Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Stadt Wien wird auf "viele Jahrhunderte" gesichert sein. Tann wird über
diesen Text den Wienern eine kurze, salbungsvolle Predigt gehalten.

Das Entzücken des Gcmeindcrathcs ist erklärlich, denn wie klang "die Last
über Wien/' wie lautete seit Monaten die Prophezeihung säbclschleppcuder Lieute¬
nants und Fähndrichs: "Kleide dich in Sack und Asche, mehlspeislicbende Nindo-
bona, denn über eine Weile wirst du ein Marktflecken sein, ein Dorf, ein Nichts.
Die Esel vom Kalenbcrge werden schreien in deinen Pallästen, Gras wird wachsen
auf dem Stcphausplatze, der Gärtner von Schönbrunn ist schon auf dem Wege,
er wird Salz säen in deinen Straßen, damit Nesseln und Dornen wachsen ans
der Stätte der Barrikaden!

Und der Gemeinderath nahm diese Drohungen buchstäblich ernst; im Geiste
sah er schon, wie der Kaiser in gerechtem Zorn die Hauptstadt ans den Spielberg
versetzte oder die fremden Gesandte" lieber in Munkats oder Kuffstcin empfing,
als daß er im heiteren Wien Hof hielt. Ein LordMayor sagte einmal zu einem
englischen König, der den Sitz der Regierung von London zu verlegen drohte:
Majestät werden doch so gütig sein und die Themse nicht mitnehmen? Unsere
Mayors und Mdermcn sind im Staude, sich dankend bis zur Erde zu verneigen,
wenn man Wien erlaubt, an der Donau zu liegen und eine halbe Million Ein¬
wohner zu zählen.

Wie ein Traum, wie ein Märchen ans Tausend und Einer Nacht kommt es
mir vor, daß die östreichische Revolution von Wien ausging. Doch warum? Nur
da, wo die Bürger keine Bürger, sondern Philister sind, kann eS geschehen, und
>muß es einmal geschehen, daß ein Häuflein Jngend allein die gelbe Kutsche aus
dem D--k reißt. Wer hätt' es sonst gethan? Aber dann müßt ihr auch nickt
Zeter schreie", wenn der flotte Student, der so Unerhörtes gewagt, den ihr selbst
vergöttert und berauscht habt, sich eine Weile auf den Thron setzt und im tollen
Spiel die ehemalige Krone deS h. römischen Reiches zerzaust, wie eine alte Per-
rücke. ES war euere Schuld!




der Stadt Wien wird auf „viele Jahrhunderte" gesichert sein. Tann wird über
diesen Text den Wienern eine kurze, salbungsvolle Predigt gehalten.

Das Entzücken des Gcmeindcrathcs ist erklärlich, denn wie klang „die Last
über Wien/' wie lautete seit Monaten die Prophezeihung säbclschleppcuder Lieute¬
nants und Fähndrichs: „Kleide dich in Sack und Asche, mehlspeislicbende Nindo-
bona, denn über eine Weile wirst du ein Marktflecken sein, ein Dorf, ein Nichts.
Die Esel vom Kalenbcrge werden schreien in deinen Pallästen, Gras wird wachsen
auf dem Stcphausplatze, der Gärtner von Schönbrunn ist schon auf dem Wege,
er wird Salz säen in deinen Straßen, damit Nesseln und Dornen wachsen ans
der Stätte der Barrikaden!

Und der Gemeinderath nahm diese Drohungen buchstäblich ernst; im Geiste
sah er schon, wie der Kaiser in gerechtem Zorn die Hauptstadt ans den Spielberg
versetzte oder die fremden Gesandte» lieber in Munkats oder Kuffstcin empfing,
als daß er im heiteren Wien Hof hielt. Ein LordMayor sagte einmal zu einem
englischen König, der den Sitz der Regierung von London zu verlegen drohte:
Majestät werden doch so gütig sein und die Themse nicht mitnehmen? Unsere
Mayors und Mdermcn sind im Staude, sich dankend bis zur Erde zu verneigen,
wenn man Wien erlaubt, an der Donau zu liegen und eine halbe Million Ein¬
wohner zu zählen.

Wie ein Traum, wie ein Märchen ans Tausend und Einer Nacht kommt es
mir vor, daß die östreichische Revolution von Wien ausging. Doch warum? Nur
da, wo die Bürger keine Bürger, sondern Philister sind, kann eS geschehen, und
>muß es einmal geschehen, daß ein Häuflein Jngend allein die gelbe Kutsche aus
dem D—k reißt. Wer hätt' es sonst gethan? Aber dann müßt ihr auch nickt
Zeter schreie», wenn der flotte Student, der so Unerhörtes gewagt, den ihr selbst
vergöttert und berauscht habt, sich eine Weile auf den Thron setzt und im tollen
Spiel die ehemalige Krone deS h. römischen Reiches zerzaust, wie eine alte Per-
rücke. ES war euere Schuld!




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278449"/>
          <p xml:id="ID_2645" prev="#ID_2644"> der Stadt Wien wird auf &#x201E;viele Jahrhunderte" gesichert sein. Tann wird über<lb/>
diesen Text den Wienern eine kurze, salbungsvolle Predigt gehalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2646"> Das Entzücken des Gcmeindcrathcs ist erklärlich, denn wie klang &#x201E;die Last<lb/>
über Wien/' wie lautete seit Monaten die Prophezeihung säbclschleppcuder Lieute¬<lb/>
nants und Fähndrichs: &#x201E;Kleide dich in Sack und Asche, mehlspeislicbende Nindo-<lb/>
bona, denn über eine Weile wirst du ein Marktflecken sein, ein Dorf, ein Nichts.<lb/>
Die Esel vom Kalenbcrge werden schreien in deinen Pallästen, Gras wird wachsen<lb/>
auf dem Stcphausplatze, der Gärtner von Schönbrunn ist schon auf dem Wege,<lb/>
er wird Salz säen in deinen Straßen, damit Nesseln und Dornen wachsen ans<lb/>
der Stätte der Barrikaden!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2647"> Und der Gemeinderath nahm diese Drohungen buchstäblich ernst; im Geiste<lb/>
sah er schon, wie der Kaiser in gerechtem Zorn die Hauptstadt ans den Spielberg<lb/>
versetzte oder die fremden Gesandte» lieber in Munkats oder Kuffstcin empfing,<lb/>
als daß er im heiteren Wien Hof hielt. Ein LordMayor sagte einmal zu einem<lb/>
englischen König, der den Sitz der Regierung von London zu verlegen drohte:<lb/>
Majestät werden doch so gütig sein und die Themse nicht mitnehmen? Unsere<lb/>
Mayors und Mdermcn sind im Staude, sich dankend bis zur Erde zu verneigen,<lb/>
wenn man Wien erlaubt, an der Donau zu liegen und eine halbe Million Ein¬<lb/>
wohner zu zählen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2648"> Wie ein Traum, wie ein Märchen ans Tausend und Einer Nacht kommt es<lb/>
mir vor, daß die östreichische Revolution von Wien ausging. Doch warum? Nur<lb/>
da, wo die Bürger keine Bürger, sondern Philister sind, kann eS geschehen, und<lb/>
&gt;muß es einmal geschehen, daß ein Häuflein Jngend allein die gelbe Kutsche aus<lb/>
dem D&#x2014;k reißt. Wer hätt' es sonst gethan? Aber dann müßt ihr auch nickt<lb/>
Zeter schreie», wenn der flotte Student, der so Unerhörtes gewagt, den ihr selbst<lb/>
vergöttert und berauscht habt, sich eine Weile auf den Thron setzt und im tollen<lb/>
Spiel die ehemalige Krone deS h. römischen Reiches zerzaust, wie eine alte Per-<lb/>
rücke. ES war euere Schuld!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0461] der Stadt Wien wird auf „viele Jahrhunderte" gesichert sein. Tann wird über diesen Text den Wienern eine kurze, salbungsvolle Predigt gehalten. Das Entzücken des Gcmeindcrathcs ist erklärlich, denn wie klang „die Last über Wien/' wie lautete seit Monaten die Prophezeihung säbclschleppcuder Lieute¬ nants und Fähndrichs: „Kleide dich in Sack und Asche, mehlspeislicbende Nindo- bona, denn über eine Weile wirst du ein Marktflecken sein, ein Dorf, ein Nichts. Die Esel vom Kalenbcrge werden schreien in deinen Pallästen, Gras wird wachsen auf dem Stcphausplatze, der Gärtner von Schönbrunn ist schon auf dem Wege, er wird Salz säen in deinen Straßen, damit Nesseln und Dornen wachsen ans der Stätte der Barrikaden! Und der Gemeinderath nahm diese Drohungen buchstäblich ernst; im Geiste sah er schon, wie der Kaiser in gerechtem Zorn die Hauptstadt ans den Spielberg versetzte oder die fremden Gesandte» lieber in Munkats oder Kuffstcin empfing, als daß er im heiteren Wien Hof hielt. Ein LordMayor sagte einmal zu einem englischen König, der den Sitz der Regierung von London zu verlegen drohte: Majestät werden doch so gütig sein und die Themse nicht mitnehmen? Unsere Mayors und Mdermcn sind im Staude, sich dankend bis zur Erde zu verneigen, wenn man Wien erlaubt, an der Donau zu liegen und eine halbe Million Ein¬ wohner zu zählen. Wie ein Traum, wie ein Märchen ans Tausend und Einer Nacht kommt es mir vor, daß die östreichische Revolution von Wien ausging. Doch warum? Nur da, wo die Bürger keine Bürger, sondern Philister sind, kann eS geschehen, und >muß es einmal geschehen, daß ein Häuflein Jngend allein die gelbe Kutsche aus dem D—k reißt. Wer hätt' es sonst gethan? Aber dann müßt ihr auch nickt Zeter schreie», wenn der flotte Student, der so Unerhörtes gewagt, den ihr selbst vergöttert und berauscht habt, sich eine Weile auf den Thron setzt und im tollen Spiel die ehemalige Krone deS h. römischen Reiches zerzaust, wie eine alte Per- rücke. ES war euere Schuld!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/461
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/461>, abgerufen am 24.11.2024.