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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Stallung der Grundsteuer und die ins tausendfältige erhöhten Ansprüche an den
Staat anders bezeichnen soin > !

Alles dieses forderte sie en vertu ä'msurrectiov; sie hielt sich zunächst an
die Souveränität der Constituante der Krone gegenüber, aber mit dem Vorbehalt,
die Schritte dieser Versammlung, die nicht in ihrem Sinn waren, durch das
Volk zu corrigiren, "das souveräne Volk der Barrikaden."

Die konservative Partei ging von der Furcht aus^ daß bei dieser Entwicke¬
lung der Demokratie Alles darunter und darüber gehen müsse. Sie ^ hatte zum
größern Theil keine erheblichen Sympathien weder für den Adel noch für das
Heer oder das Beamtenthum, aber sie sah in ihnen die letzten Stützen der Ord¬
nung. Sie war ihren Gegnern gegenüber im entschiedensten Nachtheil, denn sie
mußte ihnen die Offensive überlassen, und fand in sich selbst zum Widerstand
weder die Energie noch das Talent. Außerdem war ihre Stellung zum Ministe¬
rium eine zweideutige, es war uicht der Ausdruck ihrer Partei, sondern sie stützte
es nur titulo 6e mivux.

In der Mitte standen theils die guten Seelen, die bei jeder einzelnen Frage
mit ihrem Gewissen zu Rathe gingen, und lieber das allgemeine Princip fallen
ließen, theils die politischen Aventuriers, die je nach Umständen die eine oder die
andere Partei zu ihren persönlichen Zwecken auszubeuten hofften. -- Aus diesen
Elementen, wozu man noch eine ziemlich große Menge solcher hinzuzählen muß,
die gnr nichts wollten, sollte der neue preußische Staat hervorgehn.

Der erste Conflict gab sich bei dem Camphausen'schen Verfassungsentwnrfe
kund. Die Theorie der Vereinbarung ist an sich schon prekär genug, wo keine höhere
Instanz vorhanden ist, und wo man wieder ohne Vereinigung auch nicht ausein-
andergehen kann. Hier aber um so bedenklicher, da der Glaube an die Volks¬
souveränität zu einer Art Fanatismus geworden war. Der Entwurf würde kaum
als Vorlage angesehen, er wurde als bloßes Material für die selbstständigen Ar¬
beiten der Versammlung zu den Acten gegeben.

Der zweite Conflict erhob sich aus eiuer scheinbar sehr localen Forderung,
der Feier der Berliner Barrikadenkämpfer. ^ Sie wurde zu einer principiellen er¬
hoben, der Anerkennung der Revolution. Die Regierung konnte sich weder dazu
hergeben, das Faustrecht als solches zur Quelle aller geschlichen Autorität zu
erheben, noch auch dazu, durch das Ereigniß vom 18. März alle bisher beste¬
henden Nechtsbestimmnngen für annullirt zu erachten. Da uur wenig daran
fehlte, daß dieser Antrag Beschluß der Versammlung wurde, hielt er es für seine
Pflicht, zurückzutreten.

Ein weiser Entschluß , soweit er die Personell des Ministeriums anging; aber
politisch kaum zu rechtfertigen. Denn es war dadurch, wenn auch indirect, der
constituirenden Versammlung das Recht eiuer unmittelbaren Betheiligung an der
Legierung zugesprochen, und zugleich verrieth die herrschende liberale Partei ihre


Stallung der Grundsteuer und die ins tausendfältige erhöhten Ansprüche an den
Staat anders bezeichnen soin > !

Alles dieses forderte sie en vertu ä'msurrectiov; sie hielt sich zunächst an
die Souveränität der Constituante der Krone gegenüber, aber mit dem Vorbehalt,
die Schritte dieser Versammlung, die nicht in ihrem Sinn waren, durch das
Volk zu corrigiren, „das souveräne Volk der Barrikaden."

Die konservative Partei ging von der Furcht aus^ daß bei dieser Entwicke¬
lung der Demokratie Alles darunter und darüber gehen müsse. Sie ^ hatte zum
größern Theil keine erheblichen Sympathien weder für den Adel noch für das
Heer oder das Beamtenthum, aber sie sah in ihnen die letzten Stützen der Ord¬
nung. Sie war ihren Gegnern gegenüber im entschiedensten Nachtheil, denn sie
mußte ihnen die Offensive überlassen, und fand in sich selbst zum Widerstand
weder die Energie noch das Talent. Außerdem war ihre Stellung zum Ministe¬
rium eine zweideutige, es war uicht der Ausdruck ihrer Partei, sondern sie stützte
es nur titulo 6e mivux.

In der Mitte standen theils die guten Seelen, die bei jeder einzelnen Frage
mit ihrem Gewissen zu Rathe gingen, und lieber das allgemeine Princip fallen
ließen, theils die politischen Aventuriers, die je nach Umständen die eine oder die
andere Partei zu ihren persönlichen Zwecken auszubeuten hofften. — Aus diesen
Elementen, wozu man noch eine ziemlich große Menge solcher hinzuzählen muß,
die gnr nichts wollten, sollte der neue preußische Staat hervorgehn.

Der erste Conflict gab sich bei dem Camphausen'schen Verfassungsentwnrfe
kund. Die Theorie der Vereinbarung ist an sich schon prekär genug, wo keine höhere
Instanz vorhanden ist, und wo man wieder ohne Vereinigung auch nicht ausein-
andergehen kann. Hier aber um so bedenklicher, da der Glaube an die Volks¬
souveränität zu einer Art Fanatismus geworden war. Der Entwurf würde kaum
als Vorlage angesehen, er wurde als bloßes Material für die selbstständigen Ar¬
beiten der Versammlung zu den Acten gegeben.

Der zweite Conflict erhob sich aus eiuer scheinbar sehr localen Forderung,
der Feier der Berliner Barrikadenkämpfer. ^ Sie wurde zu einer principiellen er¬
hoben, der Anerkennung der Revolution. Die Regierung konnte sich weder dazu
hergeben, das Faustrecht als solches zur Quelle aller geschlichen Autorität zu
erheben, noch auch dazu, durch das Ereigniß vom 18. März alle bisher beste¬
henden Nechtsbestimmnngen für annullirt zu erachten. Da uur wenig daran
fehlte, daß dieser Antrag Beschluß der Versammlung wurde, hielt er es für seine
Pflicht, zurückzutreten.

Ein weiser Entschluß , soweit er die Personell des Ministeriums anging; aber
politisch kaum zu rechtfertigen. Denn es war dadurch, wenn auch indirect, der
constituirenden Versammlung das Recht eiuer unmittelbaren Betheiligung an der
Legierung zugesprochen, und zugleich verrieth die herrschende liberale Partei ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/494>, abgerufen am 27.11.2024.