dieser geheimen Fäden aufgetra¬
gen ist, mit dem einfachen "Exempelstatuiren" durch Pulver und Blei begnügen müssen.


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erwarten würde. Der «wtus «zuo des alten absoluten Staates konnte nach den
disciplinirten Begriffen dieser Herren nnr dnrch ein kaiserliches Wort und Gna¬
dengeschenk verrückt werden. Was darüber hinaus vom Volke oder von den Na¬
tionen gefordert wurde, ist Landesverralh, Versuch zum Aufruhr, ein Angriff auf
die Majestät des Thrones.

Die kaiserlichen Manifeste und andern allerhöchsten Actenstücke, durch welche
die Geschicke der Völker entschieden wurden, waren in den geheimen Confcrcnz-
zimmern, in den verschiedenen Cabineten der Prinzen nud Würdenträger ausge-
dacht, besprochen, stylisirt, corrigirt und zur endlichen Proclamation sanctionirt.
Bekanntlich wurde zu Metternich's Zeiten sehr selten im Jahre eine sogenannte
große Konferenz gehalten. Die erlauchten Herren regierten jeder für sich von
ihren Privatcabineten aus, und ein eigens dazu bestimmter Staatsrath, welcher
mir den Launen und Mienen der verschiedenen Staatslenker innig vertraut war,
ging bei wichtigen Anlässen von einem fürstlichen Palais zum andern, durch alle
„Kammern" des kaiserlichen Hauses, und befragte nach einander den Kaiser, die
Erzherzöge Ludwig, Franz Carl u. s. f., sodann die Fran Erzherzoginnen und
endlich die Herren Staats- und Confereuzräthe um deren allerhöchste, hohe und
excellente Meinungen, referirte dieselben in gewohnter Reihenfolge dem greisen
Staatskanzler, und dieser that hierauf, was ihm gut dünkte. Dies nannte man
in Oestreich in der guten alten Zeit: regieren. Diese Art des Regierens halten
nun die alten Herren, welche noch im Staatsdienste stehen, für die einzig mög¬
liche und heilsame. Was das Volk unter „Camarilla" versteht, scheint dieser
Camarilla selbst ein leeres Hirngespinnst, weil Jeder für sich nicht ein Theil die¬
ser Camarilla zu sein glaubt und daher die Existenz derselben gänzlich leugnet.
Also das Regieren im Geheimen und durch Nachtschlüssel und Hinterthüren ist so
tief in die Seele der vormärzlichen Persönlichkeiten hineinverwachsen., daß sie daS
Treiben der Revolutionärs, die Vvlksementen, die Barrttadenerschcinnngen und
das Entstehen der „volksthümlichen" Regierungen stets dem Einflüsse geheimer
Kräfte, dem Wirken „tiefverzweigtcr Verschwörungen" zuschreiben. Nun hat aber
gerade die östreichische Revolution in ihrem ganzen Verlaufe daS Charakteristische,
daß sie ohne alle Vorhcrberechnnng, plan- und kopflos vor die Welt getreten ist.
Die „gemüthliche Anarchie", wie Robert Blum sehr treffend die Wiener Nevolu-
tionszustände bezeichnet hatte, entstand jedesmal so plötzlich und machte sich so
allgemein geltend, daß sowohl die obersten Regierungsmänner als die Volksmän¬
ner, welche „die Bewegung zu leiten" sich rühmten, von den unerwarteten und
kühnen Demonstrationen der Volkssouveränität gleich überrascht waren. ES wird
daher sehr schwer sein, die Fäden der Komplotte aufzufinden, an welchen die öst¬
reichischen Revolutionen zu Tage gefördert wurden, und wir begreifen daher, daß
sich die Militärgerichte, welchen die Aufspürung dieser geheimen Fäden aufgetra¬
gen ist, mit dem einfachen „Exempelstatuiren" durch Pulver und Blei begnügen müssen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/75>, abgerufen am 23.12.2024.