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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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zur offenen Usurpation. Die Deputation an den König, und namentlich die
Wendung, welche der Abgeordnete Jacoby ihr zu geben wußte, ließ der Krone
keine Wahl.

Es handelte sich -- warum sollen wir das Wort scheuen? -- um eine Con-
trerevolution. Die Krone hatte die bedrohten Stände für sich, die Versammlung
hatte keine Wurzel im Volk, denn soweit war noch nicht aller Sinn verloren ge-
gangen, daß man ihre völlige Unfähigkeit nicht durchschaut hätte. Gleichwohl
konnte man über den Ausgang nicht im Reinen sein -- selbst der Armee war man
nicht völlig sicher -- und als die neue" Minister die Ordonnanz der Vertagung
und Verlegung nach Brandenburg unterzeichneten, mußten sie wohl wissen, daß
es sich um ihren Kopf handelte.

Der größte Theil der Versammlung stellte sich nun der Regierung entgegen.
Sie antwortete auf die Vertagung mit der Permanenzerklärung; die Bürgermehr
erklärte sich zu ihrem Schutz bereit, aus dem größten Theil des Landes gingen
ZustimmungSadressen ein. Bevor die Truppen einrückten, schwindelte man vielfach
von einem mörderischen Kampf, aber die Vernunft siegte, man erfand das Sticht
wort des passiven Widerstandes. Die Auflösung der Bürgerwehr entschied den
Eieg der Negierung; die conservative Partei, die bisher nur terrorisirt war, trat
überall mit neuem Muthe an's Licht. Die Steuerverweigerung fand nirgend mehr
Eingang, mit ihr war die Versammlung moralisch vernichtet. Die definitive Auf¬
lösung derselben und die einseitige Verleihung eines neuen StaatsgrundgesetzcS
war die unvermeidliche Folge davon.

Ich verkenne keinen Augenblick die innerlich kritische Lage, in welcher sich der
Staat noch gegenwärtig befindet. Aber eines scheint mir gewiß, so lange die
Regierung sich in den von ihr selbst gesetzten Schranke." bewegt, ist an eine neue Re¬
volution nicht zu denken. Die Feier des 18. März ist charakteristisch. Die Un-
zuftiedenen -- und ich muß gestehen, der größere Theil der Berliner Bevölkerung
gehört dazu - hatten umflorte dreifarbige Cokarden auf den Hüten und eine
Menge Neugieriger trieb sich auf den Straßen umher, zu sehn, ob es etwas gäbe.
Es gab nichts, als einige kleine Reibereien von Constablern. Die Regierung
hatte eine ziemlich starke Trnppenmacht entwickelt und ließ die Straßen von Zeit
zu Zeit durch Patrouillen cerniren; es war vielleicht gut, um auch den Anschein
einer Unruhe zu vermeiden, allein der Friede wäre auch ohne das nicht gestört worden.
Die Berliner sind glücklich über ihr Mißbehagen, das ihnen ein tragisches Relief
gibt und dabei im Stillen zufrieden, daß sie nicht jeden Augenblick die Erhebet"
uung der Nehberger zu gewärtigen haben.

Ueber den gesetzlichen Kampf, der sich in den Kammern entspinnt, ein
andermal.




Drmzboten. I. Isi".AZ

zur offenen Usurpation. Die Deputation an den König, und namentlich die
Wendung, welche der Abgeordnete Jacoby ihr zu geben wußte, ließ der Krone
keine Wahl.

Es handelte sich — warum sollen wir das Wort scheuen? — um eine Con-
trerevolution. Die Krone hatte die bedrohten Stände für sich, die Versammlung
hatte keine Wurzel im Volk, denn soweit war noch nicht aller Sinn verloren ge-
gangen, daß man ihre völlige Unfähigkeit nicht durchschaut hätte. Gleichwohl
konnte man über den Ausgang nicht im Reinen sein — selbst der Armee war man
nicht völlig sicher — und als die neue» Minister die Ordonnanz der Vertagung
und Verlegung nach Brandenburg unterzeichneten, mußten sie wohl wissen, daß
es sich um ihren Kopf handelte.

Der größte Theil der Versammlung stellte sich nun der Regierung entgegen.
Sie antwortete auf die Vertagung mit der Permanenzerklärung; die Bürgermehr
erklärte sich zu ihrem Schutz bereit, aus dem größten Theil des Landes gingen
ZustimmungSadressen ein. Bevor die Truppen einrückten, schwindelte man vielfach
von einem mörderischen Kampf, aber die Vernunft siegte, man erfand das Sticht
wort des passiven Widerstandes. Die Auflösung der Bürgerwehr entschied den
Eieg der Negierung; die conservative Partei, die bisher nur terrorisirt war, trat
überall mit neuem Muthe an's Licht. Die Steuerverweigerung fand nirgend mehr
Eingang, mit ihr war die Versammlung moralisch vernichtet. Die definitive Auf¬
lösung derselben und die einseitige Verleihung eines neuen StaatsgrundgesetzcS
war die unvermeidliche Folge davon.

Ich verkenne keinen Augenblick die innerlich kritische Lage, in welcher sich der
Staat noch gegenwärtig befindet. Aber eines scheint mir gewiß, so lange die
Regierung sich in den von ihr selbst gesetzten Schranke.« bewegt, ist an eine neue Re¬
volution nicht zu denken. Die Feier des 18. März ist charakteristisch. Die Un-
zuftiedenen — und ich muß gestehen, der größere Theil der Berliner Bevölkerung
gehört dazu - hatten umflorte dreifarbige Cokarden auf den Hüten und eine
Menge Neugieriger trieb sich auf den Straßen umher, zu sehn, ob es etwas gäbe.
Es gab nichts, als einige kleine Reibereien von Constablern. Die Regierung
hatte eine ziemlich starke Trnppenmacht entwickelt und ließ die Straßen von Zeit
zu Zeit durch Patrouillen cerniren; es war vielleicht gut, um auch den Anschein
einer Unruhe zu vermeiden, allein der Friede wäre auch ohne das nicht gestört worden.
Die Berliner sind glücklich über ihr Mißbehagen, das ihnen ein tragisches Relief
gibt und dabei im Stillen zufrieden, daß sie nicht jeden Augenblick die Erhebet«
uung der Nehberger zu gewärtigen haben.

Ueber den gesetzlichen Kampf, der sich in den Kammern entspinnt, ein
andermal.




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[0497] zur offenen Usurpation. Die Deputation an den König, und namentlich die Wendung, welche der Abgeordnete Jacoby ihr zu geben wußte, ließ der Krone keine Wahl. Es handelte sich — warum sollen wir das Wort scheuen? — um eine Con- trerevolution. Die Krone hatte die bedrohten Stände für sich, die Versammlung hatte keine Wurzel im Volk, denn soweit war noch nicht aller Sinn verloren ge- gangen, daß man ihre völlige Unfähigkeit nicht durchschaut hätte. Gleichwohl konnte man über den Ausgang nicht im Reinen sein — selbst der Armee war man nicht völlig sicher — und als die neue» Minister die Ordonnanz der Vertagung und Verlegung nach Brandenburg unterzeichneten, mußten sie wohl wissen, daß es sich um ihren Kopf handelte. Der größte Theil der Versammlung stellte sich nun der Regierung entgegen. Sie antwortete auf die Vertagung mit der Permanenzerklärung; die Bürgermehr erklärte sich zu ihrem Schutz bereit, aus dem größten Theil des Landes gingen ZustimmungSadressen ein. Bevor die Truppen einrückten, schwindelte man vielfach von einem mörderischen Kampf, aber die Vernunft siegte, man erfand das Sticht wort des passiven Widerstandes. Die Auflösung der Bürgerwehr entschied den Eieg der Negierung; die conservative Partei, die bisher nur terrorisirt war, trat überall mit neuem Muthe an's Licht. Die Steuerverweigerung fand nirgend mehr Eingang, mit ihr war die Versammlung moralisch vernichtet. Die definitive Auf¬ lösung derselben und die einseitige Verleihung eines neuen StaatsgrundgesetzcS war die unvermeidliche Folge davon. Ich verkenne keinen Augenblick die innerlich kritische Lage, in welcher sich der Staat noch gegenwärtig befindet. Aber eines scheint mir gewiß, so lange die Regierung sich in den von ihr selbst gesetzten Schranke.« bewegt, ist an eine neue Re¬ volution nicht zu denken. Die Feier des 18. März ist charakteristisch. Die Un- zuftiedenen — und ich muß gestehen, der größere Theil der Berliner Bevölkerung gehört dazu - hatten umflorte dreifarbige Cokarden auf den Hüten und eine Menge Neugieriger trieb sich auf den Straßen umher, zu sehn, ob es etwas gäbe. Es gab nichts, als einige kleine Reibereien von Constablern. Die Regierung hatte eine ziemlich starke Trnppenmacht entwickelt und ließ die Straßen von Zeit zu Zeit durch Patrouillen cerniren; es war vielleicht gut, um auch den Anschein einer Unruhe zu vermeiden, allein der Friede wäre auch ohne das nicht gestört worden. Die Berliner sind glücklich über ihr Mißbehagen, das ihnen ein tragisches Relief gibt und dabei im Stillen zufrieden, daß sie nicht jeden Augenblick die Erhebet« uung der Nehberger zu gewärtigen haben. Ueber den gesetzlichen Kampf, der sich in den Kammern entspinnt, ein andermal. Drmzboten. I. Isi».AZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/497>, abgerufen am 27.11.2024.