Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und brachten überall Verwirrung, halb Deutschland glaubte in den Tagen an eine
Reaction und an die direkte Unterdrückung deutscher Freiheit in Oestreich. Es
entwickelte sich in Wien der Heerd des Hasses gegen den Krvateufnhrcr, gegen
die Theile des Ministeriums, welche diesem Gange des Hofes willfahrten; doch
muß man klar sein, je weiter man von Wien fortging, desto mehr verloren sich
die Sympathien für Ungarn und traten dem Baums näher; das Landvolk blieb
diesen Bewegungen fremd. Wien stand schon vereinzelt, als es im September zu
den heftigen Streitigkeiten der schwarzgelben und rothschwarzgoldcueu Partei kam,
die aber unblutig abliefen.

Unterdessen drangen die Schaaren des Barus unaufhaltsam in Ungarn vor¬
wärts, es war keine große Armee, wenig Artillerie, dabei uoch 15 -- 20,000 Mann
zusammengetrommelte Horden, die nur hinderlich waren. Ueberall in kleineren
und größeren Gefechten zeigte sich das Unvermögen der modernen Ungarn, ihre
geschichtliche Tapferkeit schien in diesem Jahrhundert untergegangen zu sein, überall
war Schrecken uuter ihren Schaaren, nur von Polnischen und Wiener Freischaaren
erzählt man sich tapfere Thaten. Die ungarischen Blätter, welche ihre Nachrichten
in die deutschen Blatter hiuüberschwemmten, standen voll Erdichtungen über glän¬
zende Siege, Gefangenuebmungen ganzer Corps, Aufreibuugcn von feindlichen
Heeresabtheilungen, endlich Zerstörung der Hauptmacht unter Jellachich; doch Nichts
konnte neue Thatkraft in Ungarns Bewohner schaffen, Alles sank zusammen. --

Jedes Mittel war verschwendet, Kossuth in Verzweiflung, die kaiserlichen
Heere rückten gegen Bndapesth, keine Macht konnte sie aufhalten, da rief der
ungarische Tribun jene bekannten Worte: Eine Million für eine Revolution in
Wien! Die wohlangelegte Miene flog zur rechten Zeit auf und rettete für diesen
Angenblick Pesth und die Partei.

Jellachich ruckte als östreichischer General mit seinen Truppen vor Wien und
sendete die irregulären Regimenter uach Kroatien zurück, Blitze durchzuckten Oest¬
reich. Was wird geschehen? Das Landvolk wird aufstehen? Sturmläuten überall,
der Fluch über diese Barbaren. - Nichts von alledem, der Landsturm blieb ruhig,
Wien war kein Paris.

Vou allen Seiten drangen die Soldatenmassen nach Wien, der Name des
Baums wurde nicht mehr genannt, als der eiserne Mann Windischgrätz das Ober¬
kommando übernahm. Die erste" Bedingungen des Bauus: Auslieferung der
Mörder des Kriegsministers, Entwaffnung des Proletariats und Reorganisation
der Legion, verwarf die Stadt höhnend; anders lauteten die spätern von Win-
disckgrätz! Beide Männer hatten eine kaiserliche Vollmacht über alle ihre Hand¬
lungen, worin ohne vorhergehende Meldung, Alles gut geheißen wurde, als im
Namen des Kaisers ausgeführt. Diese kaiserlichen Vollmachten waren eine Will¬
kür, sie übergaben eine ungeheure Macht der Laune eines Soldaten, welcher ebenso
parteiisch zur Zeit steht, wie jede andere aufgeregte Partei.


und brachten überall Verwirrung, halb Deutschland glaubte in den Tagen an eine
Reaction und an die direkte Unterdrückung deutscher Freiheit in Oestreich. Es
entwickelte sich in Wien der Heerd des Hasses gegen den Krvateufnhrcr, gegen
die Theile des Ministeriums, welche diesem Gange des Hofes willfahrten; doch
muß man klar sein, je weiter man von Wien fortging, desto mehr verloren sich
die Sympathien für Ungarn und traten dem Baums näher; das Landvolk blieb
diesen Bewegungen fremd. Wien stand schon vereinzelt, als es im September zu
den heftigen Streitigkeiten der schwarzgelben und rothschwarzgoldcueu Partei kam,
die aber unblutig abliefen.

Unterdessen drangen die Schaaren des Barus unaufhaltsam in Ungarn vor¬
wärts, es war keine große Armee, wenig Artillerie, dabei uoch 15 — 20,000 Mann
zusammengetrommelte Horden, die nur hinderlich waren. Ueberall in kleineren
und größeren Gefechten zeigte sich das Unvermögen der modernen Ungarn, ihre
geschichtliche Tapferkeit schien in diesem Jahrhundert untergegangen zu sein, überall
war Schrecken uuter ihren Schaaren, nur von Polnischen und Wiener Freischaaren
erzählt man sich tapfere Thaten. Die ungarischen Blätter, welche ihre Nachrichten
in die deutschen Blatter hiuüberschwemmten, standen voll Erdichtungen über glän¬
zende Siege, Gefangenuebmungen ganzer Corps, Aufreibuugcn von feindlichen
Heeresabtheilungen, endlich Zerstörung der Hauptmacht unter Jellachich; doch Nichts
konnte neue Thatkraft in Ungarns Bewohner schaffen, Alles sank zusammen. —

Jedes Mittel war verschwendet, Kossuth in Verzweiflung, die kaiserlichen
Heere rückten gegen Bndapesth, keine Macht konnte sie aufhalten, da rief der
ungarische Tribun jene bekannten Worte: Eine Million für eine Revolution in
Wien! Die wohlangelegte Miene flog zur rechten Zeit auf und rettete für diesen
Angenblick Pesth und die Partei.

Jellachich ruckte als östreichischer General mit seinen Truppen vor Wien und
sendete die irregulären Regimenter uach Kroatien zurück, Blitze durchzuckten Oest¬
reich. Was wird geschehen? Das Landvolk wird aufstehen? Sturmläuten überall,
der Fluch über diese Barbaren. - Nichts von alledem, der Landsturm blieb ruhig,
Wien war kein Paris.

Vou allen Seiten drangen die Soldatenmassen nach Wien, der Name des
Baums wurde nicht mehr genannt, als der eiserne Mann Windischgrätz das Ober¬
kommando übernahm. Die erste« Bedingungen des Bauus: Auslieferung der
Mörder des Kriegsministers, Entwaffnung des Proletariats und Reorganisation
der Legion, verwarf die Stadt höhnend; anders lauteten die spätern von Win-
disckgrätz! Beide Männer hatten eine kaiserliche Vollmacht über alle ihre Hand¬
lungen, worin ohne vorhergehende Meldung, Alles gut geheißen wurde, als im
Namen des Kaisers ausgeführt. Diese kaiserlichen Vollmachten waren eine Will¬
kür, sie übergaben eine ungeheure Macht der Laune eines Soldaten, welcher ebenso
parteiisch zur Zeit steht, wie jede andere aufgeregte Partei.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278474"/>
          <p xml:id="ID_2712" prev="#ID_2711"> und brachten überall Verwirrung, halb Deutschland glaubte in den Tagen an eine<lb/>
Reaction und an die direkte Unterdrückung deutscher Freiheit in Oestreich. Es<lb/>
entwickelte sich in Wien der Heerd des Hasses gegen den Krvateufnhrcr, gegen<lb/>
die Theile des Ministeriums, welche diesem Gange des Hofes willfahrten; doch<lb/>
muß man klar sein, je weiter man von Wien fortging, desto mehr verloren sich<lb/>
die Sympathien für Ungarn und traten dem Baums näher; das Landvolk blieb<lb/>
diesen Bewegungen fremd. Wien stand schon vereinzelt, als es im September zu<lb/>
den heftigen Streitigkeiten der schwarzgelben und rothschwarzgoldcueu Partei kam,<lb/>
die aber unblutig abliefen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2713"> Unterdessen drangen die Schaaren des Barus unaufhaltsam in Ungarn vor¬<lb/>
wärts, es war keine große Armee, wenig Artillerie, dabei uoch 15 &#x2014; 20,000 Mann<lb/>
zusammengetrommelte Horden, die nur hinderlich waren. Ueberall in kleineren<lb/>
und größeren Gefechten zeigte sich das Unvermögen der modernen Ungarn, ihre<lb/>
geschichtliche Tapferkeit schien in diesem Jahrhundert untergegangen zu sein, überall<lb/>
war Schrecken uuter ihren Schaaren, nur von Polnischen und Wiener Freischaaren<lb/>
erzählt man sich tapfere Thaten. Die ungarischen Blätter, welche ihre Nachrichten<lb/>
in die deutschen Blatter hiuüberschwemmten, standen voll Erdichtungen über glän¬<lb/>
zende Siege, Gefangenuebmungen ganzer Corps, Aufreibuugcn von feindlichen<lb/>
Heeresabtheilungen, endlich Zerstörung der Hauptmacht unter Jellachich; doch Nichts<lb/>
konnte neue Thatkraft in Ungarns Bewohner schaffen, Alles sank zusammen. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2714"> Jedes Mittel war verschwendet, Kossuth in Verzweiflung, die kaiserlichen<lb/>
Heere rückten gegen Bndapesth, keine Macht konnte sie aufhalten, da rief der<lb/>
ungarische Tribun jene bekannten Worte: Eine Million für eine Revolution in<lb/>
Wien! Die wohlangelegte Miene flog zur rechten Zeit auf und rettete für diesen<lb/>
Angenblick Pesth und die Partei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2715"> Jellachich ruckte als östreichischer General mit seinen Truppen vor Wien und<lb/>
sendete die irregulären Regimenter uach Kroatien zurück, Blitze durchzuckten Oest¬<lb/>
reich. Was wird geschehen? Das Landvolk wird aufstehen? Sturmläuten überall,<lb/>
der Fluch über diese Barbaren. - Nichts von alledem, der Landsturm blieb ruhig,<lb/>
Wien war kein Paris.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2716"> Vou allen Seiten drangen die Soldatenmassen nach Wien, der Name des<lb/>
Baums wurde nicht mehr genannt, als der eiserne Mann Windischgrätz das Ober¬<lb/>
kommando übernahm. Die erste« Bedingungen des Bauus: Auslieferung der<lb/>
Mörder des Kriegsministers, Entwaffnung des Proletariats und Reorganisation<lb/>
der Legion, verwarf die Stadt höhnend; anders lauteten die spätern von Win-<lb/>
disckgrätz! Beide Männer hatten eine kaiserliche Vollmacht über alle ihre Hand¬<lb/>
lungen, worin ohne vorhergehende Meldung, Alles gut geheißen wurde, als im<lb/>
Namen des Kaisers ausgeführt. Diese kaiserlichen Vollmachten waren eine Will¬<lb/>
kür, sie übergaben eine ungeheure Macht der Laune eines Soldaten, welcher ebenso<lb/>
parteiisch zur Zeit steht, wie jede andere aufgeregte Partei.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0486] und brachten überall Verwirrung, halb Deutschland glaubte in den Tagen an eine Reaction und an die direkte Unterdrückung deutscher Freiheit in Oestreich. Es entwickelte sich in Wien der Heerd des Hasses gegen den Krvateufnhrcr, gegen die Theile des Ministeriums, welche diesem Gange des Hofes willfahrten; doch muß man klar sein, je weiter man von Wien fortging, desto mehr verloren sich die Sympathien für Ungarn und traten dem Baums näher; das Landvolk blieb diesen Bewegungen fremd. Wien stand schon vereinzelt, als es im September zu den heftigen Streitigkeiten der schwarzgelben und rothschwarzgoldcueu Partei kam, die aber unblutig abliefen. Unterdessen drangen die Schaaren des Barus unaufhaltsam in Ungarn vor¬ wärts, es war keine große Armee, wenig Artillerie, dabei uoch 15 — 20,000 Mann zusammengetrommelte Horden, die nur hinderlich waren. Ueberall in kleineren und größeren Gefechten zeigte sich das Unvermögen der modernen Ungarn, ihre geschichtliche Tapferkeit schien in diesem Jahrhundert untergegangen zu sein, überall war Schrecken uuter ihren Schaaren, nur von Polnischen und Wiener Freischaaren erzählt man sich tapfere Thaten. Die ungarischen Blätter, welche ihre Nachrichten in die deutschen Blatter hiuüberschwemmten, standen voll Erdichtungen über glän¬ zende Siege, Gefangenuebmungen ganzer Corps, Aufreibuugcn von feindlichen Heeresabtheilungen, endlich Zerstörung der Hauptmacht unter Jellachich; doch Nichts konnte neue Thatkraft in Ungarns Bewohner schaffen, Alles sank zusammen. — Jedes Mittel war verschwendet, Kossuth in Verzweiflung, die kaiserlichen Heere rückten gegen Bndapesth, keine Macht konnte sie aufhalten, da rief der ungarische Tribun jene bekannten Worte: Eine Million für eine Revolution in Wien! Die wohlangelegte Miene flog zur rechten Zeit auf und rettete für diesen Angenblick Pesth und die Partei. Jellachich ruckte als östreichischer General mit seinen Truppen vor Wien und sendete die irregulären Regimenter uach Kroatien zurück, Blitze durchzuckten Oest¬ reich. Was wird geschehen? Das Landvolk wird aufstehen? Sturmläuten überall, der Fluch über diese Barbaren. - Nichts von alledem, der Landsturm blieb ruhig, Wien war kein Paris. Vou allen Seiten drangen die Soldatenmassen nach Wien, der Name des Baums wurde nicht mehr genannt, als der eiserne Mann Windischgrätz das Ober¬ kommando übernahm. Die erste« Bedingungen des Bauus: Auslieferung der Mörder des Kriegsministers, Entwaffnung des Proletariats und Reorganisation der Legion, verwarf die Stadt höhnend; anders lauteten die spätern von Win- disckgrätz! Beide Männer hatten eine kaiserliche Vollmacht über alle ihre Hand¬ lungen, worin ohne vorhergehende Meldung, Alles gut geheißen wurde, als im Namen des Kaisers ausgeführt. Diese kaiserlichen Vollmachten waren eine Will¬ kür, sie übergaben eine ungeheure Macht der Laune eines Soldaten, welcher ebenso parteiisch zur Zeit steht, wie jede andere aufgeregte Partei.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/486
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/486>, abgerufen am 26.11.2024.