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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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den ist, hat höhern Werth, als Duzende von Existenzen, welche ungebunden, ohne
Geschichte und ohne Staat umherschweifen, oder welche ohne eigenes freies Leben
von dem Augenwink eines Czaars, oder dem Säbel ihres HospodarS abhängen. --
Ost und viel hat man die deutschen Kolonisten im Ausland gescholten wegen ihres
beschränkten Egoismus, ihres Mangels an schönem Selbstgefühl, ihrer Spieß-
lmrgerlichkeit. Ich will diese Fehler zugeben. Ja, eS ist wahr, der Deutsche
verlor unter starken Völkern sehr schnell seine Sprache und sein ohnehin geringes
Selbstvertrauen, er nahm die fremde Nationalität schnell an und sie stand ihm
oft herzlich schlecht; und wieder unter roher und schwacher Umgebung wurde er
hochmüthig, grob, ein harter Egoist. Wie sollte er auch ander S? Den sichern
Stolz, Sohn einer starken Nation zu sein, brachte er nirgend hin, er war ent¬
weder widerstandsloser Bewunderer fremden Selbstgefühls, oder er erhielt den
Trotz eines Emporkömmlings. Aber ebenso soll gesagt sein, daß die deutsche
Seele trotz aller dieser und ähnlicher Schwächen, in Amerika wie in Ungarn und
am schwarzen Meer ein Edelstein ist, welcher seine Umgebung durch ein geheim-
nißvolles Licht verklärt, wie nach der Sage der edle Opal thut.

Deutsche Gemüthlichkeit! Viclgescholtene, hart angeklagte Tugend! Woher
stammst du? Bist du von den Göttern oder eine Tochter irdischer Noth und Ge¬
meinheit? Als kleine Spinne hängst du am Rock eines jeden Deutschen, wo er
mich sei. Du bist unzerstörbar im Wüstensande Algiers, in der Ficbcrlnst des
Red River, wie in dem Schneesturm der russischen Steppen. Seht die Soldaten
der afrikanischen Fremdenlegion, sie lagern um das Feuer, in ihren Feldkesseln
kocht die Mahlzeit. Der Franzose rückt den Kessel ungeduldig näher zur Flamme,
der Schotte bessert seine Hosen ans, und sieht von Zeit zu Zeit mit praktischem
Seitenblick nach dem Fleisch, der Deutsche hat sich einen Sitz gemacht von einem
Häufchen getrocknetem Kamecldüngcr, dem Brennholz der Wüste, er sitzt ruhig
Und sieht in den Kochtopf. An dem Bl!et mögt ihr den Landsmann erkennen.
Es ist nicht ungeduldige Eßlust, wie beim Franzosen, nicht kaltblütige Berechnung,
wie beim Edinburger, die deutsche Seele ist voll Hoffnung, aber sie ist ruhig. Er
ist nicht unthätig, eine stille Seligkeit glänzt aus seinem Auge, er betrachtet die
Blasen, welche so schnurrig aufsteigen und verschwinden, und diese Blasen freuen
ihn herzlich. Dabei fällt'ihm ein, wie sie zu Hause in der Heimath ebenso ge¬
brodelt haben, und wie närrisch das mit dem ganzen Kochen ans Erden ist u. s. w.
Er empfindet sich in schönster Harmonie mit der ganzen Welt, er träumt, er spe-
culirt, aber seine Seele ist dabei offen und in ihrer Klarheit spiegelt sich die
Außenwelt. -- Kommt nach Odessa seht hier auf den Russen mit seinen bnntgc-
schmückten Pferden und dort auf den deutschen Kolonisten mit seinem Gespann.
Wie laut und zärtlich plaudert der Nüsse mit seinen Thieren, er ruft sie schmeichelnd
mit allen BerwandschaftSnamen, aber gebt ihr ihm Geld oder Drohungen, so jagt
er sie erbarmungslos zu Tode; der deutsche Bauer geht des SonntagZ uach der


den ist, hat höhern Werth, als Duzende von Existenzen, welche ungebunden, ohne
Geschichte und ohne Staat umherschweifen, oder welche ohne eigenes freies Leben
von dem Augenwink eines Czaars, oder dem Säbel ihres HospodarS abhängen. —
Ost und viel hat man die deutschen Kolonisten im Ausland gescholten wegen ihres
beschränkten Egoismus, ihres Mangels an schönem Selbstgefühl, ihrer Spieß-
lmrgerlichkeit. Ich will diese Fehler zugeben. Ja, eS ist wahr, der Deutsche
verlor unter starken Völkern sehr schnell seine Sprache und sein ohnehin geringes
Selbstvertrauen, er nahm die fremde Nationalität schnell an und sie stand ihm
oft herzlich schlecht; und wieder unter roher und schwacher Umgebung wurde er
hochmüthig, grob, ein harter Egoist. Wie sollte er auch ander S? Den sichern
Stolz, Sohn einer starken Nation zu sein, brachte er nirgend hin, er war ent¬
weder widerstandsloser Bewunderer fremden Selbstgefühls, oder er erhielt den
Trotz eines Emporkömmlings. Aber ebenso soll gesagt sein, daß die deutsche
Seele trotz aller dieser und ähnlicher Schwächen, in Amerika wie in Ungarn und
am schwarzen Meer ein Edelstein ist, welcher seine Umgebung durch ein geheim-
nißvolles Licht verklärt, wie nach der Sage der edle Opal thut.

Deutsche Gemüthlichkeit! Viclgescholtene, hart angeklagte Tugend! Woher
stammst du? Bist du von den Göttern oder eine Tochter irdischer Noth und Ge¬
meinheit? Als kleine Spinne hängst du am Rock eines jeden Deutschen, wo er
mich sei. Du bist unzerstörbar im Wüstensande Algiers, in der Ficbcrlnst des
Red River, wie in dem Schneesturm der russischen Steppen. Seht die Soldaten
der afrikanischen Fremdenlegion, sie lagern um das Feuer, in ihren Feldkesseln
kocht die Mahlzeit. Der Franzose rückt den Kessel ungeduldig näher zur Flamme,
der Schotte bessert seine Hosen ans, und sieht von Zeit zu Zeit mit praktischem
Seitenblick nach dem Fleisch, der Deutsche hat sich einen Sitz gemacht von einem
Häufchen getrocknetem Kamecldüngcr, dem Brennholz der Wüste, er sitzt ruhig
Und sieht in den Kochtopf. An dem Bl!et mögt ihr den Landsmann erkennen.
Es ist nicht ungeduldige Eßlust, wie beim Franzosen, nicht kaltblütige Berechnung,
wie beim Edinburger, die deutsche Seele ist voll Hoffnung, aber sie ist ruhig. Er
ist nicht unthätig, eine stille Seligkeit glänzt aus seinem Auge, er betrachtet die
Blasen, welche so schnurrig aufsteigen und verschwinden, und diese Blasen freuen
ihn herzlich. Dabei fällt'ihm ein, wie sie zu Hause in der Heimath ebenso ge¬
brodelt haben, und wie närrisch das mit dem ganzen Kochen ans Erden ist u. s. w.
Er empfindet sich in schönster Harmonie mit der ganzen Welt, er träumt, er spe-
culirt, aber seine Seele ist dabei offen und in ihrer Klarheit spiegelt sich die
Außenwelt. — Kommt nach Odessa seht hier auf den Russen mit seinen bnntgc-
schmückten Pferden und dort auf den deutschen Kolonisten mit seinem Gespann.
Wie laut und zärtlich plaudert der Nüsse mit seinen Thieren, er ruft sie schmeichelnd
mit allen BerwandschaftSnamen, aber gebt ihr ihm Geld oder Drohungen, so jagt
er sie erbarmungslos zu Tode; der deutsche Bauer geht des SonntagZ uach der


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[0501] den ist, hat höhern Werth, als Duzende von Existenzen, welche ungebunden, ohne Geschichte und ohne Staat umherschweifen, oder welche ohne eigenes freies Leben von dem Augenwink eines Czaars, oder dem Säbel ihres HospodarS abhängen. — Ost und viel hat man die deutschen Kolonisten im Ausland gescholten wegen ihres beschränkten Egoismus, ihres Mangels an schönem Selbstgefühl, ihrer Spieß- lmrgerlichkeit. Ich will diese Fehler zugeben. Ja, eS ist wahr, der Deutsche verlor unter starken Völkern sehr schnell seine Sprache und sein ohnehin geringes Selbstvertrauen, er nahm die fremde Nationalität schnell an und sie stand ihm oft herzlich schlecht; und wieder unter roher und schwacher Umgebung wurde er hochmüthig, grob, ein harter Egoist. Wie sollte er auch ander S? Den sichern Stolz, Sohn einer starken Nation zu sein, brachte er nirgend hin, er war ent¬ weder widerstandsloser Bewunderer fremden Selbstgefühls, oder er erhielt den Trotz eines Emporkömmlings. Aber ebenso soll gesagt sein, daß die deutsche Seele trotz aller dieser und ähnlicher Schwächen, in Amerika wie in Ungarn und am schwarzen Meer ein Edelstein ist, welcher seine Umgebung durch ein geheim- nißvolles Licht verklärt, wie nach der Sage der edle Opal thut. Deutsche Gemüthlichkeit! Viclgescholtene, hart angeklagte Tugend! Woher stammst du? Bist du von den Göttern oder eine Tochter irdischer Noth und Ge¬ meinheit? Als kleine Spinne hängst du am Rock eines jeden Deutschen, wo er mich sei. Du bist unzerstörbar im Wüstensande Algiers, in der Ficbcrlnst des Red River, wie in dem Schneesturm der russischen Steppen. Seht die Soldaten der afrikanischen Fremdenlegion, sie lagern um das Feuer, in ihren Feldkesseln kocht die Mahlzeit. Der Franzose rückt den Kessel ungeduldig näher zur Flamme, der Schotte bessert seine Hosen ans, und sieht von Zeit zu Zeit mit praktischem Seitenblick nach dem Fleisch, der Deutsche hat sich einen Sitz gemacht von einem Häufchen getrocknetem Kamecldüngcr, dem Brennholz der Wüste, er sitzt ruhig Und sieht in den Kochtopf. An dem Bl!et mögt ihr den Landsmann erkennen. Es ist nicht ungeduldige Eßlust, wie beim Franzosen, nicht kaltblütige Berechnung, wie beim Edinburger, die deutsche Seele ist voll Hoffnung, aber sie ist ruhig. Er ist nicht unthätig, eine stille Seligkeit glänzt aus seinem Auge, er betrachtet die Blasen, welche so schnurrig aufsteigen und verschwinden, und diese Blasen freuen ihn herzlich. Dabei fällt'ihm ein, wie sie zu Hause in der Heimath ebenso ge¬ brodelt haben, und wie närrisch das mit dem ganzen Kochen ans Erden ist u. s. w. Er empfindet sich in schönster Harmonie mit der ganzen Welt, er träumt, er spe- culirt, aber seine Seele ist dabei offen und in ihrer Klarheit spiegelt sich die Außenwelt. — Kommt nach Odessa seht hier auf den Russen mit seinen bnntgc- schmückten Pferden und dort auf den deutschen Kolonisten mit seinem Gespann. Wie laut und zärtlich plaudert der Nüsse mit seinen Thieren, er ruft sie schmeichelnd mit allen BerwandschaftSnamen, aber gebt ihr ihm Geld oder Drohungen, so jagt er sie erbarmungslos zu Tode; der deutsche Bauer geht des SonntagZ uach der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/501>, abgerufen am 23.07.2024.