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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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in seinem Ministerium. Es zeigte sich nun, wie weit diese Partei von der Stim¬
mung des Tages schon überflügelt war.

Nicht, daß die sogenannten Demokraten mit einer geschlossenen Parteiauffas¬
sung ihr gegenübergetreten wären. Die Clubs bildeten sich, wie es der Zufall
wollte, und man war in dem süßen Gefühl, allmächtig zu sein, nur allzu geneigt,
die Formulirung dessen , was man eigentlich wünschte, bis auf Weiteres zu ver,
tagen. Man freute sich, gegen die bisher gefürchteten Gewalten mit all der Grob¬
heit ungenirt sich ergehn zu können, die junge Politiker charakterisirt; man hatte
den guten Willen, die Grundlagen des Staats auf das radicalste umzuwühlen.
Von eigentlich republikanischen Gelüsten war wenig oder gar nicht die Rede; eS
genügte, mit dem Königthum zu spielen, die höchste Gewalt im Staate als das
willenlose Instrument unmittelbarer Volkswünsche hin und herdrehen zu können.
Die Willkür war das angenehme Element, in dem man sich bewegte, darum ^war
man am wenigsten mit dem Plan zufrieden, durch Vermittelung der alten an der
Gesetzgebung betheiligten Körperschaften die Revolution in das Gebiet des Rechts
überzuleiten. Man hob vielmehr, sehr gegen alle constitutionellen Begriffe^ die
Person des Königs in den Vordergrund, und war nicht abgeneigt, ihm die ab¬
solute Machtvollkommenheit zur Octroyirung einer Verfassung zuzugestehn, vor¬
ausgesetzt, daß dieselbe mit den Ansichten des "Volks" übereinstimmte. .Freilich
war die Art, wie dieses "Volk" sich repräsentirte, nicht ganz in der Ordnung;
jeder beliebige Lmdenclub hielt sich für ermächtigt, im Namen des Volks zu Sr.
Majestät zu spreche", "des souveränen Volks, das auf den Barrikaden gesiegt
hatte!" Als aber der Radicalismus sich bestimmte Organe geschaffen hatte, mo-
dificirte sich diese Forderung näher dahin, daß eine aus Urwähler hervorgegangene
Versammlung über die neue Form des Staats zu verfüge" haben sollte.

Das Ministerium war entschlossen, der Form nach den Rechtsboden zu be¬
wahren, im Materiellen dagegen den Ansichten der Demokratie entgegenzukommen.
ES legte dem vereinigten Landtag, dessen Stimme nach dem alten Recht bei jeden,
neuen Gesetzentwurf gehört werden sollte, den Antrag vor, nach welchem eine aus
Urwähler hervorgegangene Versammlung mit der Krone über die neue Verfassmig
vereinbaren sollte. Der Landtag genehmigte diesen Antrag, und so war der Schein
des Gesetzes gewahrt. Den Schein rettete man auch in der Angelegenheit des
Prinzen von Preußen, seine Reise wurde als eine officielle bezeichnet, seine Rück¬
kehr und seine völlige Anerkennung des neuen Zustandes verheißen. Es war aber
nicht mehr die Zeit, wo man durch den Schein imponiren konnte. , ,

Das Ministerium hatte nicht den Muth des alten Absolutismus, aus eigner
Machtvollkommenheit den neuen Rechtsboden zu begründe", und dadurch der Anar¬
chie vorzubeugen. Ich weiß nicht, ob es ihm gelungen wäre, aber Eines bleibt
wunderbar, daß Camphausen nicht überlegte, wie- durch Einberufung einer con-
stituirende" Versammlung weder in Beziehung auf die unmittelbaren Bedürfnisse
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in seinem Ministerium. Es zeigte sich nun, wie weit diese Partei von der Stim¬
mung des Tages schon überflügelt war.

Nicht, daß die sogenannten Demokraten mit einer geschlossenen Parteiauffas¬
sung ihr gegenübergetreten wären. Die Clubs bildeten sich, wie es der Zufall
wollte, und man war in dem süßen Gefühl, allmächtig zu sein, nur allzu geneigt,
die Formulirung dessen , was man eigentlich wünschte, bis auf Weiteres zu ver,
tagen. Man freute sich, gegen die bisher gefürchteten Gewalten mit all der Grob¬
heit ungenirt sich ergehn zu können, die junge Politiker charakterisirt; man hatte
den guten Willen, die Grundlagen des Staats auf das radicalste umzuwühlen.
Von eigentlich republikanischen Gelüsten war wenig oder gar nicht die Rede; eS
genügte, mit dem Königthum zu spielen, die höchste Gewalt im Staate als das
willenlose Instrument unmittelbarer Volkswünsche hin und herdrehen zu können.
Die Willkür war das angenehme Element, in dem man sich bewegte, darum ^war
man am wenigsten mit dem Plan zufrieden, durch Vermittelung der alten an der
Gesetzgebung betheiligten Körperschaften die Revolution in das Gebiet des Rechts
überzuleiten. Man hob vielmehr, sehr gegen alle constitutionellen Begriffe^ die
Person des Königs in den Vordergrund, und war nicht abgeneigt, ihm die ab¬
solute Machtvollkommenheit zur Octroyirung einer Verfassung zuzugestehn, vor¬
ausgesetzt, daß dieselbe mit den Ansichten des „Volks" übereinstimmte. .Freilich
war die Art, wie dieses „Volk" sich repräsentirte, nicht ganz in der Ordnung;
jeder beliebige Lmdenclub hielt sich für ermächtigt, im Namen des Volks zu Sr.
Majestät zu spreche», „des souveränen Volks, das auf den Barrikaden gesiegt
hatte!" Als aber der Radicalismus sich bestimmte Organe geschaffen hatte, mo-
dificirte sich diese Forderung näher dahin, daß eine aus Urwähler hervorgegangene
Versammlung über die neue Form des Staats zu verfüge» haben sollte.

Das Ministerium war entschlossen, der Form nach den Rechtsboden zu be¬
wahren, im Materiellen dagegen den Ansichten der Demokratie entgegenzukommen.
ES legte dem vereinigten Landtag, dessen Stimme nach dem alten Recht bei jeden,
neuen Gesetzentwurf gehört werden sollte, den Antrag vor, nach welchem eine aus
Urwähler hervorgegangene Versammlung mit der Krone über die neue Verfassmig
vereinbaren sollte. Der Landtag genehmigte diesen Antrag, und so war der Schein
des Gesetzes gewahrt. Den Schein rettete man auch in der Angelegenheit des
Prinzen von Preußen, seine Reise wurde als eine officielle bezeichnet, seine Rück¬
kehr und seine völlige Anerkennung des neuen Zustandes verheißen. Es war aber
nicht mehr die Zeit, wo man durch den Schein imponiren konnte. , ,

Das Ministerium hatte nicht den Muth des alten Absolutismus, aus eigner
Machtvollkommenheit den neuen Rechtsboden zu begründe», und dadurch der Anar¬
chie vorzubeugen. Ich weiß nicht, ob es ihm gelungen wäre, aber Eines bleibt
wunderbar, daß Camphausen nicht überlegte, wie- durch Einberufung einer con-
stituirende» Versammlung weder in Beziehung auf die unmittelbaren Bedürfnisse
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[0491] in seinem Ministerium. Es zeigte sich nun, wie weit diese Partei von der Stim¬ mung des Tages schon überflügelt war. Nicht, daß die sogenannten Demokraten mit einer geschlossenen Parteiauffas¬ sung ihr gegenübergetreten wären. Die Clubs bildeten sich, wie es der Zufall wollte, und man war in dem süßen Gefühl, allmächtig zu sein, nur allzu geneigt, die Formulirung dessen , was man eigentlich wünschte, bis auf Weiteres zu ver, tagen. Man freute sich, gegen die bisher gefürchteten Gewalten mit all der Grob¬ heit ungenirt sich ergehn zu können, die junge Politiker charakterisirt; man hatte den guten Willen, die Grundlagen des Staats auf das radicalste umzuwühlen. Von eigentlich republikanischen Gelüsten war wenig oder gar nicht die Rede; eS genügte, mit dem Königthum zu spielen, die höchste Gewalt im Staate als das willenlose Instrument unmittelbarer Volkswünsche hin und herdrehen zu können. Die Willkür war das angenehme Element, in dem man sich bewegte, darum ^war man am wenigsten mit dem Plan zufrieden, durch Vermittelung der alten an der Gesetzgebung betheiligten Körperschaften die Revolution in das Gebiet des Rechts überzuleiten. Man hob vielmehr, sehr gegen alle constitutionellen Begriffe^ die Person des Königs in den Vordergrund, und war nicht abgeneigt, ihm die ab¬ solute Machtvollkommenheit zur Octroyirung einer Verfassung zuzugestehn, vor¬ ausgesetzt, daß dieselbe mit den Ansichten des „Volks" übereinstimmte. .Freilich war die Art, wie dieses „Volk" sich repräsentirte, nicht ganz in der Ordnung; jeder beliebige Lmdenclub hielt sich für ermächtigt, im Namen des Volks zu Sr. Majestät zu spreche», „des souveränen Volks, das auf den Barrikaden gesiegt hatte!" Als aber der Radicalismus sich bestimmte Organe geschaffen hatte, mo- dificirte sich diese Forderung näher dahin, daß eine aus Urwähler hervorgegangene Versammlung über die neue Form des Staats zu verfüge» haben sollte. Das Ministerium war entschlossen, der Form nach den Rechtsboden zu be¬ wahren, im Materiellen dagegen den Ansichten der Demokratie entgegenzukommen. ES legte dem vereinigten Landtag, dessen Stimme nach dem alten Recht bei jeden, neuen Gesetzentwurf gehört werden sollte, den Antrag vor, nach welchem eine aus Urwähler hervorgegangene Versammlung mit der Krone über die neue Verfassmig vereinbaren sollte. Der Landtag genehmigte diesen Antrag, und so war der Schein des Gesetzes gewahrt. Den Schein rettete man auch in der Angelegenheit des Prinzen von Preußen, seine Reise wurde als eine officielle bezeichnet, seine Rück¬ kehr und seine völlige Anerkennung des neuen Zustandes verheißen. Es war aber nicht mehr die Zeit, wo man durch den Schein imponiren konnte. , , Das Ministerium hatte nicht den Muth des alten Absolutismus, aus eigner Machtvollkommenheit den neuen Rechtsboden zu begründe», und dadurch der Anar¬ chie vorzubeugen. Ich weiß nicht, ob es ihm gelungen wäre, aber Eines bleibt wunderbar, daß Camphausen nicht überlegte, wie- durch Einberufung einer con- stituirende» Versammlung weder in Beziehung auf die unmittelbaren Bedürfnisse "''''

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/491>, abgerufen am 27.11.2024.