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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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er seinem Volk eröffnete, was er alles für die Einheit Deutschlands habe thun
wollen, zu spät. Das alles reicht aber noch nicht ans, den Berliner Straßen¬
kampf zu erklären. Dennoch liegt der Zusammenhang der Ereignisse, wenn man
nicht Geheimnißkrämerei mit der Geschichte treiben will, ziemlich offen da.

Ich lege keinen großen Werth darauf, daß die Concessionen, welche man am
Mittag des 18. März proclamirte, noch Manches zu wünschen übrig ließen. Jeden¬
falls hatte man keine Muße, das Verhältniß dessen, was man erreicht hatte, zu
dem, was man sich zu fordern berechtigt glaubte, näher zu prüfen. Allein man
war eine Woche hindurch dnrch- dk Gewaltthaten- Kes Militärs bei dem Wider¬
stand gegen die Volksbewegung erbittert, und das Verlangen, die verhaßten Gar¬
den aus der Stadt zu schaffen, war bei weitem lebhafter, als das nach einer
freien Verfassung, die man sich genauer auszumalen gar nicht die Zeit nahm.
Man hätte sich an den Gedanken einer gewaltsamen Eroberung des Rechtszustandes
gewöhnt, man hatte sich auch wohl darüber verständigt, wie eine solche Erhebung
auszuführen sei. Ich glaube an keine angelegte Verschwörung -- wenigstens fand sich
keine Partei vor, die uach Entfernung des Militärs irgend einen bestimmten Plan hätte
durchführen wollen, wie das in Paris der Fall war -- aber es lag doch zu sehr
auf der Hand, daß man sich mit der Idee einer Revolution vertraut machte, da
man ans eine friedliche Verständigung nicht rechnen zu dürfen meinte. Das Nach¬
geben der Krone überraschte, und man hatte sich die Idee des bewaffneten Wider¬
standes zu sehr zurechtgelegt, um nicht bei dem ersten Argwohn darauf zurück zu
kommen. Außerdem, so hart das klingt, thut in solchen Dingen der Nachahmungs-
tcieb viel; man war doch eisersüchtig auf die Wiener Frcjheitshelden, über die
man sich früher gar zu sehr erhoben hatte. Sollte der Wiener den Berliner an
Thatkraft überragen? Das war empfindlich,' und wenn ich anch nicht behaupten
will, man habe sich frivoler Weise in den Kampf eingelassen, nur um doch ge¬
kämpft zu haben, so klingen bei den mysteriösen Schüssen, dem "Wir sind ver¬
rathen" und ähnlichen Zügen zu viel Reminiscenzen durch, um eine völlige Nai¬
vität der Bewegung wahrscheinlich zu machen.

Es hilft nichts, auf die Eventualitäten des Kampfes nachträglich zurück zu.
kommen. Der Ausgang war entscheidend. Durch den Abzug der Truppen und
die Bewaffnung der Bürger war die Hauptstadt auf Discretion der. Volkspartei-
überliefert, durch die Abreise des Prinzen von Preußen und die damit verbundenen
Umstände die Vergangenheit des Staats desavouirt, durch das Verfahren des
Königs her dem bekannten Ritt, dem großen Leichenzug u. f. w. die Revolution
vor den Augen ganz Europas anerkannt. In der Art und Weise, wie der größte
Theil der Provinzen diese unerhörten Nachrichten aufnahm, zeigte es sich, wie-
sehr die Centralisation in Preußen schon um sich gegriffen hatte. ^ .

Unter diesen Umständen wurde die verantwortliche Regierung der alten stän¬
dischen-Opposition übertragen. Camphausen sammelte die Notabilitäten derselben


er seinem Volk eröffnete, was er alles für die Einheit Deutschlands habe thun
wollen, zu spät. Das alles reicht aber noch nicht ans, den Berliner Straßen¬
kampf zu erklären. Dennoch liegt der Zusammenhang der Ereignisse, wenn man
nicht Geheimnißkrämerei mit der Geschichte treiben will, ziemlich offen da.

Ich lege keinen großen Werth darauf, daß die Concessionen, welche man am
Mittag des 18. März proclamirte, noch Manches zu wünschen übrig ließen. Jeden¬
falls hatte man keine Muße, das Verhältniß dessen, was man erreicht hatte, zu
dem, was man sich zu fordern berechtigt glaubte, näher zu prüfen. Allein man
war eine Woche hindurch dnrch- dk Gewaltthaten- Kes Militärs bei dem Wider¬
stand gegen die Volksbewegung erbittert, und das Verlangen, die verhaßten Gar¬
den aus der Stadt zu schaffen, war bei weitem lebhafter, als das nach einer
freien Verfassung, die man sich genauer auszumalen gar nicht die Zeit nahm.
Man hätte sich an den Gedanken einer gewaltsamen Eroberung des Rechtszustandes
gewöhnt, man hatte sich auch wohl darüber verständigt, wie eine solche Erhebung
auszuführen sei. Ich glaube an keine angelegte Verschwörung — wenigstens fand sich
keine Partei vor, die uach Entfernung des Militärs irgend einen bestimmten Plan hätte
durchführen wollen, wie das in Paris der Fall war — aber es lag doch zu sehr
auf der Hand, daß man sich mit der Idee einer Revolution vertraut machte, da
man ans eine friedliche Verständigung nicht rechnen zu dürfen meinte. Das Nach¬
geben der Krone überraschte, und man hatte sich die Idee des bewaffneten Wider¬
standes zu sehr zurechtgelegt, um nicht bei dem ersten Argwohn darauf zurück zu
kommen. Außerdem, so hart das klingt, thut in solchen Dingen der Nachahmungs-
tcieb viel; man war doch eisersüchtig auf die Wiener Frcjheitshelden, über die
man sich früher gar zu sehr erhoben hatte. Sollte der Wiener den Berliner an
Thatkraft überragen? Das war empfindlich,' und wenn ich anch nicht behaupten
will, man habe sich frivoler Weise in den Kampf eingelassen, nur um doch ge¬
kämpft zu haben, so klingen bei den mysteriösen Schüssen, dem „Wir sind ver¬
rathen" und ähnlichen Zügen zu viel Reminiscenzen durch, um eine völlige Nai¬
vität der Bewegung wahrscheinlich zu machen.

Es hilft nichts, auf die Eventualitäten des Kampfes nachträglich zurück zu.
kommen. Der Ausgang war entscheidend. Durch den Abzug der Truppen und
die Bewaffnung der Bürger war die Hauptstadt auf Discretion der. Volkspartei-
überliefert, durch die Abreise des Prinzen von Preußen und die damit verbundenen
Umstände die Vergangenheit des Staats desavouirt, durch das Verfahren des
Königs her dem bekannten Ritt, dem großen Leichenzug u. f. w. die Revolution
vor den Augen ganz Europas anerkannt. In der Art und Weise, wie der größte
Theil der Provinzen diese unerhörten Nachrichten aufnahm, zeigte es sich, wie-
sehr die Centralisation in Preußen schon um sich gegriffen hatte. ^ .

Unter diesen Umständen wurde die verantwortliche Regierung der alten stän¬
dischen-Opposition übertragen. Camphausen sammelte die Notabilitäten derselben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/490>, abgerufen am 27.11.2024.