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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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in einen gewissen Uebermuth versetzt wird, der sie nach Ueberwindung so großer
Schwierigkeiten die scheinbar geringfügigen Hindernisse übersehen läßt, welche ihr auf
der neuen Bahn entgegentreten. Allein dieser Uebcrmntl) ist nicht die rechte Stim¬
mung eines Staatsmannes; er könnte leicht durch eine neue Ueberraschung er¬
schüttert und die fliegende Hitze in einen Fieberfrost verwandelt werden.

Jene plötzliche Umstimmung der öffentlichen Meinung, so nothwendig sie war,
und so vollkommen sie unsre Ansichten bestätigte, hat uns doch schmerzhaft berührt.
Dieser Jubel über die Erkenntniß der eignen Unfähigkeit hat etwas Widerliches.
Es wäre thöricht, der Krone darüber Vorwürfe zu machen, daß sie durch einen
selbstständigen Entschluß -- durch einen Staatsstreich, um den technischen Ausdruck
zu gebrauchen -- einer unerträglichen Lage der Dinge ein Ende macht, und aus
eigner Machtvollkommenheit ein Werk vollführt, zu dem die eigentlich dazu beru¬
fenen Vertreter des Volks unfähig waren; es wäre noch thörichter, diesem Werke
irgend welche Hindernisse in den Weg zu legen, um so mehr, da es allen ver"
nünftigen Ansprüchen genügt, ja -- wir stehen nicht an, es auszusprechen -- in
manchen Punkten der herrschenden Stimmung zu weit nachgibt, z. B. in der un¬
beschränkten Ausdehnung des Wahlrechts auf alle Classen.

Aber in Jubel darüber auszubrechen, das verräth einen Mangel an Scham¬
gefühl, der auf unsre sogenannte politische Reife kein besonderes Licht wirft. Es
bleibt doch ein dunkles Blatt in der preußischen Geschichte: dreißig Jahre lang
haben wir gewartet und im Stillen agitirt, um den großen Augenblick vorzube¬
reiten, wo wir freie Hand haben würden zu eignen Schöpfungen; der Augenblick
kommt, wie durch ein Wunder wird die Macht des Absolutismus gebrochen, das
ganze Volk legt die Hand unbehindert ans neue Werk, und -- die Sache wird
so schlecht gemacht, daß man sich zuletzt hilfeflehend an die alte, so lange ange¬
feindete Regierung wenden muß, und diese bringt in wenig Tagen zu Stande,
worauf das Volk umsonst Monate verwendet hat. Es hilft nichts, uns diese
Schmach durch beschönigende Redensarten verbergen oder mit der gewohnten Ber¬
liner Frivolität durch schlechte Witze abfertigen zu wollen; nur indem wir unsere
Schande tief in unser Herz eingraben, uns durchdringen mit dem Bewußtsein un¬
serer Krankheit, unserer Laster, unserer Eitelkeit, können wir genesen. Denn noch
sind wir nicht am Rande; sollte es geschehen, daß aus den neuen Wahlen eine
Kammer nach altem Stile hervorging, so wäre es. leicht möglich, daß sich das
ermattete und gelangweilte Volk, durch das constitutionelle Leben in seinen In¬
teressen nicht gefördert, ohne Weiteres der absolute" Gewalt zu Füßen würfe, und
die alte polizeiliche Vorsehung von Gottes Gnaden über sich walten ließe. So
lange das sittliche Gefühl und das Rechtsbewußtsein so hin und her schwanken,
wie wir es heute sehn, kann von einem freien politischen Leben keine Rede sein.
Das sittliche Gefühl wird aber nicht geläutert durch die niedrigen Volksschmeiche¬
leien unserer Demagogen, die nur in der Negation leben, und die daher, wie wir


in einen gewissen Uebermuth versetzt wird, der sie nach Ueberwindung so großer
Schwierigkeiten die scheinbar geringfügigen Hindernisse übersehen läßt, welche ihr auf
der neuen Bahn entgegentreten. Allein dieser Uebcrmntl) ist nicht die rechte Stim¬
mung eines Staatsmannes; er könnte leicht durch eine neue Ueberraschung er¬
schüttert und die fliegende Hitze in einen Fieberfrost verwandelt werden.

Jene plötzliche Umstimmung der öffentlichen Meinung, so nothwendig sie war,
und so vollkommen sie unsre Ansichten bestätigte, hat uns doch schmerzhaft berührt.
Dieser Jubel über die Erkenntniß der eignen Unfähigkeit hat etwas Widerliches.
Es wäre thöricht, der Krone darüber Vorwürfe zu machen, daß sie durch einen
selbstständigen Entschluß — durch einen Staatsstreich, um den technischen Ausdruck
zu gebrauchen — einer unerträglichen Lage der Dinge ein Ende macht, und aus
eigner Machtvollkommenheit ein Werk vollführt, zu dem die eigentlich dazu beru¬
fenen Vertreter des Volks unfähig waren; es wäre noch thörichter, diesem Werke
irgend welche Hindernisse in den Weg zu legen, um so mehr, da es allen ver»
nünftigen Ansprüchen genügt, ja — wir stehen nicht an, es auszusprechen — in
manchen Punkten der herrschenden Stimmung zu weit nachgibt, z. B. in der un¬
beschränkten Ausdehnung des Wahlrechts auf alle Classen.

Aber in Jubel darüber auszubrechen, das verräth einen Mangel an Scham¬
gefühl, der auf unsre sogenannte politische Reife kein besonderes Licht wirft. Es
bleibt doch ein dunkles Blatt in der preußischen Geschichte: dreißig Jahre lang
haben wir gewartet und im Stillen agitirt, um den großen Augenblick vorzube¬
reiten, wo wir freie Hand haben würden zu eignen Schöpfungen; der Augenblick
kommt, wie durch ein Wunder wird die Macht des Absolutismus gebrochen, das
ganze Volk legt die Hand unbehindert ans neue Werk, und — die Sache wird
so schlecht gemacht, daß man sich zuletzt hilfeflehend an die alte, so lange ange¬
feindete Regierung wenden muß, und diese bringt in wenig Tagen zu Stande,
worauf das Volk umsonst Monate verwendet hat. Es hilft nichts, uns diese
Schmach durch beschönigende Redensarten verbergen oder mit der gewohnten Ber¬
liner Frivolität durch schlechte Witze abfertigen zu wollen; nur indem wir unsere
Schande tief in unser Herz eingraben, uns durchdringen mit dem Bewußtsein un¬
serer Krankheit, unserer Laster, unserer Eitelkeit, können wir genesen. Denn noch
sind wir nicht am Rande; sollte es geschehen, daß aus den neuen Wahlen eine
Kammer nach altem Stile hervorging, so wäre es. leicht möglich, daß sich das
ermattete und gelangweilte Volk, durch das constitutionelle Leben in seinen In¬
teressen nicht gefördert, ohne Weiteres der absolute» Gewalt zu Füßen würfe, und
die alte polizeiliche Vorsehung von Gottes Gnaden über sich walten ließe. So
lange das sittliche Gefühl und das Rechtsbewußtsein so hin und her schwanken,
wie wir es heute sehn, kann von einem freien politischen Leben keine Rede sein.
Das sittliche Gefühl wird aber nicht geläutert durch die niedrigen Volksschmeiche¬
leien unserer Demagogen, die nur in der Negation leben, und die daher, wie wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/61>, abgerufen am 23.12.2024.