Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kirche zu seinen Pferden in den Stall, stellt sich neben sie, sieht zu, wie ihnen
das Futter schmeckt und schlägt mit der flachen Hand langsam auf ihre Nippen,
er freut sich, daß sie so rund und gut genährt sind. Daß die Thiere leben und
sich wohl fühlen, das macht ihm ein stilles Behagen; und wen" der Gaul im
Fressen eine Pause macht und sich nach dem Herrn Umsicht, wie die Pferde gern
thun, so freut das den Bauer, und er und das Pferd sehn sich einander freund¬
lich an, der Bauer lächelt etwas weniges und daS Pferd wiehert; das ist Ge¬
müthlichkeit. -- Dort kommt ein deutscher Farmer auf dem ncugekanftcn Grunde
an, er bringt auf seinem Karren einen schweren alten Schemel und einen schlechten
Vogelbauer mit, in dem schon längst kein Vogel ist. Beides hat er über das
Meer und Hunderte von Meilen dnrch'ö Land geschleppt. Die Amerikaner lachen
ihn aus, er aber stellt den Schemel auf den Ehrenplatz in seiner Hütte und den
Vogelbauer flickt er wieder aus und hängt'n an das Fenster. Der Schemel ist
ihm lieb und der Vogelbauer ist ihm lieb. W.irren, ist gleichgiltig, vielleicht saß
sein Vater auf dem Schemel nud den Bauer mag er einst seinem Weib geschenkt
haben. Auch das ist Gemüthlichkeit.

Ferner: Ein Amerikaner und ein Deutscher treten in ein Jndianerlager, das
kann gut ablaufen, es kann auch um den Scalp gehen; der Amerikaner setzt sich
ruhig auf den Holzblock, schweigend, kurze und vorsichtige Antworten gebend, mit
dem Ellenbogen fühlt er fortwährend nach seiner niste, sein Auge beobachtet jede
Bewegung der rothen Geselle", dabei schmeckt ihm aber der Bnffelnicken; dem
Deutschen schmeckt er nicht, der ist in großer nervöser Aufregung, ändert jeden
Augenblick seine Stellung und versucht unzählige Male in die Seele des Häupt¬
lings zu dringen, ihn zu einer Erklärung, odcr wo möglich zum Lachen zu bringen,
um die Last auf seinem Herzen los zu werde". Der Amerikaner sieht ihn vorwurfs¬
voll an, vielleicht erräth sogar der Indianer, was in ihm vorgeht. Und doch ist
der Deutsche ein ehe" so tapfrer Mann, als einer von Beiden; aber ihm ist un-
gemüthlich. Er ist nicht in Harmonie mit der Außenwelt, die egoistisch abschließende
Empfindung des Argwohns ist ihm sehr peinlich, er versucht sie los zu werden
und beim ersten freundlichen Blick des Judiancis wild derselbe Mann sich wun¬
derfroh und glücklich fühlen, der im Augenblick des offnen Kampfes mit zwei sol¬
chen Häuptlingen anzubinden den Muth hat. -- Und wieder der Amerikaner
und der Deutsche sitzen am rohen Holztisch im Blockhaus; der Amerikaner schnei¬
det zum Zeitvertreib mit seinem Messer Löcher in die Tischplatte, ihm ist der
Tisch nichts als das Resultat eines rohen Brettes ohne Werih und einer zwei¬
stündigen Arbeit, welche etwa den Werll) eines Schillings bat; dem Deutschen
ist derselbe Tisch ein "Gegenstand", ihn freut die Flaser des Holzes, auch das
Knoriloch an der Seile beschäftigt ihn, so oft er hinsicyt; sür ihn hat der Tisch
eine Art Leben, eine Berechtigung und er findet das Schnitzeln des Amerikaners
höchst ungemüthlich. -- Ehe der Deutsche Christ wurde, hatte er eine Mythologie,


Kirche zu seinen Pferden in den Stall, stellt sich neben sie, sieht zu, wie ihnen
das Futter schmeckt und schlägt mit der flachen Hand langsam auf ihre Nippen,
er freut sich, daß sie so rund und gut genährt sind. Daß die Thiere leben und
sich wohl fühlen, das macht ihm ein stilles Behagen; und wen» der Gaul im
Fressen eine Pause macht und sich nach dem Herrn Umsicht, wie die Pferde gern
thun, so freut das den Bauer, und er und das Pferd sehn sich einander freund¬
lich an, der Bauer lächelt etwas weniges und daS Pferd wiehert; das ist Ge¬
müthlichkeit. — Dort kommt ein deutscher Farmer auf dem ncugekanftcn Grunde
an, er bringt auf seinem Karren einen schweren alten Schemel und einen schlechten
Vogelbauer mit, in dem schon längst kein Vogel ist. Beides hat er über das
Meer und Hunderte von Meilen dnrch'ö Land geschleppt. Die Amerikaner lachen
ihn aus, er aber stellt den Schemel auf den Ehrenplatz in seiner Hütte und den
Vogelbauer flickt er wieder aus und hängt'n an das Fenster. Der Schemel ist
ihm lieb und der Vogelbauer ist ihm lieb. W.irren, ist gleichgiltig, vielleicht saß
sein Vater auf dem Schemel nud den Bauer mag er einst seinem Weib geschenkt
haben. Auch das ist Gemüthlichkeit.

Ferner: Ein Amerikaner und ein Deutscher treten in ein Jndianerlager, das
kann gut ablaufen, es kann auch um den Scalp gehen; der Amerikaner setzt sich
ruhig auf den Holzblock, schweigend, kurze und vorsichtige Antworten gebend, mit
dem Ellenbogen fühlt er fortwährend nach seiner niste, sein Auge beobachtet jede
Bewegung der rothen Geselle», dabei schmeckt ihm aber der Bnffelnicken; dem
Deutschen schmeckt er nicht, der ist in großer nervöser Aufregung, ändert jeden
Augenblick seine Stellung und versucht unzählige Male in die Seele des Häupt¬
lings zu dringen, ihn zu einer Erklärung, odcr wo möglich zum Lachen zu bringen,
um die Last auf seinem Herzen los zu werde». Der Amerikaner sieht ihn vorwurfs¬
voll an, vielleicht erräth sogar der Indianer, was in ihm vorgeht. Und doch ist
der Deutsche ein ehe» so tapfrer Mann, als einer von Beiden; aber ihm ist un-
gemüthlich. Er ist nicht in Harmonie mit der Außenwelt, die egoistisch abschließende
Empfindung des Argwohns ist ihm sehr peinlich, er versucht sie los zu werden
und beim ersten freundlichen Blick des Judiancis wild derselbe Mann sich wun¬
derfroh und glücklich fühlen, der im Augenblick des offnen Kampfes mit zwei sol¬
chen Häuptlingen anzubinden den Muth hat. — Und wieder der Amerikaner
und der Deutsche sitzen am rohen Holztisch im Blockhaus; der Amerikaner schnei¬
det zum Zeitvertreib mit seinem Messer Löcher in die Tischplatte, ihm ist der
Tisch nichts als das Resultat eines rohen Brettes ohne Werih und einer zwei¬
stündigen Arbeit, welche etwa den Werll) eines Schillings bat; dem Deutschen
ist derselbe Tisch ein „Gegenstand", ihn freut die Flaser des Holzes, auch das
Knoriloch an der Seile beschäftigt ihn, so oft er hinsicyt; sür ihn hat der Tisch
eine Art Leben, eine Berechtigung und er findet das Schnitzeln des Amerikaners
höchst ungemüthlich. — Ehe der Deutsche Christ wurde, hatte er eine Mythologie,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0502" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278490"/>
          <p xml:id="ID_2775" prev="#ID_2774"> Kirche zu seinen Pferden in den Stall, stellt sich neben sie, sieht zu, wie ihnen<lb/>
das Futter schmeckt und schlägt mit der flachen Hand langsam auf ihre Nippen,<lb/>
er freut sich, daß sie so rund und gut genährt sind. Daß die Thiere leben und<lb/>
sich wohl fühlen, das macht ihm ein stilles Behagen; und wen» der Gaul im<lb/>
Fressen eine Pause macht und sich nach dem Herrn Umsicht, wie die Pferde gern<lb/>
thun, so freut das den Bauer, und er und das Pferd sehn sich einander freund¬<lb/>
lich an, der Bauer lächelt etwas weniges und daS Pferd wiehert; das ist Ge¬<lb/>
müthlichkeit. &#x2014; Dort kommt ein deutscher Farmer auf dem ncugekanftcn Grunde<lb/>
an, er bringt auf seinem Karren einen schweren alten Schemel und einen schlechten<lb/>
Vogelbauer mit, in dem schon längst kein Vogel ist. Beides hat er über das<lb/>
Meer und Hunderte von Meilen dnrch'ö Land geschleppt. Die Amerikaner lachen<lb/>
ihn aus, er aber stellt den Schemel auf den Ehrenplatz in seiner Hütte und den<lb/>
Vogelbauer flickt er wieder aus und hängt'n an das Fenster. Der Schemel ist<lb/>
ihm lieb und der Vogelbauer ist ihm lieb. W.irren, ist gleichgiltig, vielleicht saß<lb/>
sein Vater auf dem Schemel nud den Bauer mag er einst seinem Weib geschenkt<lb/>
haben. Auch das ist Gemüthlichkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2776" next="#ID_2777"> Ferner: Ein Amerikaner und ein Deutscher treten in ein Jndianerlager, das<lb/>
kann gut ablaufen, es kann auch um den Scalp gehen; der Amerikaner setzt sich<lb/>
ruhig auf den Holzblock, schweigend, kurze und vorsichtige Antworten gebend, mit<lb/>
dem Ellenbogen fühlt er fortwährend nach seiner niste, sein Auge beobachtet jede<lb/>
Bewegung der rothen Geselle», dabei schmeckt ihm aber der Bnffelnicken; dem<lb/>
Deutschen schmeckt er nicht, der ist in großer nervöser Aufregung, ändert jeden<lb/>
Augenblick seine Stellung und versucht unzählige Male in die Seele des Häupt¬<lb/>
lings zu dringen, ihn zu einer Erklärung, odcr wo möglich zum Lachen zu bringen,<lb/>
um die Last auf seinem Herzen los zu werde». Der Amerikaner sieht ihn vorwurfs¬<lb/>
voll an, vielleicht erräth sogar der Indianer, was in ihm vorgeht. Und doch ist<lb/>
der Deutsche ein ehe» so tapfrer Mann, als einer von Beiden; aber ihm ist un-<lb/>
gemüthlich. Er ist nicht in Harmonie mit der Außenwelt, die egoistisch abschließende<lb/>
Empfindung des Argwohns ist ihm sehr peinlich, er versucht sie los zu werden<lb/>
und beim ersten freundlichen Blick des Judiancis wild derselbe Mann sich wun¬<lb/>
derfroh und glücklich fühlen, der im Augenblick des offnen Kampfes mit zwei sol¬<lb/>
chen Häuptlingen anzubinden den Muth hat. &#x2014; Und wieder der Amerikaner<lb/>
und der Deutsche sitzen am rohen Holztisch im Blockhaus; der Amerikaner schnei¬<lb/>
det zum Zeitvertreib mit seinem Messer Löcher in die Tischplatte, ihm ist der<lb/>
Tisch nichts als das Resultat eines rohen Brettes ohne Werih und einer zwei¬<lb/>
stündigen Arbeit, welche etwa den Werll) eines Schillings bat; dem Deutschen<lb/>
ist derselbe Tisch ein &#x201E;Gegenstand", ihn freut die Flaser des Holzes, auch das<lb/>
Knoriloch an der Seile beschäftigt ihn, so oft er hinsicyt; sür ihn hat der Tisch<lb/>
eine Art Leben, eine Berechtigung und er findet das Schnitzeln des Amerikaners<lb/>
höchst ungemüthlich. &#x2014; Ehe der Deutsche Christ wurde, hatte er eine Mythologie,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0502] Kirche zu seinen Pferden in den Stall, stellt sich neben sie, sieht zu, wie ihnen das Futter schmeckt und schlägt mit der flachen Hand langsam auf ihre Nippen, er freut sich, daß sie so rund und gut genährt sind. Daß die Thiere leben und sich wohl fühlen, das macht ihm ein stilles Behagen; und wen» der Gaul im Fressen eine Pause macht und sich nach dem Herrn Umsicht, wie die Pferde gern thun, so freut das den Bauer, und er und das Pferd sehn sich einander freund¬ lich an, der Bauer lächelt etwas weniges und daS Pferd wiehert; das ist Ge¬ müthlichkeit. — Dort kommt ein deutscher Farmer auf dem ncugekanftcn Grunde an, er bringt auf seinem Karren einen schweren alten Schemel und einen schlechten Vogelbauer mit, in dem schon längst kein Vogel ist. Beides hat er über das Meer und Hunderte von Meilen dnrch'ö Land geschleppt. Die Amerikaner lachen ihn aus, er aber stellt den Schemel auf den Ehrenplatz in seiner Hütte und den Vogelbauer flickt er wieder aus und hängt'n an das Fenster. Der Schemel ist ihm lieb und der Vogelbauer ist ihm lieb. W.irren, ist gleichgiltig, vielleicht saß sein Vater auf dem Schemel nud den Bauer mag er einst seinem Weib geschenkt haben. Auch das ist Gemüthlichkeit. Ferner: Ein Amerikaner und ein Deutscher treten in ein Jndianerlager, das kann gut ablaufen, es kann auch um den Scalp gehen; der Amerikaner setzt sich ruhig auf den Holzblock, schweigend, kurze und vorsichtige Antworten gebend, mit dem Ellenbogen fühlt er fortwährend nach seiner niste, sein Auge beobachtet jede Bewegung der rothen Geselle», dabei schmeckt ihm aber der Bnffelnicken; dem Deutschen schmeckt er nicht, der ist in großer nervöser Aufregung, ändert jeden Augenblick seine Stellung und versucht unzählige Male in die Seele des Häupt¬ lings zu dringen, ihn zu einer Erklärung, odcr wo möglich zum Lachen zu bringen, um die Last auf seinem Herzen los zu werde». Der Amerikaner sieht ihn vorwurfs¬ voll an, vielleicht erräth sogar der Indianer, was in ihm vorgeht. Und doch ist der Deutsche ein ehe» so tapfrer Mann, als einer von Beiden; aber ihm ist un- gemüthlich. Er ist nicht in Harmonie mit der Außenwelt, die egoistisch abschließende Empfindung des Argwohns ist ihm sehr peinlich, er versucht sie los zu werden und beim ersten freundlichen Blick des Judiancis wild derselbe Mann sich wun¬ derfroh und glücklich fühlen, der im Augenblick des offnen Kampfes mit zwei sol¬ chen Häuptlingen anzubinden den Muth hat. — Und wieder der Amerikaner und der Deutsche sitzen am rohen Holztisch im Blockhaus; der Amerikaner schnei¬ det zum Zeitvertreib mit seinem Messer Löcher in die Tischplatte, ihm ist der Tisch nichts als das Resultat eines rohen Brettes ohne Werih und einer zwei¬ stündigen Arbeit, welche etwa den Werll) eines Schillings bat; dem Deutschen ist derselbe Tisch ein „Gegenstand", ihn freut die Flaser des Holzes, auch das Knoriloch an der Seile beschäftigt ihn, so oft er hinsicyt; sür ihn hat der Tisch eine Art Leben, eine Berechtigung und er findet das Schnitzeln des Amerikaners höchst ungemüthlich. — Ehe der Deutsche Christ wurde, hatte er eine Mythologie,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/502
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/502>, abgerufen am 28.11.2024.