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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Von der Ferdinandsbrücke über Oestreichs Organisatim?



Der Briefbote läuft im Geschäftschritt hinüber nach der Leopoldstadt. --
Ob er Nachrichten bringt von Kremsier, Olmütz, von Ungarn und dem Pariser
Hof in Frankfurt? Er ist mir ärgerlich geworden, der Mann und seine Nach¬
richten. Aus der Fremde müssen wir hören, wie man unsre Zukunft gestaltet,
durch das bleiche Papier erfahren wir, wie man den neuen Kaiserstaat regiert,
wie der junge Herrscher Regen und Sonnenschein vertheilt und wie man sich hin
und wieder noch erinnert, daß irgendwo ein Wien existirt. Es ist nichts als
Mangel an Gewöhnung, aber es ist beim Teufel Etwas in dieser Situation, was
einem Wiener das Wasser in die Augen treiben könnte. Wir haben ein schweres
Fieber gehabt, haben starke Arznei erhalten und sind sehr heruntergekommen, wir
sind schwach und reizbar geworden, mürrisch und mißtrauisch, wir haben viel an
Selbstgefühl verloren und mancher alte schon geheilte Schaden ist wieder aufge¬
brochen und ärgert unser Auge und unser Herz. Und so viele Hunde sind jetzt
in Wien!

Kommt auf meine Brücke aus eurer Stubenluft. Noch ist in der Eisfluth
des Stromes ein starkes Leben, die alte Naturkraft tobt unaufhörlich gegen die
Pfeiler, aber der Bau steht fest, das Werk vernünftigen Menschengeistes, bedäch¬
tiger Organisation. --

Wozu der stille Hader über Centralisation und Föderalismus, ihr Herren in
Kremsier? Es ist ein unnützer Streit um Parteiphrasen, die Wenigsten wissen
sich etwas Bestimmtes dabei zu denken. Ich wenigstens nichts Genügendes. Laßt
uns die Sache schlicht weg betrachten. Wir wollen einen freien und starken Staat,
das bedeutet freie Entwicklung des vielfarbigen Volkslebens "ach den Grundsätzen
der Vernunft und des Rechts, und darüber eine große ausführende Kraft, welche
das vernünftige Wollen der gesammten Nation nach allen Richtungen schnell und
energisch durchzusetzen vermag, gegen das Ausland sowohl, als gegen die mög¬
lichen Beschränktheiten und Wunderlichkeiten der einzelnen Theile; wir wollen also
Selbstregierung der Landestheile in allen innern Angelegenheiten und eine starke
Executivgewalt, welche sich auf die Majorität des Vvlkerwillens stützt. -- Aber
das ist bekannt, darin sind die Meisten einig, es kommt eben nur darauf an,


"renjbott". I. K
Von der Ferdinandsbrücke über Oestreichs Organisatim?



Der Briefbote läuft im Geschäftschritt hinüber nach der Leopoldstadt. —
Ob er Nachrichten bringt von Kremsier, Olmütz, von Ungarn und dem Pariser
Hof in Frankfurt? Er ist mir ärgerlich geworden, der Mann und seine Nach¬
richten. Aus der Fremde müssen wir hören, wie man unsre Zukunft gestaltet,
durch das bleiche Papier erfahren wir, wie man den neuen Kaiserstaat regiert,
wie der junge Herrscher Regen und Sonnenschein vertheilt und wie man sich hin
und wieder noch erinnert, daß irgendwo ein Wien existirt. Es ist nichts als
Mangel an Gewöhnung, aber es ist beim Teufel Etwas in dieser Situation, was
einem Wiener das Wasser in die Augen treiben könnte. Wir haben ein schweres
Fieber gehabt, haben starke Arznei erhalten und sind sehr heruntergekommen, wir
sind schwach und reizbar geworden, mürrisch und mißtrauisch, wir haben viel an
Selbstgefühl verloren und mancher alte schon geheilte Schaden ist wieder aufge¬
brochen und ärgert unser Auge und unser Herz. Und so viele Hunde sind jetzt
in Wien!

Kommt auf meine Brücke aus eurer Stubenluft. Noch ist in der Eisfluth
des Stromes ein starkes Leben, die alte Naturkraft tobt unaufhörlich gegen die
Pfeiler, aber der Bau steht fest, das Werk vernünftigen Menschengeistes, bedäch¬
tiger Organisation. —

Wozu der stille Hader über Centralisation und Föderalismus, ihr Herren in
Kremsier? Es ist ein unnützer Streit um Parteiphrasen, die Wenigsten wissen
sich etwas Bestimmtes dabei zu denken. Ich wenigstens nichts Genügendes. Laßt
uns die Sache schlicht weg betrachten. Wir wollen einen freien und starken Staat,
das bedeutet freie Entwicklung des vielfarbigen Volkslebens »ach den Grundsätzen
der Vernunft und des Rechts, und darüber eine große ausführende Kraft, welche
das vernünftige Wollen der gesammten Nation nach allen Richtungen schnell und
energisch durchzusetzen vermag, gegen das Ausland sowohl, als gegen die mög¬
lichen Beschränktheiten und Wunderlichkeiten der einzelnen Theile; wir wollen also
Selbstregierung der Landestheile in allen innern Angelegenheiten und eine starke
Executivgewalt, welche sich auf die Majorität des Vvlkerwillens stützt. — Aber
das ist bekannt, darin sind die Meisten einig, es kommt eben nur darauf an,


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[0049] Von der Ferdinandsbrücke über Oestreichs Organisatim? Der Briefbote läuft im Geschäftschritt hinüber nach der Leopoldstadt. — Ob er Nachrichten bringt von Kremsier, Olmütz, von Ungarn und dem Pariser Hof in Frankfurt? Er ist mir ärgerlich geworden, der Mann und seine Nach¬ richten. Aus der Fremde müssen wir hören, wie man unsre Zukunft gestaltet, durch das bleiche Papier erfahren wir, wie man den neuen Kaiserstaat regiert, wie der junge Herrscher Regen und Sonnenschein vertheilt und wie man sich hin und wieder noch erinnert, daß irgendwo ein Wien existirt. Es ist nichts als Mangel an Gewöhnung, aber es ist beim Teufel Etwas in dieser Situation, was einem Wiener das Wasser in die Augen treiben könnte. Wir haben ein schweres Fieber gehabt, haben starke Arznei erhalten und sind sehr heruntergekommen, wir sind schwach und reizbar geworden, mürrisch und mißtrauisch, wir haben viel an Selbstgefühl verloren und mancher alte schon geheilte Schaden ist wieder aufge¬ brochen und ärgert unser Auge und unser Herz. Und so viele Hunde sind jetzt in Wien! Kommt auf meine Brücke aus eurer Stubenluft. Noch ist in der Eisfluth des Stromes ein starkes Leben, die alte Naturkraft tobt unaufhörlich gegen die Pfeiler, aber der Bau steht fest, das Werk vernünftigen Menschengeistes, bedäch¬ tiger Organisation. — Wozu der stille Hader über Centralisation und Föderalismus, ihr Herren in Kremsier? Es ist ein unnützer Streit um Parteiphrasen, die Wenigsten wissen sich etwas Bestimmtes dabei zu denken. Ich wenigstens nichts Genügendes. Laßt uns die Sache schlicht weg betrachten. Wir wollen einen freien und starken Staat, das bedeutet freie Entwicklung des vielfarbigen Volkslebens »ach den Grundsätzen der Vernunft und des Rechts, und darüber eine große ausführende Kraft, welche das vernünftige Wollen der gesammten Nation nach allen Richtungen schnell und energisch durchzusetzen vermag, gegen das Ausland sowohl, als gegen die mög¬ lichen Beschränktheiten und Wunderlichkeiten der einzelnen Theile; wir wollen also Selbstregierung der Landestheile in allen innern Angelegenheiten und eine starke Executivgewalt, welche sich auf die Majorität des Vvlkerwillens stützt. — Aber das ist bekannt, darin sind die Meisten einig, es kommt eben nur darauf an, «renjbott». I. K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/49>, abgerufen am 03.07.2024.