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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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gemacht, wie es auch bei uns mit Eisele und Beisele geschehen ist. Die Berliner
Localfarbe ist auf die bekannte Manier des Berliner Witzes hinzugetreten: durch
Sticheleien und Wortverdrehungen. Die beiden Hauptpersonen sind Held, die
historische Figur, die mit ihrem langen Bart, ihrer Sentorstüume und ihren selt¬
samen Gesten bis in die kleinsten Züge von einem talentvollen Schauspieler nach¬
gebildet ist, und Adam Rührei, Hauseigenthümer in der Nectzcugasse, der
Typus des Berliner Epiciers. Der erste Act heißt: Meine Idee. Held ist
noch simpler Literat, er wohnt in einer kleinen Mansarde in der Neetzcugasse und
lebt von Projecten und Schulden. Seine Gläubiger vertröstet er damit, daß
er sie numerirt in ein großes Hauptbuch einträgt und ihnen verspricht, sie
der Reihe uach zu bezahlen, sobald die Umstände es erlaube" würden. Seinen
Wirth Rührei sucht er damit zu beschwichtigen, daß er ihn von Ur. 999!) auf 999
überträgt. Er ist von vornherein überzeugt, daß die Nachwelt ihm einst ein Denk¬
mal setzen wird, und faßt den Plan, auf dieses Denkmal zu verzichten und sich
deu Preis pränumeraudo zahlen zu lassen. Zwei befreundete Lireraten -- gleich¬
falls Berliner Portraits, der eine der ehemalige Herausgeber deö Charlottenburger
Beobachters, in welchem die Bruno Bauer'sche Kritik pvpularisirt wurde, Hopf,
der andere ein gewisser Löwenberg oder Löwenstein -- fordern ihn aus, die großen
Projecte, die seine Brust bewegen, der Welt nicht länger vorzuenthalten. Dem¬
nach gibt er ihnen ein Riesenplacat nach der gewöhnlichen Held'sehen Art zur
Verbreitung an den Straßenecken, in welchem Abschaffung des Eigenthums und
des Geldes als die Erlösung der nothleidenden Menschheit dargestellt wird. "In
Geldsachen hört die Gemüthlichkeit auf," sie soll aber nicht aufhören, denn das
deutsche Volk ist ein gemüthliches, dann soll lieber das Geld abgeschafft werden.
In dem Gedanke" an die Folgen dieser großen Idee schläft Held el". Im Traum
erscheint ihm Germania, von einer Anzahl ziemlich häßlicher Genien umgeben,
und hält eine abgeschmackt pathetische Rede, in welcher sie ihm erklärt, er solle
geprüft werden, ob sein Geld nicht Flitter sei, und demnach solle er die Realität
seiner Projecte im Traume erleben. Sie gibt ihm zum Schutz einen Geist mit,
Bassermann, gespielt von einem kleinen Frauenzimmer, dessen Existenz keinen
andern Zweck hat, als daß ihm zum Schluß gesagt wird: "Bassermännchcn, wenn du
nachFranksurt zurückkommst, so lüge nicht wieder so." l'-rut de l"uni"mir ""<; ol"0!,'ete.

Die drei folgenden Abtheilungen enthalten also den Traum des rothen Re¬
publikaners -- bekanntlich hatte Bassermann in Frankfurt auf diese Carncatnr ein
bedeutendes Gewicht gelegt. Zuerst die Deputirtenkcnnmcr. Sie ist reines
berliner Erzeugniß und besteht aus Portraits. Am glänzendsten ausgeführt ist das
von Sydow, der bei deu Antrag jeder seiner Reden: "Gleichwie das Veilchen,
das im Verborgenen bliebe/' durch allgemeinen Ruf nach Schluß unterbrochen
wird und sich mit heiliger Resignation auf seine" Stuhl falle" läßt. Auch Freund
Pieper, deu wir leider in der diesjährigen Kammer vermissen, ist abcouterfcit.


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gemacht, wie es auch bei uns mit Eisele und Beisele geschehen ist. Die Berliner
Localfarbe ist auf die bekannte Manier des Berliner Witzes hinzugetreten: durch
Sticheleien und Wortverdrehungen. Die beiden Hauptpersonen sind Held, die
historische Figur, die mit ihrem langen Bart, ihrer Sentorstüume und ihren selt¬
samen Gesten bis in die kleinsten Züge von einem talentvollen Schauspieler nach¬
gebildet ist, und Adam Rührei, Hauseigenthümer in der Nectzcugasse, der
Typus des Berliner Epiciers. Der erste Act heißt: Meine Idee. Held ist
noch simpler Literat, er wohnt in einer kleinen Mansarde in der Neetzcugasse und
lebt von Projecten und Schulden. Seine Gläubiger vertröstet er damit, daß
er sie numerirt in ein großes Hauptbuch einträgt und ihnen verspricht, sie
der Reihe uach zu bezahlen, sobald die Umstände es erlaube» würden. Seinen
Wirth Rührei sucht er damit zu beschwichtigen, daß er ihn von Ur. 999!) auf 999
überträgt. Er ist von vornherein überzeugt, daß die Nachwelt ihm einst ein Denk¬
mal setzen wird, und faßt den Plan, auf dieses Denkmal zu verzichten und sich
deu Preis pränumeraudo zahlen zu lassen. Zwei befreundete Lireraten — gleich¬
falls Berliner Portraits, der eine der ehemalige Herausgeber deö Charlottenburger
Beobachters, in welchem die Bruno Bauer'sche Kritik pvpularisirt wurde, Hopf,
der andere ein gewisser Löwenberg oder Löwenstein — fordern ihn aus, die großen
Projecte, die seine Brust bewegen, der Welt nicht länger vorzuenthalten. Dem¬
nach gibt er ihnen ein Riesenplacat nach der gewöhnlichen Held'sehen Art zur
Verbreitung an den Straßenecken, in welchem Abschaffung des Eigenthums und
des Geldes als die Erlösung der nothleidenden Menschheit dargestellt wird. „In
Geldsachen hört die Gemüthlichkeit auf," sie soll aber nicht aufhören, denn das
deutsche Volk ist ein gemüthliches, dann soll lieber das Geld abgeschafft werden.
In dem Gedanke» an die Folgen dieser großen Idee schläft Held el». Im Traum
erscheint ihm Germania, von einer Anzahl ziemlich häßlicher Genien umgeben,
und hält eine abgeschmackt pathetische Rede, in welcher sie ihm erklärt, er solle
geprüft werden, ob sein Geld nicht Flitter sei, und demnach solle er die Realität
seiner Projecte im Traume erleben. Sie gibt ihm zum Schutz einen Geist mit,
Bassermann, gespielt von einem kleinen Frauenzimmer, dessen Existenz keinen
andern Zweck hat, als daß ihm zum Schluß gesagt wird: „Bassermännchcn, wenn du
nachFranksurt zurückkommst, so lüge nicht wieder so." l'-rut de l»uni»mir »»<; ol»0!,'ete.

Die drei folgenden Abtheilungen enthalten also den Traum des rothen Re¬
publikaners — bekanntlich hatte Bassermann in Frankfurt auf diese Carncatnr ein
bedeutendes Gewicht gelegt. Zuerst die Deputirtenkcnnmcr. Sie ist reines
berliner Erzeugniß und besteht aus Portraits. Am glänzendsten ausgeführt ist das
von Sydow, der bei deu Antrag jeder seiner Reden: „Gleichwie das Veilchen,
das im Verborgenen bliebe/' durch allgemeinen Ruf nach Schluß unterbrochen
wird und sich mit heiliger Resignation auf seine» Stuhl falle» läßt. Auch Freund
Pieper, deu wir leider in der diesjährigen Kammer vermissen, ist abcouterfcit.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/475>, abgerufen am 25.11.2024.