Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Räthsel vom Hebbel'sehen Diamanten.



Indem ich hier dem Leser einen Versuch vorlege, die wunderliche Komödie
unseres geistvollen Dichters zu deuten, glaube ich zunächst zur näheren Verstän¬
digung einige Bemerkungen voranschicken zu müssen, damit er es mit dieser Deu¬
tung auch nicht zu ernst nehme.

Wenn irgend einer Dichtung die Mystik des Orakelspruches innewohnt, so
tritt sogleich der Erklärer oder Ausleger in jenes Recht, das er dem in sich selbst
klaren Kunstwerk gegenüber nicht hat, und die Schranke seines guten Rechte"
läßt sich um so weniger bestimmen, je mehr der Sinn der Dichtung sich in un¬
sagbarer Tiefe hält, und mit uns Versteckens spielt. Wenn sich die ganze Tiefe
eines Kunstwerkes nicht in der Oberfläche desselben spiegelt, wenn seine Seele
und innere Bedeutung nicht, wie an einem Auge, an ihm heraus tritt, -- dann
steht es einem Jeden frei, sie hin ein zudichten, wenn er eben Lust und Geschick
dazu hat. Ein solches Kunstwerk ist eine Sphinx, eine unklare Räthselfrage an
jeden vorübergehenden Wanderer, der wieder uur sich selber fragen muß, wenn
er auf die Frage des Kunstwerkes sich selbst Antwort geben will. Solch eine
Dichtung ist nicht fertig gedichtet; jeder, der sie liefet, dichtet sie weiter, und
behilft sich, so gut es gehen mag, mit seiner eigenen Laterne in der roman¬
tischen Nacht.

Diesem Schicksal kann auch der Hebbel'sche Diamant nicht entgehen. Als ich
in der jüngsten Zeit wieder diese Komödie hervorsuchte, und die bekannten Ge¬
stalten des Bauers Jakob, des Juden Benjamin u. f. w. an mir vorüberwandeln
ließ, da summten mir Journale und Reichstagsberichte durch den Kopf, und ich
träumte zwischendurch von den souverainen Bauern, die im Reichstag von Kremsier
saßen, von den bewilligten 80 Millionen, die kein Haus anweisen will, und von
ähnlichen Dingen. Aber gerade in diesem träumerischen Zwielichte ging mir die
Bedeutung der Komödie auf, der Diamant funkelte mich wie ein Auge an, --
das Geistige zuckte in ihm und schloß sich auf, während es früher in der krystal¬
linischen Form noch gebunden war. Wenn daher die Komödie Hebbels als ein
Traum gelten mag, den der Dichter am Morgen vor dein Publikum erzählte, so
soll diese Deutung selbst nichts anderes sein, als wieder nur ein Traum, in dein
ich das Wort jenes Räthsels zu vernehmen glaubte.

Der glanzlose Kohlenstoff des irdischen Lebens concentrirt sich hier und da
und blitzt dann glänzend und zum Krystall gereinigt auf, -- aus der schwarzen
Noth des Erdenseins glänzt hier und da die Macht souverainer Freiheit
hervor: und ich bilde mir eben ein, daß dieser Diamant, die souveraine Kraft, in


Gr-nzbot"n. l. I"i9. 58
Das Räthsel vom Hebbel'sehen Diamanten.



Indem ich hier dem Leser einen Versuch vorlege, die wunderliche Komödie
unseres geistvollen Dichters zu deuten, glaube ich zunächst zur näheren Verstän¬
digung einige Bemerkungen voranschicken zu müssen, damit er es mit dieser Deu¬
tung auch nicht zu ernst nehme.

Wenn irgend einer Dichtung die Mystik des Orakelspruches innewohnt, so
tritt sogleich der Erklärer oder Ausleger in jenes Recht, das er dem in sich selbst
klaren Kunstwerk gegenüber nicht hat, und die Schranke seines guten Rechte«
läßt sich um so weniger bestimmen, je mehr der Sinn der Dichtung sich in un¬
sagbarer Tiefe hält, und mit uns Versteckens spielt. Wenn sich die ganze Tiefe
eines Kunstwerkes nicht in der Oberfläche desselben spiegelt, wenn seine Seele
und innere Bedeutung nicht, wie an einem Auge, an ihm heraus tritt, — dann
steht es einem Jeden frei, sie hin ein zudichten, wenn er eben Lust und Geschick
dazu hat. Ein solches Kunstwerk ist eine Sphinx, eine unklare Räthselfrage an
jeden vorübergehenden Wanderer, der wieder uur sich selber fragen muß, wenn
er auf die Frage des Kunstwerkes sich selbst Antwort geben will. Solch eine
Dichtung ist nicht fertig gedichtet; jeder, der sie liefet, dichtet sie weiter, und
behilft sich, so gut es gehen mag, mit seiner eigenen Laterne in der roman¬
tischen Nacht.

Diesem Schicksal kann auch der Hebbel'sche Diamant nicht entgehen. Als ich
in der jüngsten Zeit wieder diese Komödie hervorsuchte, und die bekannten Ge¬
stalten des Bauers Jakob, des Juden Benjamin u. f. w. an mir vorüberwandeln
ließ, da summten mir Journale und Reichstagsberichte durch den Kopf, und ich
träumte zwischendurch von den souverainen Bauern, die im Reichstag von Kremsier
saßen, von den bewilligten 80 Millionen, die kein Haus anweisen will, und von
ähnlichen Dingen. Aber gerade in diesem träumerischen Zwielichte ging mir die
Bedeutung der Komödie auf, der Diamant funkelte mich wie ein Auge an, —
das Geistige zuckte in ihm und schloß sich auf, während es früher in der krystal¬
linischen Form noch gebunden war. Wenn daher die Komödie Hebbels als ein
Traum gelten mag, den der Dichter am Morgen vor dein Publikum erzählte, so
soll diese Deutung selbst nichts anderes sein, als wieder nur ein Traum, in dein
ich das Wort jenes Räthsels zu vernehmen glaubte.

Der glanzlose Kohlenstoff des irdischen Lebens concentrirt sich hier und da
und blitzt dann glänzend und zum Krystall gereinigt auf, — aus der schwarzen
Noth des Erdenseins glänzt hier und da die Macht souverainer Freiheit
hervor: und ich bilde mir eben ein, daß dieser Diamant, die souveraine Kraft, in


Gr-nzbot«n. l. I»i9. 58
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278453"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Räthsel vom Hebbel'sehen Diamanten.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2656"> Indem ich hier dem Leser einen Versuch vorlege, die wunderliche Komödie<lb/>
unseres geistvollen Dichters zu deuten, glaube ich zunächst zur näheren Verstän¬<lb/>
digung einige Bemerkungen voranschicken zu müssen, damit er es mit dieser Deu¬<lb/>
tung auch nicht zu ernst nehme.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2657"> Wenn irgend einer Dichtung die Mystik des Orakelspruches innewohnt, so<lb/>
tritt sogleich der Erklärer oder Ausleger in jenes Recht, das er dem in sich selbst<lb/>
klaren Kunstwerk gegenüber nicht hat, und die Schranke seines guten Rechte«<lb/>
läßt sich um so weniger bestimmen, je mehr der Sinn der Dichtung sich in un¬<lb/>
sagbarer Tiefe hält, und mit uns Versteckens spielt. Wenn sich die ganze Tiefe<lb/>
eines Kunstwerkes nicht in der Oberfläche desselben spiegelt, wenn seine Seele<lb/>
und innere Bedeutung nicht, wie an einem Auge, an ihm heraus tritt, &#x2014; dann<lb/>
steht es einem Jeden frei, sie hin ein zudichten, wenn er eben Lust und Geschick<lb/>
dazu hat. Ein solches Kunstwerk ist eine Sphinx, eine unklare Räthselfrage an<lb/>
jeden vorübergehenden Wanderer, der wieder uur sich selber fragen muß, wenn<lb/>
er auf die Frage des Kunstwerkes sich selbst Antwort geben will. Solch eine<lb/>
Dichtung ist nicht fertig gedichtet; jeder, der sie liefet, dichtet sie weiter, und<lb/>
behilft sich, so gut es gehen mag, mit seiner eigenen Laterne in der roman¬<lb/>
tischen Nacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2658"> Diesem Schicksal kann auch der Hebbel'sche Diamant nicht entgehen. Als ich<lb/>
in der jüngsten Zeit wieder diese Komödie hervorsuchte, und die bekannten Ge¬<lb/>
stalten des Bauers Jakob, des Juden Benjamin u. f. w. an mir vorüberwandeln<lb/>
ließ, da summten mir Journale und Reichstagsberichte durch den Kopf, und ich<lb/>
träumte zwischendurch von den souverainen Bauern, die im Reichstag von Kremsier<lb/>
saßen, von den bewilligten 80 Millionen, die kein Haus anweisen will, und von<lb/>
ähnlichen Dingen. Aber gerade in diesem träumerischen Zwielichte ging mir die<lb/>
Bedeutung der Komödie auf, der Diamant funkelte mich wie ein Auge an, &#x2014;<lb/>
das Geistige zuckte in ihm und schloß sich auf, während es früher in der krystal¬<lb/>
linischen Form noch gebunden war. Wenn daher die Komödie Hebbels als ein<lb/>
Traum gelten mag, den der Dichter am Morgen vor dein Publikum erzählte, so<lb/>
soll diese Deutung selbst nichts anderes sein, als wieder nur ein Traum, in dein<lb/>
ich das Wort jenes Räthsels zu vernehmen glaubte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2659" next="#ID_2660"> Der glanzlose Kohlenstoff des irdischen Lebens concentrirt sich hier und da<lb/>
und blitzt dann glänzend und zum Krystall gereinigt auf, &#x2014; aus der schwarzen<lb/>
Noth des Erdenseins glänzt hier und da die Macht souverainer Freiheit<lb/>
hervor: und ich bilde mir eben ein, daß dieser Diamant, die souveraine Kraft, in</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gr-nzbot«n. l. I»i9. 58</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0465] Das Räthsel vom Hebbel'sehen Diamanten. Indem ich hier dem Leser einen Versuch vorlege, die wunderliche Komödie unseres geistvollen Dichters zu deuten, glaube ich zunächst zur näheren Verstän¬ digung einige Bemerkungen voranschicken zu müssen, damit er es mit dieser Deu¬ tung auch nicht zu ernst nehme. Wenn irgend einer Dichtung die Mystik des Orakelspruches innewohnt, so tritt sogleich der Erklärer oder Ausleger in jenes Recht, das er dem in sich selbst klaren Kunstwerk gegenüber nicht hat, und die Schranke seines guten Rechte« läßt sich um so weniger bestimmen, je mehr der Sinn der Dichtung sich in un¬ sagbarer Tiefe hält, und mit uns Versteckens spielt. Wenn sich die ganze Tiefe eines Kunstwerkes nicht in der Oberfläche desselben spiegelt, wenn seine Seele und innere Bedeutung nicht, wie an einem Auge, an ihm heraus tritt, — dann steht es einem Jeden frei, sie hin ein zudichten, wenn er eben Lust und Geschick dazu hat. Ein solches Kunstwerk ist eine Sphinx, eine unklare Räthselfrage an jeden vorübergehenden Wanderer, der wieder uur sich selber fragen muß, wenn er auf die Frage des Kunstwerkes sich selbst Antwort geben will. Solch eine Dichtung ist nicht fertig gedichtet; jeder, der sie liefet, dichtet sie weiter, und behilft sich, so gut es gehen mag, mit seiner eigenen Laterne in der roman¬ tischen Nacht. Diesem Schicksal kann auch der Hebbel'sche Diamant nicht entgehen. Als ich in der jüngsten Zeit wieder diese Komödie hervorsuchte, und die bekannten Ge¬ stalten des Bauers Jakob, des Juden Benjamin u. f. w. an mir vorüberwandeln ließ, da summten mir Journale und Reichstagsberichte durch den Kopf, und ich träumte zwischendurch von den souverainen Bauern, die im Reichstag von Kremsier saßen, von den bewilligten 80 Millionen, die kein Haus anweisen will, und von ähnlichen Dingen. Aber gerade in diesem träumerischen Zwielichte ging mir die Bedeutung der Komödie auf, der Diamant funkelte mich wie ein Auge an, — das Geistige zuckte in ihm und schloß sich auf, während es früher in der krystal¬ linischen Form noch gebunden war. Wenn daher die Komödie Hebbels als ein Traum gelten mag, den der Dichter am Morgen vor dein Publikum erzählte, so soll diese Deutung selbst nichts anderes sein, als wieder nur ein Traum, in dein ich das Wort jenes Räthsels zu vernehmen glaubte. Der glanzlose Kohlenstoff des irdischen Lebens concentrirt sich hier und da und blitzt dann glänzend und zum Krystall gereinigt auf, — aus der schwarzen Noth des Erdenseins glänzt hier und da die Macht souverainer Freiheit hervor: und ich bilde mir eben ein, daß dieser Diamant, die souveraine Kraft, in Gr-nzbot«n. l. I»i9. 58

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/465
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/465>, abgerufen am 24.11.2024.