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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Träume unter der slavischen Linde werden aber ebensowenig in Erfüllung gehen,
als die Träume unter der deutschen Eiche. Alle Völker der Monarchie müssen
nun in die nüchterne Prosa eines starken Oestreichs vollends eingehen; und es
hängt nur vou ihnen ab, ob sie darin selbst erstarken oder verbluten wollen. Als
Oestreicher haben wir alle eine große Zukunft voll Thatkraft und Bedeutung; wenn
wir uns aber als Deutsche, Magyaren und Slaven noch ferner in politische Träu¬
mereien verlieren, dann bleibt uns am Ende nichts anderes übrig, als zu den
alten verschollenen Klagegcsängen neue Strophen hinzuzudichten.. Die historische
Nothwendigkeit hat nichts fatalistisches an sich, weil sie vernünftig ist, und sich
daher der gesunden Einsicht keineswegs verhüllt; nur der romantischen Befangen¬
heit tritt sie als zermalmendes Fatum entgegen. Eben so kann das nothwendige
Aufgehen in Oestreich nur der romantischen Einbildung als Tragödie erscheinen;
wenn man aber in einem solchen Somnambulismus der Politik eine That des ver¬
zweifelten Widerstandes wagt, dann wird freilich eine wirkliche Tragödie daraus.
Die verschiedenen Acte derselben wurden auch ohne Rücksicht auf die Einheit des
Ortes, aber mit Beachtung der tragischen Steigerung in den Provinzialstädten
und in der Hauptstadt der Monarchie bereits aufgeführt.

Draußen im Reich fand im Anfange die Einheit Deutschlands von verschie¬
denen Seiten eine romantische Auffassung. Die Romantiker des alten römischen
Reichs begegneten auf wunderliche Weise den Romantikern von der rothen Schleife,
und als der alte Barbarossa aus dem Kyffhäuser herausschreiteu wollte, wäre er
beinahe über die Guillotine der Hecker'schen Republik gestolpert. Bei uns in
Oestreich dagegen ist der Partikularismus romantisch und manifestirt sich noch im¬
mer in einer bunten Menge widersprechender Gestaltungen. Die Scene in Auer-
bach's Keller hat sich auf dem Schauplatz der östreichischen Monarchie im Großen
wiederholt. Gleich jenen lustigen Gesellen berauschten sich die Deutschen, Magya¬
ren und Slaven in dem Wein der Freiheit, der überall, wo sie anbohrten, reichlich
hervorquoll; und ein jeder verlangte eine andere Sorte. "Wenn ich wählen soll,
so will ich Rheinwein haben," sprach der Deutsche. -- "Mir soll sogleich Tokaier
fließen," sprach der Magyar u. s. w. Und als sie alle vollauf getrunken hatten,
fuhren sie einander wechselweise mit den Messern nach der Nase. Damit hatte
nun wohl die Romantik alö tucto ein Ende: aber do jure besteht sie noch "in
der Tiefe des Gemüthes fort."

Wie ich merke, beginnt mein Sermon ins Unbestimmte zu zerfahren. Ich
gebe ihm daher einen raschen Abschluß, und wünsche euch, ihr guten Jungen, zu¬
nächst nichts weiter, als ein glückliches Fortschreiten in euern Studien. Glaube
mir, dieser Wunsch ist nicht so philisterhaft, als er scheint.


Issef Vayer.


Träume unter der slavischen Linde werden aber ebensowenig in Erfüllung gehen,
als die Träume unter der deutschen Eiche. Alle Völker der Monarchie müssen
nun in die nüchterne Prosa eines starken Oestreichs vollends eingehen; und es
hängt nur vou ihnen ab, ob sie darin selbst erstarken oder verbluten wollen. Als
Oestreicher haben wir alle eine große Zukunft voll Thatkraft und Bedeutung; wenn
wir uns aber als Deutsche, Magyaren und Slaven noch ferner in politische Träu¬
mereien verlieren, dann bleibt uns am Ende nichts anderes übrig, als zu den
alten verschollenen Klagegcsängen neue Strophen hinzuzudichten.. Die historische
Nothwendigkeit hat nichts fatalistisches an sich, weil sie vernünftig ist, und sich
daher der gesunden Einsicht keineswegs verhüllt; nur der romantischen Befangen¬
heit tritt sie als zermalmendes Fatum entgegen. Eben so kann das nothwendige
Aufgehen in Oestreich nur der romantischen Einbildung als Tragödie erscheinen;
wenn man aber in einem solchen Somnambulismus der Politik eine That des ver¬
zweifelten Widerstandes wagt, dann wird freilich eine wirkliche Tragödie daraus.
Die verschiedenen Acte derselben wurden auch ohne Rücksicht auf die Einheit des
Ortes, aber mit Beachtung der tragischen Steigerung in den Provinzialstädten
und in der Hauptstadt der Monarchie bereits aufgeführt.

Draußen im Reich fand im Anfange die Einheit Deutschlands von verschie¬
denen Seiten eine romantische Auffassung. Die Romantiker des alten römischen
Reichs begegneten auf wunderliche Weise den Romantikern von der rothen Schleife,
und als der alte Barbarossa aus dem Kyffhäuser herausschreiteu wollte, wäre er
beinahe über die Guillotine der Hecker'schen Republik gestolpert. Bei uns in
Oestreich dagegen ist der Partikularismus romantisch und manifestirt sich noch im¬
mer in einer bunten Menge widersprechender Gestaltungen. Die Scene in Auer-
bach's Keller hat sich auf dem Schauplatz der östreichischen Monarchie im Großen
wiederholt. Gleich jenen lustigen Gesellen berauschten sich die Deutschen, Magya¬
ren und Slaven in dem Wein der Freiheit, der überall, wo sie anbohrten, reichlich
hervorquoll; und ein jeder verlangte eine andere Sorte. „Wenn ich wählen soll,
so will ich Rheinwein haben," sprach der Deutsche. — „Mir soll sogleich Tokaier
fließen," sprach der Magyar u. s. w. Und als sie alle vollauf getrunken hatten,
fuhren sie einander wechselweise mit den Messern nach der Nase. Damit hatte
nun wohl die Romantik alö tucto ein Ende: aber do jure besteht sie noch „in
der Tiefe des Gemüthes fort."

Wie ich merke, beginnt mein Sermon ins Unbestimmte zu zerfahren. Ich
gebe ihm daher einen raschen Abschluß, und wünsche euch, ihr guten Jungen, zu¬
nächst nichts weiter, als ein glückliches Fortschreiten in euern Studien. Glaube
mir, dieser Wunsch ist nicht so philisterhaft, als er scheint.


Issef Vayer.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/46>, abgerufen am 23.12.2024.