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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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die rechten Grenzen zu finden, wo die Regierungsgewalt aufhört und das freie
Blühen der Volkskraft anfängt. Laßt uns versuchen, diese zu finden.

Zuerst denkt ihr, Männer der Opposition, daran: daß in einem freiorgani-
sirten Staat, in welchem Anfänge constitutionellen Lebens lebendig geworden sind,
keine Regierungsgewalt bestehen kann, welche sich nicht auf die Majorität des
Volkswillens stützt, daß es also in der Zukunft Oestreichs keine Regierung gibt,
welche dem Volk feindlich gegenüber steht, es müßte denn möglich werden durch
Korruption der Kammern oder Apathie der Völker. Diese widerlichen Möglich¬
keiten aber soll kein Patriot in Anschlag bringen. Und zum Zweiten denkt daran,
daß wir Alle, die wir aus verschiedenen Lagern für Volksfreiheit kämpfen, in einer
sehr seltsamen Lage zur Wirklichkeit sind. Wir sind sämmtlich, das Ministerium
mit eingeschlossen, Idealisten; das heißt, wir arbeiten dahin, die Ideale freien
Staatslebens, die wir im Kopf und Herzen tragen, in eine Wirklichkeit einzu¬
pflanzen, welche sich oft spröde und störrisch gegen dieselben verhält. Täuschen
wir uns nicht, wir haben die Kopfmajorität unserer Zeitbürger durchaus nicht
sicher sür uns, wir sind Reformatoren, welche Völker mit schönen Anlagen Herauf¬
ziehen wollen zur Freiheit und Vernunft, und jeder nächste Schritt vorwärts kann
uns statt lauter Freudenrufe der Menge die Mißtöne des Unwillens bringen. So
sind unsere Grundrechte Ideale, deren Verwirklichung harte und lauge Kämpfe,
viele Concessionen, Ausdauer und Nachsicht dringend erfordern wird. Nicht die
Tyroler allein werden für Begriffe wie Freiheit von Kirche und Schule unem¬
pfänglich sein. Meint ihr z. B. den gesetzlichen Sinn, welcher zur Ausübung
von Selbstpolizei nöthig ist, an dem Schilfrohr der Theis und in den Thälern
der Karpathen vorzufinden? Hofft ihr auch bei uns in Oestreich, in Böhmen,
daß der Landmann sobald seinen egoistischen Vortheil so verstehen werde, wie ihn
ein freier Mann verstehen muß, als ein Stück von dem Vortheil des Ganzen?
Wahrhaftig, keine liberale Verfassung macht frei, sie gibt nur die Möglichkeit, frei
zu werden. Und wir, die wir brüderlich alle Stämme und Völker des Kaiser¬
staats zur Freiheit fähig machen wollen, wir haben eine Herculesarbeit über-
nommen, die tausend Köpfe, tausend warme Herzen erfordert, Hunderte von Opfern
kosten wird, und die vor Allem Einheit, Plan, verständige Leitung erfordert. Und
die Führer und Leiter in diesem ungeheuern Entwicklungsproceß müssen die Mi¬
nister des Gesammtstaats sein, nnr sie können es sein, weil dieser Entwicklungs¬
proceß das ganze Staatsleben unserer Zukunft ausmachen wird. Dazu brauchen
sie scharfe Augen, welche über das ganze große Gebiet schauen, lange Arme, welche
überall Lasten heben, Hindernisse wegräumen können. Sie müssen überall stark
sein, send sie doch uns überall verantwortlich.

Dagegen denke Du, Graf Stadion, daran, daß die Regierung um so stärker
und sichrer ist, je stärker und sichrer das Volk wird. Metternich's Regiment war
ein schwaches Kartenhaus, ein Volkssturm blies es um, weil er das Volk schwach


die rechten Grenzen zu finden, wo die Regierungsgewalt aufhört und das freie
Blühen der Volkskraft anfängt. Laßt uns versuchen, diese zu finden.

Zuerst denkt ihr, Männer der Opposition, daran: daß in einem freiorgani-
sirten Staat, in welchem Anfänge constitutionellen Lebens lebendig geworden sind,
keine Regierungsgewalt bestehen kann, welche sich nicht auf die Majorität des
Volkswillens stützt, daß es also in der Zukunft Oestreichs keine Regierung gibt,
welche dem Volk feindlich gegenüber steht, es müßte denn möglich werden durch
Korruption der Kammern oder Apathie der Völker. Diese widerlichen Möglich¬
keiten aber soll kein Patriot in Anschlag bringen. Und zum Zweiten denkt daran,
daß wir Alle, die wir aus verschiedenen Lagern für Volksfreiheit kämpfen, in einer
sehr seltsamen Lage zur Wirklichkeit sind. Wir sind sämmtlich, das Ministerium
mit eingeschlossen, Idealisten; das heißt, wir arbeiten dahin, die Ideale freien
Staatslebens, die wir im Kopf und Herzen tragen, in eine Wirklichkeit einzu¬
pflanzen, welche sich oft spröde und störrisch gegen dieselben verhält. Täuschen
wir uns nicht, wir haben die Kopfmajorität unserer Zeitbürger durchaus nicht
sicher sür uns, wir sind Reformatoren, welche Völker mit schönen Anlagen Herauf¬
ziehen wollen zur Freiheit und Vernunft, und jeder nächste Schritt vorwärts kann
uns statt lauter Freudenrufe der Menge die Mißtöne des Unwillens bringen. So
sind unsere Grundrechte Ideale, deren Verwirklichung harte und lauge Kämpfe,
viele Concessionen, Ausdauer und Nachsicht dringend erfordern wird. Nicht die
Tyroler allein werden für Begriffe wie Freiheit von Kirche und Schule unem¬
pfänglich sein. Meint ihr z. B. den gesetzlichen Sinn, welcher zur Ausübung
von Selbstpolizei nöthig ist, an dem Schilfrohr der Theis und in den Thälern
der Karpathen vorzufinden? Hofft ihr auch bei uns in Oestreich, in Böhmen,
daß der Landmann sobald seinen egoistischen Vortheil so verstehen werde, wie ihn
ein freier Mann verstehen muß, als ein Stück von dem Vortheil des Ganzen?
Wahrhaftig, keine liberale Verfassung macht frei, sie gibt nur die Möglichkeit, frei
zu werden. Und wir, die wir brüderlich alle Stämme und Völker des Kaiser¬
staats zur Freiheit fähig machen wollen, wir haben eine Herculesarbeit über-
nommen, die tausend Köpfe, tausend warme Herzen erfordert, Hunderte von Opfern
kosten wird, und die vor Allem Einheit, Plan, verständige Leitung erfordert. Und
die Führer und Leiter in diesem ungeheuern Entwicklungsproceß müssen die Mi¬
nister des Gesammtstaats sein, nnr sie können es sein, weil dieser Entwicklungs¬
proceß das ganze Staatsleben unserer Zukunft ausmachen wird. Dazu brauchen
sie scharfe Augen, welche über das ganze große Gebiet schauen, lange Arme, welche
überall Lasten heben, Hindernisse wegräumen können. Sie müssen überall stark
sein, send sie doch uns überall verantwortlich.

Dagegen denke Du, Graf Stadion, daran, daß die Regierung um so stärker
und sichrer ist, je stärker und sichrer das Volk wird. Metternich's Regiment war
ein schwaches Kartenhaus, ein Volkssturm blies es um, weil er das Volk schwach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/50>, abgerufen am 23.12.2024.