Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.kluge Schritte auch uoch der Verdacht gegen die Bureaukratie hinzukommt, wenn Grenzboten. I. ISiv. . 8
kluge Schritte auch uoch der Verdacht gegen die Bureaukratie hinzukommt, wenn Grenzboten. I. ISiv. . 8
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278053"/> <p xml:id="ID_181" prev="#ID_180" next="#ID_182"> kluge Schritte auch uoch der Verdacht gegen die Bureaukratie hinzukommt, wenn<lb/> man der Regierung mit einem gewissen Recht die Absicht unterschieben darf, die<lb/> Verwaltung, die bisher im preußischen Staat durch Concentration aller practisch<lb/> gebildeten und geschulten Staatsmänner eine eigenthümliche Konsistenz behauptete<lb/> der wechselnden Stimmung der Machthaber gegenüber, und dadurch ein segensreiches<lb/> conservatives Element ins Staatswesen brachte, zu blinden Werkzeugen des augen¬<lb/> blicklichen Systems herabzusetzen — so hat freilich die Opposition kein Recht, sich<lb/> darüber zu beklagen, denn das ist ja ihr Ideal, sie hat ja darum die sämmtlichen<lb/> vier Ministerien, unsre Märzerrungenschaften, mit aller Leidenschaft eines wüsten<lb/> Parteihasses bekämpft, weil dieselben sich nicht veranlaßt fühlten, alle „reactio-<lb/> nären" Beamten, d. h. alle, die früher gedient und daher eine gewisse Einsicht<lb/> in die Geschäfte erlangt hatten, mit Einem Streiche abzusetzen und die Verwal¬<lb/> tung den Herren Karbe, Ottensosser, Held, Jung n. s. w. anzuvertrauen, was<lb/> namentlich in Beziehung auf die Staatskasse» seine Bedenken gehabt hätte. Die<lb/> Demokraten also könnten sich nicht beklagen, wohl aber die conservative Partei,<lb/> denn man kann es nicht oft genug wiederholen, diese Art der Centralisation, durch<lb/> die ein Ministerwechsel die Physiognomie der gesammten Verwaltung verändert,<lb/> das System des französischen constitutionellen Lebens, ist ein höchst unvernünfti¬<lb/> ges/abgeschmacktes und unsittliches, denn seine Früchte sind Servilismus, Char-<lb/> latanerie und Korruption. In Frankreich sind alle Beamten servil, denn ihre und<lb/> ihrer Familien Existenz hängt von der Devotion ab, mit der sie sich nicht nur den<lb/> Befehlen, sondern auch den Gesinnungen ihrer Obern fügen; die Gaunerei und<lb/> Korruption wird nothwendig, denn man lebt in den Augenblick hinein, und hat<lb/> weder Muße noch Lust, sich in seinen Beruf, den man nur als vorübergehende<lb/> Erwerbsquelle betrachtet, dauernd zu vertiefen. Die preußische Bureaukratie war<lb/> in jeder Beziehung der französischen und englischen vorzuziehen, sie hatte nur den<lb/> — freilich sehr wesentlichen Fehler, nicht in organischer Verbindung mit dem Ge¬<lb/> meindeleben zu stehn. Dieser Fehler — die Scheidung zweier Menschenklassen,<lb/> der ofstciellen und nicht officiellen — hört aus, sobald die Verfassung eine Wahr¬<lb/> heit wird, es wäre aber ein Unglück für den Staat, wenn damit zugleich die<lb/> Vortheile des bisherigen Beamtenthums aufgehoben werden sollten. Dem roman¬<lb/> tischen Ministerium Eichhorn-Thiele-Stollberg gelang es nicht, den Staat zu cor-<lb/> rumpiren, ihn in den geistlichen Schafstall einzupferchen oder ihn in die Anti-<lb/> chambre des Hofes zu verweisen, weil die Verwaltung, Justiz und die einzelnen<lb/> municipalen, ständischen oder commerciellen Institute jenen Schwangcrschastsgclüsten<lb/> den passiven, aber energischen Widerstand eines gebildeten, unabhängigen Lebens<lb/> entgegensetzten. Eichhorn mochte so viel Pietisten in die Schulen, die Katheder<lb/> und Kanzeln einschmuggeln, als er wollte, seine Kollegen so viel Hofmänncr und<lb/> naturwüchsige Doctrinärs in die Verwaltung — der gesunden, rationalistischen<lb/> Bildung der Gesammtheit thaten solche vereinzelte Auswüchse keinen Eintrag. Was</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. ISiv. . 8</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
kluge Schritte auch uoch der Verdacht gegen die Bureaukratie hinzukommt, wenn
man der Regierung mit einem gewissen Recht die Absicht unterschieben darf, die
Verwaltung, die bisher im preußischen Staat durch Concentration aller practisch
gebildeten und geschulten Staatsmänner eine eigenthümliche Konsistenz behauptete
der wechselnden Stimmung der Machthaber gegenüber, und dadurch ein segensreiches
conservatives Element ins Staatswesen brachte, zu blinden Werkzeugen des augen¬
blicklichen Systems herabzusetzen — so hat freilich die Opposition kein Recht, sich
darüber zu beklagen, denn das ist ja ihr Ideal, sie hat ja darum die sämmtlichen
vier Ministerien, unsre Märzerrungenschaften, mit aller Leidenschaft eines wüsten
Parteihasses bekämpft, weil dieselben sich nicht veranlaßt fühlten, alle „reactio-
nären" Beamten, d. h. alle, die früher gedient und daher eine gewisse Einsicht
in die Geschäfte erlangt hatten, mit Einem Streiche abzusetzen und die Verwal¬
tung den Herren Karbe, Ottensosser, Held, Jung n. s. w. anzuvertrauen, was
namentlich in Beziehung auf die Staatskasse» seine Bedenken gehabt hätte. Die
Demokraten also könnten sich nicht beklagen, wohl aber die conservative Partei,
denn man kann es nicht oft genug wiederholen, diese Art der Centralisation, durch
die ein Ministerwechsel die Physiognomie der gesammten Verwaltung verändert,
das System des französischen constitutionellen Lebens, ist ein höchst unvernünfti¬
ges/abgeschmacktes und unsittliches, denn seine Früchte sind Servilismus, Char-
latanerie und Korruption. In Frankreich sind alle Beamten servil, denn ihre und
ihrer Familien Existenz hängt von der Devotion ab, mit der sie sich nicht nur den
Befehlen, sondern auch den Gesinnungen ihrer Obern fügen; die Gaunerei und
Korruption wird nothwendig, denn man lebt in den Augenblick hinein, und hat
weder Muße noch Lust, sich in seinen Beruf, den man nur als vorübergehende
Erwerbsquelle betrachtet, dauernd zu vertiefen. Die preußische Bureaukratie war
in jeder Beziehung der französischen und englischen vorzuziehen, sie hatte nur den
— freilich sehr wesentlichen Fehler, nicht in organischer Verbindung mit dem Ge¬
meindeleben zu stehn. Dieser Fehler — die Scheidung zweier Menschenklassen,
der ofstciellen und nicht officiellen — hört aus, sobald die Verfassung eine Wahr¬
heit wird, es wäre aber ein Unglück für den Staat, wenn damit zugleich die
Vortheile des bisherigen Beamtenthums aufgehoben werden sollten. Dem roman¬
tischen Ministerium Eichhorn-Thiele-Stollberg gelang es nicht, den Staat zu cor-
rumpiren, ihn in den geistlichen Schafstall einzupferchen oder ihn in die Anti-
chambre des Hofes zu verweisen, weil die Verwaltung, Justiz und die einzelnen
municipalen, ständischen oder commerciellen Institute jenen Schwangcrschastsgclüsten
den passiven, aber energischen Widerstand eines gebildeten, unabhängigen Lebens
entgegensetzten. Eichhorn mochte so viel Pietisten in die Schulen, die Katheder
und Kanzeln einschmuggeln, als er wollte, seine Kollegen so viel Hofmänncr und
naturwüchsige Doctrinärs in die Verwaltung — der gesunden, rationalistischen
Bildung der Gesammtheit thaten solche vereinzelte Auswüchse keinen Eintrag. Was
Grenzboten. I. ISiv. . 8
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