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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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bringt. Jedenfalls aber darf sie nur eine exceptionelle sein, und ihr rechtlicher
Charakter ist mindestens fraglich, da die Klone den Ständen die Zusicherung ge¬
geben hat, in allen Fällen die Fortdauer eines solches Zustandes von der par¬
lamentarischen Zustimmung abhängig zu machen. In diesem Augenblick liegt gar
kein Grund mehr vor, gar keine Fiction, mit der man militärische Ansnahms-
maßregeln legitimiren könnte. In Oestreich herrscht doch wenigstens noch in einem
großen Theil des Landes der wirkliche Kriegszustand, und es mag, wenn auch
nicht unbedingt rechtlich begründet, doch wenigstens politisch räthlich sein, deu frü¬
hern Heerd der Jnsurrection gegen jeden neuen Versuch zu wahren; wo aber ist
in Preußen der Feind, dem diese Bajonnette gelten? Die Gewalt der Behörden
ist wieder hergestellt; von einer Emeute ist nirgend die Rede, und sollte es den¬
noch dazu kommen, so wird man jetzt auf keine Weise Anstand nehmen, auf lega¬
lem Wege das Militär zu requiriren. Die renitirenden Theile der Nationalver¬
sammlung siud auseinandergegangen, sie haben ihren Steuerverweigcrungsbeschluß
zwar nicht durch eine formale Erklärung, aber wenigstens stillschweigend zurückge¬
nommen, selbst die Chefs der sogenannten demokratischen Partei fordern jetzt ihre
Anhänger ans, dem Staat ihre milden Gaben nicht ferner zu entziehn, wobei der¬
selbe freilich nichts Erhebliches gewinnen wird. Die Preßfreiheit zu suspendiren,
ist auch weiter kein Grund, weder rechtlich noch politisch; für die Ueberschreitung
der Presse siud Gerichte da, und gegen das wüste Nandalircn der jacobinischen
Blätter hat sich nicht nur bei der großen Majorität des Volks, sondern auch in
der Presse selbst, eine Reaction gebildet, an der alle Gelüste unserer Bummler
scheitern müssen.

Am bedenklichsten ist aber die Suspension des Versammlungsrechts in einer
Zeit, wo die Wahlen zu der neuen Vvlksrepräsentation stattfinden sollen. Sie ist
in rechtlichem Sinn eine verkehrte Maßregel, denn die Wahlen werden charakter¬
los, wenn die Parteien sich zum Behuf derselben nicht frei organisiren können,
sie ist aber auch politisch falsch, denn am schwersten wird dadurch die conservative
Partei getroffen, die loyal genug denkt, sich der Verordnung unbedingt zu fügen,
während den Demokraten immer Mittel und Wege bleiben, insgeheim sich zu ver¬
einigen, und eben durch das Gewicht jener exceptionellen Maßregel ihre eigene
Schaale bei Wohlgesinnten sinken zu lassen. Der Bürger ist empfindlich; sobald
sich einmal in ihm der Verdacht festsetzt, man wolle ihn militärisch zu conservativen
Wahlen maßregeln, so wählt er ans angeborenem Selbstgefühl Feinde der Re¬
gierung.

Nun kommt noch jener eigenthümliche Erlaß des Polizeiministcriums. Herr
v. Manteuffel trägt deu Regierungen seine Ansichten über ihre Betheiligung bei
den Wahlen vor, aus denen es anch für einen, der sonst an die offizielle Sprache
wohl gewöhnt ist, sehr schwer fällt, sich einen Vers zu machen. Die Regierungen
sollen sich jeder Einmischung enthalten, die Wahlfreiheit soll auf keine Weise an-


bringt. Jedenfalls aber darf sie nur eine exceptionelle sein, und ihr rechtlicher
Charakter ist mindestens fraglich, da die Klone den Ständen die Zusicherung ge¬
geben hat, in allen Fällen die Fortdauer eines solches Zustandes von der par¬
lamentarischen Zustimmung abhängig zu machen. In diesem Augenblick liegt gar
kein Grund mehr vor, gar keine Fiction, mit der man militärische Ansnahms-
maßregeln legitimiren könnte. In Oestreich herrscht doch wenigstens noch in einem
großen Theil des Landes der wirkliche Kriegszustand, und es mag, wenn auch
nicht unbedingt rechtlich begründet, doch wenigstens politisch räthlich sein, deu frü¬
hern Heerd der Jnsurrection gegen jeden neuen Versuch zu wahren; wo aber ist
in Preußen der Feind, dem diese Bajonnette gelten? Die Gewalt der Behörden
ist wieder hergestellt; von einer Emeute ist nirgend die Rede, und sollte es den¬
noch dazu kommen, so wird man jetzt auf keine Weise Anstand nehmen, auf lega¬
lem Wege das Militär zu requiriren. Die renitirenden Theile der Nationalver¬
sammlung siud auseinandergegangen, sie haben ihren Steuerverweigcrungsbeschluß
zwar nicht durch eine formale Erklärung, aber wenigstens stillschweigend zurückge¬
nommen, selbst die Chefs der sogenannten demokratischen Partei fordern jetzt ihre
Anhänger ans, dem Staat ihre milden Gaben nicht ferner zu entziehn, wobei der¬
selbe freilich nichts Erhebliches gewinnen wird. Die Preßfreiheit zu suspendiren,
ist auch weiter kein Grund, weder rechtlich noch politisch; für die Ueberschreitung
der Presse siud Gerichte da, und gegen das wüste Nandalircn der jacobinischen
Blätter hat sich nicht nur bei der großen Majorität des Volks, sondern auch in
der Presse selbst, eine Reaction gebildet, an der alle Gelüste unserer Bummler
scheitern müssen.

Am bedenklichsten ist aber die Suspension des Versammlungsrechts in einer
Zeit, wo die Wahlen zu der neuen Vvlksrepräsentation stattfinden sollen. Sie ist
in rechtlichem Sinn eine verkehrte Maßregel, denn die Wahlen werden charakter¬
los, wenn die Parteien sich zum Behuf derselben nicht frei organisiren können,
sie ist aber auch politisch falsch, denn am schwersten wird dadurch die conservative
Partei getroffen, die loyal genug denkt, sich der Verordnung unbedingt zu fügen,
während den Demokraten immer Mittel und Wege bleiben, insgeheim sich zu ver¬
einigen, und eben durch das Gewicht jener exceptionellen Maßregel ihre eigene
Schaale bei Wohlgesinnten sinken zu lassen. Der Bürger ist empfindlich; sobald
sich einmal in ihm der Verdacht festsetzt, man wolle ihn militärisch zu conservativen
Wahlen maßregeln, so wählt er ans angeborenem Selbstgefühl Feinde der Re¬
gierung.

Nun kommt noch jener eigenthümliche Erlaß des Polizeiministcriums. Herr
v. Manteuffel trägt deu Regierungen seine Ansichten über ihre Betheiligung bei
den Wahlen vor, aus denen es anch für einen, der sonst an die offizielle Sprache
wohl gewöhnt ist, sehr schwer fällt, sich einen Vers zu machen. Die Regierungen
sollen sich jeder Einmischung enthalten, die Wahlfreiheit soll auf keine Weise an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/63>, abgerufen am 23.07.2024.