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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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ausgesetzt seien, und schloß mit dem Antrag, die stenographischen Berichte in ver¬
mehrten Abdrücken abziehen zu lasse". Philipps ist ein großer, starker Mann und
sein Gesicht sieht aus wie die eben gehaltene Rede, in Fleisch und Blut übersetzt;
es ist Tugend in seinen Blicken. Sie wissen, wie aufmerksam ich immer die ste¬
nographischen Berichte gelesen habe; es beschlich mich nun eine geheime Schaden¬
freude, als ich erfuhr, daß nun eine so bedeutende Anzahl meiner Mitbürger zu
demselben Geschäft verpflichtet sein sollten, und zwar im Interesse der Wahrheit
und Freiheit, für welche zu leiden der Beruf jedes echten Patrioten ist. Jeder
Deputirte sollte nämlich 50 Exemplare zur Vertheilung erhalten. Vor der Tu¬
gend, die sich ans allen Seiten des Hauses ausspricht, wird man zuweilen un¬
wohl, denn auch eine gute Speise kann den Körper überfüllen; aber ich sage,
wäre nur ein klein wenig mehr gesunder Menschenverstand in ihr, diese Versamm¬
lung wäre das Himmelreich.

Ueber meiner moralischen Begeisterung habe ich ganz das Theater vergessen.
Möge die Confusion dieses Briefes ein Bild sein von dem geistigen Zustand un¬
seres Athen. Hat doch auch Immermann die Langweiligkeit unserer Zustände dadurch
geschildert, daß er langweilige und blasirte Romane darüber schrieb. Also das
Theater. Ottfried hat hier mehr Glück gemacht, als in Leipzig; ich war bei
der ersten Aufführung, es machte sich zwar eine ziemlich erhebliche Claque an den
passenden Stellen fühlbar, aber zuletzt war das gesammte Publikum außer sich. Das
Stuck ist auch recht eigentlich für die Berliner geschrieben. Schade, daß Ottfried
nicht an unserer glorreichen Revolution Theil genommen hat; natürlich wäre er
entschiedener Demokrat geworden, und ich hätte ihn gerne sehen mögen den Tag
nach den Barrikaden im heiligen Zorn -- ans die Barrikaden selbst wäre er nicht
gegangen -- nachher als Bürgerwehrmann in zierlicher Halbuniform, während
des passiven Widerstandes erfüllt von dem Heroismus dieser Thätigkeit, zuletzt
auf der Tribune in sittlicher Entrüstung über die Leiden der Volksmänner. Es
ist ein Fehler von Gutzkow, daß er nicht auf die Idee gekommen ist, seinen
Ottfried zum Schluß in die Deputirtenkammer wählen zu lassen; der Legations¬
rath ist zu unzeitgemäß. Wie schön hätte sich die Gruppe gemacht, wenn der
Held vor dem Fallen des Vorhangs gerufen hätte : bis dahin war ich Egoist, ich
hatte mich diesem kaltherzigen Aristokraten verkauft, und weder in seinem Jokey-
clnb, noch anf seiner diplomatischen Mission für die Menschheit etwas Erhebliches
geleistet; von nnn an'will ich für das Volk wirken! Alles für das Volk und
Alles durch das Volk! Es lebe die Freiheit! 'Das wäre ein ganz anderer Ab¬
gang gewesen, als diese Witzeleien mit der "Fassung" eines absolut verschrobenen
Frauenzimmers, wie diese Sidonie ist.

Döring gab den Commerzienrath; im Spieler machte er den Banquier.
Er ist entschieden ein Symptom von dem Verfall der echten Kunst, denn bei sei¬
ner Virtuosität im Detail wird er jedes Stück todt machen, welches nicht darauf


ausgesetzt seien, und schloß mit dem Antrag, die stenographischen Berichte in ver¬
mehrten Abdrücken abziehen zu lasse». Philipps ist ein großer, starker Mann und
sein Gesicht sieht aus wie die eben gehaltene Rede, in Fleisch und Blut übersetzt;
es ist Tugend in seinen Blicken. Sie wissen, wie aufmerksam ich immer die ste¬
nographischen Berichte gelesen habe; es beschlich mich nun eine geheime Schaden¬
freude, als ich erfuhr, daß nun eine so bedeutende Anzahl meiner Mitbürger zu
demselben Geschäft verpflichtet sein sollten, und zwar im Interesse der Wahrheit
und Freiheit, für welche zu leiden der Beruf jedes echten Patrioten ist. Jeder
Deputirte sollte nämlich 50 Exemplare zur Vertheilung erhalten. Vor der Tu¬
gend, die sich ans allen Seiten des Hauses ausspricht, wird man zuweilen un¬
wohl, denn auch eine gute Speise kann den Körper überfüllen; aber ich sage,
wäre nur ein klein wenig mehr gesunder Menschenverstand in ihr, diese Versamm¬
lung wäre das Himmelreich.

Ueber meiner moralischen Begeisterung habe ich ganz das Theater vergessen.
Möge die Confusion dieses Briefes ein Bild sein von dem geistigen Zustand un¬
seres Athen. Hat doch auch Immermann die Langweiligkeit unserer Zustände dadurch
geschildert, daß er langweilige und blasirte Romane darüber schrieb. Also das
Theater. Ottfried hat hier mehr Glück gemacht, als in Leipzig; ich war bei
der ersten Aufführung, es machte sich zwar eine ziemlich erhebliche Claque an den
passenden Stellen fühlbar, aber zuletzt war das gesammte Publikum außer sich. Das
Stuck ist auch recht eigentlich für die Berliner geschrieben. Schade, daß Ottfried
nicht an unserer glorreichen Revolution Theil genommen hat; natürlich wäre er
entschiedener Demokrat geworden, und ich hätte ihn gerne sehen mögen den Tag
nach den Barrikaden im heiligen Zorn — ans die Barrikaden selbst wäre er nicht
gegangen — nachher als Bürgerwehrmann in zierlicher Halbuniform, während
des passiven Widerstandes erfüllt von dem Heroismus dieser Thätigkeit, zuletzt
auf der Tribune in sittlicher Entrüstung über die Leiden der Volksmänner. Es
ist ein Fehler von Gutzkow, daß er nicht auf die Idee gekommen ist, seinen
Ottfried zum Schluß in die Deputirtenkammer wählen zu lassen; der Legations¬
rath ist zu unzeitgemäß. Wie schön hätte sich die Gruppe gemacht, wenn der
Held vor dem Fallen des Vorhangs gerufen hätte : bis dahin war ich Egoist, ich
hatte mich diesem kaltherzigen Aristokraten verkauft, und weder in seinem Jokey-
clnb, noch anf seiner diplomatischen Mission für die Menschheit etwas Erhebliches
geleistet; von nnn an'will ich für das Volk wirken! Alles für das Volk und
Alles durch das Volk! Es lebe die Freiheit! 'Das wäre ein ganz anderer Ab¬
gang gewesen, als diese Witzeleien mit der „Fassung" eines absolut verschrobenen
Frauenzimmers, wie diese Sidonie ist.

Döring gab den Commerzienrath; im Spieler machte er den Banquier.
Er ist entschieden ein Symptom von dem Verfall der echten Kunst, denn bei sei¬
ner Virtuosität im Detail wird er jedes Stück todt machen, welches nicht darauf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/480>, abgerufen am 23.07.2024.