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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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der Lehrer sich außerhalb der Schule politisch äußert, soll auf seine amtliche
Stellung keinen Einfluß haben. Aber nun hat er den Unterricht in der Geschichte.
Er lobt Gregor VII. - ein puritanisches Ministerium zieht ihn zur Verantwor¬
tung. Er tadelt Philipp II. -- ein absolutistisches Regiment setzt ihn ab. Er
rühmt Friedrich den Große" -- ein radicales Cabinet liefert ihn etwa dem sou¬
veränen Volk seiner Schüler aus, weil er Tyrannei und Absolutismus predigt u.
s. w. Zuletzt weiß er gar nicht mehr, was er reden soll, er begnügt sich damit,
Namen und Jahreszahlen auswendig lernen zulassen -- auch die Philologie würde
zuletzt ihrer republikanischen und heidnischen Vorstellung wegen Anstoß geben, und
wir haben wieder eine Metternich'sche Verdummuugsanstalt.

Woher kommt es, -- wir gehn nun auf das Rundschreiben des Justizmini-
sters über -- daß man nur die richterlichen Beamten vor der willkürlichen Absetzung
sicher gestellt hat? -- Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir uns vor
allem davor hüten, bestimmte, particuläre Gründe zu generalisiren, ein Fehler,
der vorzugsweise Schuld ist an der Verwirrung der politischen Begriffe, im Lager
der Heiligen wie bei den Ungläubigen.

Das Recht soll über dem Wechsel der politischen Ansichten stehn; seine Ver¬
treter sollen daher unabhängig von den Einflüssen sein, die in den Regionen des
specifischen Staatslebens maßgebend sind. --- So allgemein ausgesprochen, läßt
sich der Satz nicht halten. Das Bestreben der neuen Zeit geht eben dahin, das
Recht in die Flüssigkeit des sittlichen Bewußtseins hineinzuziehen und den Priester¬
stand des Gesetzes dem Volk wieder einzuverleiben aus dem er hervorgegangen
ist. Das Institut der Jury drückt mehr dies unbestimmte Verlangen aus, als
ein bestimmtes wissenschaftliches Princip. Das Volk soll nicht ausgeschlossen sein
von der Rechtsbildung. - Jedenfalls würde für die technischen Verwaltungszweige
eine Unbefangenheit in Betreff der xramlo nolitüjuo ebenso ersprießlich sei", als
für den Richterstand. Das Recht ist nur die Form der Mischen Verhältnisse;
werden sie erschüttert, wie es bei jeder großen Staatsveränderuug die Voraus¬
setzung ist, so tritt auch im Rechtsbewußtsein eine Umgestaltung ein, in die sich
der im alten Princip geschulte Richter nicht finden kann, und eine Absetzung
sämmtlicher Richter würde von der revolutionären Partei wenigstens mit ebenso¬
viel Recht gefordert werden können, als eine Entfernung aller übrigen Beamten,
wenn nicht das, was die Revolution gern vermeiden möchte -- die Reaction ge¬
gen den Ungestüm des neuen Geistes, das einzige Mittel wäre den gestörten na¬
türlichen Proceß wieder ins Geleise zu bringen.

Die Theorie von der Unabsetzbarkeit der Richter hat, wie die der Geschwor¬
nen, soweit sie wenigstens von dem modernen Liberalismus ausgebeutet wird, zur
wesentlichen Basis die Voraussetzung einer dem Geist der Zeit feindlichen oder
wenigstens entfremdeten Regierung. Sie bezieht sich auf politische Verbrechen,
denn der andere Grund, die Unbestechlichkeit des Richterstandes gegen den pu-


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der Lehrer sich außerhalb der Schule politisch äußert, soll auf seine amtliche
Stellung keinen Einfluß haben. Aber nun hat er den Unterricht in der Geschichte.
Er lobt Gregor VII. - ein puritanisches Ministerium zieht ihn zur Verantwor¬
tung. Er tadelt Philipp II. — ein absolutistisches Regiment setzt ihn ab. Er
rühmt Friedrich den Große» — ein radicales Cabinet liefert ihn etwa dem sou¬
veränen Volk seiner Schüler aus, weil er Tyrannei und Absolutismus predigt u.
s. w. Zuletzt weiß er gar nicht mehr, was er reden soll, er begnügt sich damit,
Namen und Jahreszahlen auswendig lernen zulassen — auch die Philologie würde
zuletzt ihrer republikanischen und heidnischen Vorstellung wegen Anstoß geben, und
wir haben wieder eine Metternich'sche Verdummuugsanstalt.

Woher kommt es, — wir gehn nun auf das Rundschreiben des Justizmini-
sters über — daß man nur die richterlichen Beamten vor der willkürlichen Absetzung
sicher gestellt hat? — Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir uns vor
allem davor hüten, bestimmte, particuläre Gründe zu generalisiren, ein Fehler,
der vorzugsweise Schuld ist an der Verwirrung der politischen Begriffe, im Lager
der Heiligen wie bei den Ungläubigen.

Das Recht soll über dem Wechsel der politischen Ansichten stehn; seine Ver¬
treter sollen daher unabhängig von den Einflüssen sein, die in den Regionen des
specifischen Staatslebens maßgebend sind. —- So allgemein ausgesprochen, läßt
sich der Satz nicht halten. Das Bestreben der neuen Zeit geht eben dahin, das
Recht in die Flüssigkeit des sittlichen Bewußtseins hineinzuziehen und den Priester¬
stand des Gesetzes dem Volk wieder einzuverleiben aus dem er hervorgegangen
ist. Das Institut der Jury drückt mehr dies unbestimmte Verlangen aus, als
ein bestimmtes wissenschaftliches Princip. Das Volk soll nicht ausgeschlossen sein
von der Rechtsbildung. - Jedenfalls würde für die technischen Verwaltungszweige
eine Unbefangenheit in Betreff der xramlo nolitüjuo ebenso ersprießlich sei», als
für den Richterstand. Das Recht ist nur die Form der Mischen Verhältnisse;
werden sie erschüttert, wie es bei jeder großen Staatsveränderuug die Voraus¬
setzung ist, so tritt auch im Rechtsbewußtsein eine Umgestaltung ein, in die sich
der im alten Princip geschulte Richter nicht finden kann, und eine Absetzung
sämmtlicher Richter würde von der revolutionären Partei wenigstens mit ebenso¬
viel Recht gefordert werden können, als eine Entfernung aller übrigen Beamten,
wenn nicht das, was die Revolution gern vermeiden möchte — die Reaction ge¬
gen den Ungestüm des neuen Geistes, das einzige Mittel wäre den gestörten na¬
türlichen Proceß wieder ins Geleise zu bringen.

Die Theorie von der Unabsetzbarkeit der Richter hat, wie die der Geschwor¬
nen, soweit sie wenigstens von dem modernen Liberalismus ausgebeutet wird, zur
wesentlichen Basis die Voraussetzung einer dem Geist der Zeit feindlichen oder
wenigstens entfremdeten Regierung. Sie bezieht sich auf politische Verbrechen,
denn der andere Grund, die Unbestechlichkeit des Richterstandes gegen den pu-


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[0067] der Lehrer sich außerhalb der Schule politisch äußert, soll auf seine amtliche Stellung keinen Einfluß haben. Aber nun hat er den Unterricht in der Geschichte. Er lobt Gregor VII. - ein puritanisches Ministerium zieht ihn zur Verantwor¬ tung. Er tadelt Philipp II. — ein absolutistisches Regiment setzt ihn ab. Er rühmt Friedrich den Große» — ein radicales Cabinet liefert ihn etwa dem sou¬ veränen Volk seiner Schüler aus, weil er Tyrannei und Absolutismus predigt u. s. w. Zuletzt weiß er gar nicht mehr, was er reden soll, er begnügt sich damit, Namen und Jahreszahlen auswendig lernen zulassen — auch die Philologie würde zuletzt ihrer republikanischen und heidnischen Vorstellung wegen Anstoß geben, und wir haben wieder eine Metternich'sche Verdummuugsanstalt. Woher kommt es, — wir gehn nun auf das Rundschreiben des Justizmini- sters über — daß man nur die richterlichen Beamten vor der willkürlichen Absetzung sicher gestellt hat? — Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir uns vor allem davor hüten, bestimmte, particuläre Gründe zu generalisiren, ein Fehler, der vorzugsweise Schuld ist an der Verwirrung der politischen Begriffe, im Lager der Heiligen wie bei den Ungläubigen. Das Recht soll über dem Wechsel der politischen Ansichten stehn; seine Ver¬ treter sollen daher unabhängig von den Einflüssen sein, die in den Regionen des specifischen Staatslebens maßgebend sind. —- So allgemein ausgesprochen, läßt sich der Satz nicht halten. Das Bestreben der neuen Zeit geht eben dahin, das Recht in die Flüssigkeit des sittlichen Bewußtseins hineinzuziehen und den Priester¬ stand des Gesetzes dem Volk wieder einzuverleiben aus dem er hervorgegangen ist. Das Institut der Jury drückt mehr dies unbestimmte Verlangen aus, als ein bestimmtes wissenschaftliches Princip. Das Volk soll nicht ausgeschlossen sein von der Rechtsbildung. - Jedenfalls würde für die technischen Verwaltungszweige eine Unbefangenheit in Betreff der xramlo nolitüjuo ebenso ersprießlich sei», als für den Richterstand. Das Recht ist nur die Form der Mischen Verhältnisse; werden sie erschüttert, wie es bei jeder großen Staatsveränderuug die Voraus¬ setzung ist, so tritt auch im Rechtsbewußtsein eine Umgestaltung ein, in die sich der im alten Princip geschulte Richter nicht finden kann, und eine Absetzung sämmtlicher Richter würde von der revolutionären Partei wenigstens mit ebenso¬ viel Recht gefordert werden können, als eine Entfernung aller übrigen Beamten, wenn nicht das, was die Revolution gern vermeiden möchte — die Reaction ge¬ gen den Ungestüm des neuen Geistes, das einzige Mittel wäre den gestörten na¬ türlichen Proceß wieder ins Geleise zu bringen. Die Theorie von der Unabsetzbarkeit der Richter hat, wie die der Geschwor¬ nen, soweit sie wenigstens von dem modernen Liberalismus ausgebeutet wird, zur wesentlichen Basis die Voraussetzung einer dem Geist der Zeit feindlichen oder wenigstens entfremdeten Regierung. Sie bezieht sich auf politische Verbrechen, denn der andere Grund, die Unbestechlichkeit des Richterstandes gegen den pu- 8*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/67>, abgerufen am 23.07.2024.