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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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verblendet sich absichtlich, um in ihrer stillen Arbeit nicht gehindert zu werden. Dann
f.eitles wird die Gemüthlichkeit ein Unglück. Ach, sie ist oft der Deutschen Un¬
glück gewesen, wie das Unglück unseres Bürgermeisters! Hätte der arme Bürger--
meister sich seines Tabak^händlcrs Gesicht und Wesen schärfer angesehn, er hätte
nicht durch die gemüthliche Bravade den Serben mit seinem Humor zu überziehn
gesucht und ihm dadurch Veranlassung gegeben, auch seinerseits einen schlechten
Witz zu machen.

Am schlimmsten steht es mit unserer deutschen Tugend in der Politik. Hier
ist es von je die Hauptsache gewesen, die Dinge scharf in's Ange zu fassen und
sehr unselig war es, sie dnrch stille Thätigkeit der Phantasie behaglich umzuformen
und z. B. dem Kaiser von Rußland ein Bäuchlein voll Wohlwollen, oder dem
Franzosen ein riesiges Herz uneigennütziger Menschenliebe anzuspinnen. Wir Deutsche
sind in der Politik durchweg Bürgermeisters, wir können nicht leiden, was unbe¬
haglich ist und wir suchen die Gemüthlichkeit an Allem, über Alles. Warum wurde daS
Militär im vorigen Jahr so angefeindet? Die Pickelhaube und das martialische
Wesen war dem guten liberalen Bürger so entsetzlich ungemüthlich; warum predigte
Rüge in Frankfurt einen Brüberstaat aller freien Böller? aus reiner Gemüthlichkeit;
warum wurde Krieg mit Dänemark angefangen? Weil es so gemüthlich war, sich
zu begeistern und von der Stube aus eine Flotte zu dekretiren? Warum fand sich
das Parlament wieder in den Waffenstillstand von Malmoe? Weil der Krieg an¬
fing ungemüthlich zu werden. Warum machte" die Wiener Octoberrevolution? aus
ungewöhnlich großer Gemüthlichkeit. Weshalb macht das Parlament jetzt einen
deutschen Kaiser? Wieder aus Gemüthlichkeit, mau muß bei der neuen Geschichte
auch etwas für'ö Herz haben. DaS einfache Decret: Preußen hat das Präsidium
des Bundesstaats, taugt nichts, die Formel erinnert an einzelne Staaten, diese
ungemüthlich gewordenen Wesen; grade sie hofft man dadurch zu überspinnen, daß
man eine Phautasiema5ke erfindet, und die deutschen Herzen an diese hängt; mau
denkt sie sich recht groß und zieht ihr sehr, sehr vornehme Kleider an, damit sie Alles
bedeutet und das Uebrige allmälig vor ihr verschwindet. Kanker Gemüthlichkeit.
Ich bin auch gut kaiserlich und darf das sagen. O, ich sehe uns schon Alle sitzen.
Der Kaiser mit der Krone gemüthlich in der Mitte, wir, deutscher Bundesstaat,
rund herum im Kreise, seinen Tabak rauchend und behaglich über Wcltcnschicksal
plaudernd. -- Wenn nur dort im Osten nicht der verwünschte Slave säße, mit
einer Sichel in der Hand, der ungemüthliche Bursch. -- Armer Kaiser! armer
Bürgermeister! --




verblendet sich absichtlich, um in ihrer stillen Arbeit nicht gehindert zu werden. Dann
f.eitles wird die Gemüthlichkeit ein Unglück. Ach, sie ist oft der Deutschen Un¬
glück gewesen, wie das Unglück unseres Bürgermeisters! Hätte der arme Bürger--
meister sich seines Tabak^händlcrs Gesicht und Wesen schärfer angesehn, er hätte
nicht durch die gemüthliche Bravade den Serben mit seinem Humor zu überziehn
gesucht und ihm dadurch Veranlassung gegeben, auch seinerseits einen schlechten
Witz zu machen.

Am schlimmsten steht es mit unserer deutschen Tugend in der Politik. Hier
ist es von je die Hauptsache gewesen, die Dinge scharf in's Ange zu fassen und
sehr unselig war es, sie dnrch stille Thätigkeit der Phantasie behaglich umzuformen
und z. B. dem Kaiser von Rußland ein Bäuchlein voll Wohlwollen, oder dem
Franzosen ein riesiges Herz uneigennütziger Menschenliebe anzuspinnen. Wir Deutsche
sind in der Politik durchweg Bürgermeisters, wir können nicht leiden, was unbe¬
haglich ist und wir suchen die Gemüthlichkeit an Allem, über Alles. Warum wurde daS
Militär im vorigen Jahr so angefeindet? Die Pickelhaube und das martialische
Wesen war dem guten liberalen Bürger so entsetzlich ungemüthlich; warum predigte
Rüge in Frankfurt einen Brüberstaat aller freien Böller? aus reiner Gemüthlichkeit;
warum wurde Krieg mit Dänemark angefangen? Weil es so gemüthlich war, sich
zu begeistern und von der Stube aus eine Flotte zu dekretiren? Warum fand sich
das Parlament wieder in den Waffenstillstand von Malmoe? Weil der Krieg an¬
fing ungemüthlich zu werden. Warum machte» die Wiener Octoberrevolution? aus
ungewöhnlich großer Gemüthlichkeit. Weshalb macht das Parlament jetzt einen
deutschen Kaiser? Wieder aus Gemüthlichkeit, mau muß bei der neuen Geschichte
auch etwas für'ö Herz haben. DaS einfache Decret: Preußen hat das Präsidium
des Bundesstaats, taugt nichts, die Formel erinnert an einzelne Staaten, diese
ungemüthlich gewordenen Wesen; grade sie hofft man dadurch zu überspinnen, daß
man eine Phautasiema5ke erfindet, und die deutschen Herzen an diese hängt; mau
denkt sie sich recht groß und zieht ihr sehr, sehr vornehme Kleider an, damit sie Alles
bedeutet und das Uebrige allmälig vor ihr verschwindet. Kanker Gemüthlichkeit.
Ich bin auch gut kaiserlich und darf das sagen. O, ich sehe uns schon Alle sitzen.
Der Kaiser mit der Krone gemüthlich in der Mitte, wir, deutscher Bundesstaat,
rund herum im Kreise, seinen Tabak rauchend und behaglich über Wcltcnschicksal
plaudernd. — Wenn nur dort im Osten nicht der verwünschte Slave säße, mit
einer Sichel in der Hand, der ungemüthliche Bursch. — Armer Kaiser! armer
Bürgermeister! —




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/504>, abgerufen am 01.10.2024.