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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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ins alte System fürchtete, zu Grunde lag. So hat man Communisten, Republi¬
kaner, Malcontente u tont nrix und Pvrtefeuillejäger ohne Unterschied gewählt,
wenn sie sich nur verpflichteten, Opposition gegen die Partei der Neuen Preußi¬
schen zu machen. Ganz eben so war es mit den lichtfreundlichen Protesten in den
Jahren 1845 und 46; es lag ihnen nicht im Entferntesten eine gemeinsame reli¬
giöse oder auch antireligiöse Vorstellung zu Grunde, sie wollten nur sagen: es ist
doch zu arg, wie es die evangelische Kirchenzeitung treibt. Auch dürfen wir nicht
verkennen, daß die alte Rechte mit ihrem inhaltlosen Conservatismus viel an der
Verbreitung der radicalen Ideen Schuld hat.

Im Belagerungszustand ist nnn die loyale Gesinnung auch äußerlich wieder
zum Vorschein gekommen. Es gehört wieder zum guten Ton, die königlichen
Wagen zu grüßen, woran zu den Zeiten des Landtags Niemand mehr dachte,
man begegnet wieder schwarzweißen Cocarden, während die dreifarbigen meist auf
fadenscheinigen Hüten prange". Die eleganten Equipagen, die seit dem März
spurlos verschwunden, rasseln wieder durch die Straßen, Berlin hat theilweise
seine aristokratische Haltung wieder gefunden, man geht seinen höflichen Gang,
ohne sich ans jedem dritten Schritt durch Vogtländer, Nehberger und souveräne
Lindenclnbs durchwinden zu müssen. Die großen Hotels unter den Linden, die
zum Theil im Begriff waren, Banguerout zu machen, sind wieder von einem
zahlreichen und glänzendem Publikum angefüllt, seitdem der Belagerungszustand
den Verkehr neu belebt hat, der Philister bewegt sich mit gewohntem Behagen auf
dem glatten Gesicht, und sieht uur noch zuweilen mit dem schelmischen Schmun¬
zeln der Berliner Ironie auf das Palais des Prinzen von Preußen, auf welchem
ehemals die Inschrift: "Nationaleigenthum" zu lesen war, und unter dem baar-
häuptige Gamins mit künstlich erhobener Fistelstimme "den Prinzen von Preußen
für eenen Silberjroschen" ausriefen. Nahe dabei hat Kranzler sein elegantes
Schild "Hofcondilor Sr. Königl. Hoheit des Prinzen von Preußen" wieder auf¬
gezogen. Man hat daran seinen Spaß, die Volkstheater üben ihren Witz daran,
aber es wird kein Arg daraus gemacht. Selbst der militärische Anstrich, der dem
neuen ständischen Wesen gegeben wurde, die Uniformen und Orden im weißen
Saal, erregen nnr ein flüchtiges Lächeln. So radical die Hälfte der Berliner
Bevölkerung sein mag, von eigentlichem Fanatismus ist keine Rede.

Es ist eine unbestreitbare Thatsache, der eigentlich leitende Ton im gegen¬
wärtigen Gouvernement ist der militairische. Die alte Bureaukratie führt nur eben
dje Geschäfte. Brandenburg wie Strotha kehren überall den General her¬
aus; Wrangel, der es liebt, sich zuweilen öffentlich zu zeigen, in wohlthätigen
Concerten, in den Kammersitzungen, behauptet immer ein ähnliches Verhältniß
zum Ministerium, wie Windischgrätz und die Andern Stadion gegenüber. Ol>rst
Griesheim bewegt sich mit einer gewissen Vorliebe und Sicherheit in der zwei-
ten Kammer am Mtnistertisch; selbst B odelschwingh hat den Oberst a. D. wieder


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ins alte System fürchtete, zu Grunde lag. So hat man Communisten, Republi¬
kaner, Malcontente u tont nrix und Pvrtefeuillejäger ohne Unterschied gewählt,
wenn sie sich nur verpflichteten, Opposition gegen die Partei der Neuen Preußi¬
schen zu machen. Ganz eben so war es mit den lichtfreundlichen Protesten in den
Jahren 1845 und 46; es lag ihnen nicht im Entferntesten eine gemeinsame reli¬
giöse oder auch antireligiöse Vorstellung zu Grunde, sie wollten nur sagen: es ist
doch zu arg, wie es die evangelische Kirchenzeitung treibt. Auch dürfen wir nicht
verkennen, daß die alte Rechte mit ihrem inhaltlosen Conservatismus viel an der
Verbreitung der radicalen Ideen Schuld hat.

Im Belagerungszustand ist nnn die loyale Gesinnung auch äußerlich wieder
zum Vorschein gekommen. Es gehört wieder zum guten Ton, die königlichen
Wagen zu grüßen, woran zu den Zeiten des Landtags Niemand mehr dachte,
man begegnet wieder schwarzweißen Cocarden, während die dreifarbigen meist auf
fadenscheinigen Hüten prange». Die eleganten Equipagen, die seit dem März
spurlos verschwunden, rasseln wieder durch die Straßen, Berlin hat theilweise
seine aristokratische Haltung wieder gefunden, man geht seinen höflichen Gang,
ohne sich ans jedem dritten Schritt durch Vogtländer, Nehberger und souveräne
Lindenclnbs durchwinden zu müssen. Die großen Hotels unter den Linden, die
zum Theil im Begriff waren, Banguerout zu machen, sind wieder von einem
zahlreichen und glänzendem Publikum angefüllt, seitdem der Belagerungszustand
den Verkehr neu belebt hat, der Philister bewegt sich mit gewohntem Behagen auf
dem glatten Gesicht, und sieht uur noch zuweilen mit dem schelmischen Schmun¬
zeln der Berliner Ironie auf das Palais des Prinzen von Preußen, auf welchem
ehemals die Inschrift: „Nationaleigenthum" zu lesen war, und unter dem baar-
häuptige Gamins mit künstlich erhobener Fistelstimme „den Prinzen von Preußen
für eenen Silberjroschen" ausriefen. Nahe dabei hat Kranzler sein elegantes
Schild „Hofcondilor Sr. Königl. Hoheit des Prinzen von Preußen" wieder auf¬
gezogen. Man hat daran seinen Spaß, die Volkstheater üben ihren Witz daran,
aber es wird kein Arg daraus gemacht. Selbst der militärische Anstrich, der dem
neuen ständischen Wesen gegeben wurde, die Uniformen und Orden im weißen
Saal, erregen nnr ein flüchtiges Lächeln. So radical die Hälfte der Berliner
Bevölkerung sein mag, von eigentlichem Fanatismus ist keine Rede.

Es ist eine unbestreitbare Thatsache, der eigentlich leitende Ton im gegen¬
wärtigen Gouvernement ist der militairische. Die alte Bureaukratie führt nur eben
dje Geschäfte. Brandenburg wie Strotha kehren überall den General her¬
aus; Wrangel, der es liebt, sich zuweilen öffentlich zu zeigen, in wohlthätigen
Concerten, in den Kammersitzungen, behauptet immer ein ähnliches Verhältniß
zum Ministerium, wie Windischgrätz und die Andern Stadion gegenüber. Ol>rst
Griesheim bewegt sich mit einer gewissen Vorliebe und Sicherheit in der zwei-
ten Kammer am Mtnistertisch; selbst B odelschwingh hat den Oberst a. D. wieder


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[0473] ins alte System fürchtete, zu Grunde lag. So hat man Communisten, Republi¬ kaner, Malcontente u tont nrix und Pvrtefeuillejäger ohne Unterschied gewählt, wenn sie sich nur verpflichteten, Opposition gegen die Partei der Neuen Preußi¬ schen zu machen. Ganz eben so war es mit den lichtfreundlichen Protesten in den Jahren 1845 und 46; es lag ihnen nicht im Entferntesten eine gemeinsame reli¬ giöse oder auch antireligiöse Vorstellung zu Grunde, sie wollten nur sagen: es ist doch zu arg, wie es die evangelische Kirchenzeitung treibt. Auch dürfen wir nicht verkennen, daß die alte Rechte mit ihrem inhaltlosen Conservatismus viel an der Verbreitung der radicalen Ideen Schuld hat. Im Belagerungszustand ist nnn die loyale Gesinnung auch äußerlich wieder zum Vorschein gekommen. Es gehört wieder zum guten Ton, die königlichen Wagen zu grüßen, woran zu den Zeiten des Landtags Niemand mehr dachte, man begegnet wieder schwarzweißen Cocarden, während die dreifarbigen meist auf fadenscheinigen Hüten prange». Die eleganten Equipagen, die seit dem März spurlos verschwunden, rasseln wieder durch die Straßen, Berlin hat theilweise seine aristokratische Haltung wieder gefunden, man geht seinen höflichen Gang, ohne sich ans jedem dritten Schritt durch Vogtländer, Nehberger und souveräne Lindenclnbs durchwinden zu müssen. Die großen Hotels unter den Linden, die zum Theil im Begriff waren, Banguerout zu machen, sind wieder von einem zahlreichen und glänzendem Publikum angefüllt, seitdem der Belagerungszustand den Verkehr neu belebt hat, der Philister bewegt sich mit gewohntem Behagen auf dem glatten Gesicht, und sieht uur noch zuweilen mit dem schelmischen Schmun¬ zeln der Berliner Ironie auf das Palais des Prinzen von Preußen, auf welchem ehemals die Inschrift: „Nationaleigenthum" zu lesen war, und unter dem baar- häuptige Gamins mit künstlich erhobener Fistelstimme „den Prinzen von Preußen für eenen Silberjroschen" ausriefen. Nahe dabei hat Kranzler sein elegantes Schild „Hofcondilor Sr. Königl. Hoheit des Prinzen von Preußen" wieder auf¬ gezogen. Man hat daran seinen Spaß, die Volkstheater üben ihren Witz daran, aber es wird kein Arg daraus gemacht. Selbst der militärische Anstrich, der dem neuen ständischen Wesen gegeben wurde, die Uniformen und Orden im weißen Saal, erregen nnr ein flüchtiges Lächeln. So radical die Hälfte der Berliner Bevölkerung sein mag, von eigentlichem Fanatismus ist keine Rede. Es ist eine unbestreitbare Thatsache, der eigentlich leitende Ton im gegen¬ wärtigen Gouvernement ist der militairische. Die alte Bureaukratie führt nur eben dje Geschäfte. Brandenburg wie Strotha kehren überall den General her¬ aus; Wrangel, der es liebt, sich zuweilen öffentlich zu zeigen, in wohlthätigen Concerten, in den Kammersitzungen, behauptet immer ein ähnliches Verhältniß zum Ministerium, wie Windischgrätz und die Andern Stadion gegenüber. Ol>rst Griesheim bewegt sich mit einer gewissen Vorliebe und Sicherheit in der zwei- ten Kammer am Mtnistertisch; selbst B odelschwingh hat den Oberst a. D. wieder Arcnzbottil. I. Is<S. 5g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/473>, abgerufen am 25.11.2024.