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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Kreis angehören, sind um uns herum gefallen. Wenn jetzt irgendwo in der
Ferne ein Staubgeborcner stirbt, um dessen Person und Leben wir uns in stiller
Zeit von weitem sehr gekümmert haben, das thut uns gar nichts mehr, es wun¬
dert uus nicht, es ärgert uns nicht, es ist uns sehr gleichgiltig. So hat dieser
Ibrahim Pascha die Unschicklichkeit begangen von unsrer Erde zu scheiden. Vori-
riges Jahr wären alle deutschen Köpfe darüber geschüttelt worden und man hätte
Bogen über Aegypten und seine Zukunft geschrieben; jetzt? Was ist uns Ibrahim ?
Wenn die Tasse Kaffee ausgetrunken ist, bei der man's las, hat man den Tod
lange vergessen, kein Hahn kräht darüber,, ja kein Zeitungsartikel entsteht um
seinetwillen. -- Es ist eine große Veränderung in unsern Seelen vorgegangen;
wir sind gleichgiltiger geworden gegen den Tod, der Werth des Menschenlebens ist
gesunken. Schon das Aussprechen dieser unleugbaren Thatsache hätte uns, die
Einzelnen, vor einem Jahre entsetzt, jetzt empfinden wir's als ganz natürlich, als
eine Folge großer politischer Erschütterungen. Wir sind recht hartherzige, ver¬
stockte Teufel geworden. Sonst hatten Ungeheuer einer bestimmten Gattung, Pi¬
raten, Sclavenhändler und dergleichen Volk ausschließlich das Recht, verächtlich
von Leben und Tod zu denken, wofür man sie gelegentlich aufhing; und unter
Civilisirten höchstens ein alter Haudegen von Offizier, welcher deshalb mit scheuer
Ehrfurcht augesehen wurde; und jetzt sind wir sämmtlich nicht viel besser als
Heinrich Percy oder Friedensrichter Scheel, wir verzehren entweder kriegerisch ein
halb Dutzend politische Feinde zum Frühstück und rufen dann: gebt meiner Schenke
zu sausen, oder wir behandeln wenigstens den Tod unsrer Freunde gemüthlich und
geschäftlich: der alte Doppel tod? Sieh, sieh! Wie viel gilt die Mandel Schafe
jetzt? -- In diesen Tagen ist ein Jahr gestorben, das ist der Termin, wo ein guter
Geschäftsmann das Buch seines Lebens durchsieht, die Schulden und sein Gut¬
haben summirt und sich die Frage beantwortet, bin ich reicher oder ärmer gewor¬
den? So fragen auch wir: sind wir besser oder schlechter geworden, deßhalb weil
wir härter geworden sind durch einen heißen Kampf? -- Die aufgewühlte
Zeit hat die Starken besser, die Schwachen schlechter gemacht. So war's von je
in der Welt, wo ein Achilles wächst, kriecht auch ein Thersites hervor. Wer von
uns die Pforten seiner Seele weit geöffnet hat für die Strome neuen Lebens,
welche heraurauschen, wessen Geist prüfend und gestaltend über dem Ganzen, Un¬
geheuern unserer Wandlungen schwebt, dem mag im Kampf der höchsten Gegen¬
sätze das Leben und Schicksal der Einzelnen verhältnißmäßig wenig werden, er hat,
so lange die Schlacht dauert, keine Zeit für elegische Klage und lantes Bedauern.
Anders steht der kleine Egoist, anders der Sohn des Volkes, deir der politische
Fanatismus dieses Jahres ergriffen hat. Der widerlichste von Beiden ist der egoi¬
stische Philister. Seht sie an, die zahlreichen zugeknöpften Herren mit abgespann¬
ten Gesicht und zwei unheimlichen Falten von der Nase zu den Mundwinkeln. Im
Frühjahr schüttelten sie den Kops und weissagten nichts Gutes, im Sommer star-


Kreis angehören, sind um uns herum gefallen. Wenn jetzt irgendwo in der
Ferne ein Staubgeborcner stirbt, um dessen Person und Leben wir uns in stiller
Zeit von weitem sehr gekümmert haben, das thut uns gar nichts mehr, es wun¬
dert uus nicht, es ärgert uns nicht, es ist uns sehr gleichgiltig. So hat dieser
Ibrahim Pascha die Unschicklichkeit begangen von unsrer Erde zu scheiden. Vori-
riges Jahr wären alle deutschen Köpfe darüber geschüttelt worden und man hätte
Bogen über Aegypten und seine Zukunft geschrieben; jetzt? Was ist uns Ibrahim ?
Wenn die Tasse Kaffee ausgetrunken ist, bei der man's las, hat man den Tod
lange vergessen, kein Hahn kräht darüber,, ja kein Zeitungsartikel entsteht um
seinetwillen. — Es ist eine große Veränderung in unsern Seelen vorgegangen;
wir sind gleichgiltiger geworden gegen den Tod, der Werth des Menschenlebens ist
gesunken. Schon das Aussprechen dieser unleugbaren Thatsache hätte uns, die
Einzelnen, vor einem Jahre entsetzt, jetzt empfinden wir's als ganz natürlich, als
eine Folge großer politischer Erschütterungen. Wir sind recht hartherzige, ver¬
stockte Teufel geworden. Sonst hatten Ungeheuer einer bestimmten Gattung, Pi¬
raten, Sclavenhändler und dergleichen Volk ausschließlich das Recht, verächtlich
von Leben und Tod zu denken, wofür man sie gelegentlich aufhing; und unter
Civilisirten höchstens ein alter Haudegen von Offizier, welcher deshalb mit scheuer
Ehrfurcht augesehen wurde; und jetzt sind wir sämmtlich nicht viel besser als
Heinrich Percy oder Friedensrichter Scheel, wir verzehren entweder kriegerisch ein
halb Dutzend politische Feinde zum Frühstück und rufen dann: gebt meiner Schenke
zu sausen, oder wir behandeln wenigstens den Tod unsrer Freunde gemüthlich und
geschäftlich: der alte Doppel tod? Sieh, sieh! Wie viel gilt die Mandel Schafe
jetzt? — In diesen Tagen ist ein Jahr gestorben, das ist der Termin, wo ein guter
Geschäftsmann das Buch seines Lebens durchsieht, die Schulden und sein Gut¬
haben summirt und sich die Frage beantwortet, bin ich reicher oder ärmer gewor¬
den? So fragen auch wir: sind wir besser oder schlechter geworden, deßhalb weil
wir härter geworden sind durch einen heißen Kampf? — Die aufgewühlte
Zeit hat die Starken besser, die Schwachen schlechter gemacht. So war's von je
in der Welt, wo ein Achilles wächst, kriecht auch ein Thersites hervor. Wer von
uns die Pforten seiner Seele weit geöffnet hat für die Strome neuen Lebens,
welche heraurauschen, wessen Geist prüfend und gestaltend über dem Ganzen, Un¬
geheuern unserer Wandlungen schwebt, dem mag im Kampf der höchsten Gegen¬
sätze das Leben und Schicksal der Einzelnen verhältnißmäßig wenig werden, er hat,
so lange die Schlacht dauert, keine Zeit für elegische Klage und lantes Bedauern.
Anders steht der kleine Egoist, anders der Sohn des Volkes, deir der politische
Fanatismus dieses Jahres ergriffen hat. Der widerlichste von Beiden ist der egoi¬
stische Philister. Seht sie an, die zahlreichen zugeknöpften Herren mit abgespann¬
ten Gesicht und zwei unheimlichen Falten von der Nase zu den Mundwinkeln. Im
Frühjahr schüttelten sie den Kops und weissagten nichts Gutes, im Sommer star-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/55>, abgerufen am 23.12.2024.