Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

O weh, rief Einer, der Windischgrätz ist der Falke, die Taub' ist die Freiheit!
-- Vorgestern wieder stand am hellen lichten Tage der Abendstern im Blauen und
spiegelte sich deutlich im goldrothen Knauf des Stephansthurmes. Der Stern
Oestreichs! jubelten Einige. -- Doch ein Abendstern! bemerkte Jemand."

Diese ahnungssüchtigc Stimmung geht so weit, daß man heute Morgen aus¬
rief: Welch prachtvolles Frühlingswetter, was mag es bedeuten? -- Leichteren
Herzens hüpft der belagerte Wiener durch die Straßen, doch siehe da, dichte
Gruppen an oller Ecken, was ist los? -- Der Reichstag ist aufgelöst --
eine Verfassung octroyirt!

Se. Majestät entläßt den Reichstag im Allgemeinen sehr ungnädig, das
Ministerium decretirt den Schluß der Revolution. Die Armee ist stark, das
Ministerium sehr muthig; es hat Jedermanns Hand wider sich und hebt seine
Hand gegen Ungarn, Italien, die Slawen, und zum Ueberfluß auch gegen
Deutschland.

Daß der Reichstag längst nnr noch röchelte, wußten wir, doch warum ver¬
längerte man so grausam seine Agonie? Ich glaube, das Ministerium ist dem
Reichstag zu schwerem Danke verpflichtet; es versteckte hinter dieser spanischen Wand
seine Ratlosigkeit; der Reichstag mußte dem liberalen Volk als ein beschwichti¬
gender als Butschbcntel dienen, und während die Demokratie von Kremsier
träumte, gewann das Kabinet vier Monate Frist, um gegen Frankfurt zu intri-
guiren und nebenbei die Charte zu entwerfen. Die Maßregel kommt grausam
spät und doch wieder zu früh; denn hat anch die lange Ungewißheit das Volk
von Wien und Dentschöstrcich genügend mürbe gemacht: den Slawen schon jetzt
die Zähne zu weisen, ist bedenklich, da die ungrischen Kastanien noch nicht aus
dem Feuer geholt sind.

Das Schicksal des Reichstags war besiegelt, als die czechische Rechte sich
mit der Linken sür das Princip der Vvlkssouverainetät verbündet hatte. Die
Taktik, welche seitdem gegen den Delinquenten beobachtet wurde, war mehr schlau
als ritterlich. Es ist wahr, die Münster haderten sich um ihn so viel wie um den
Mann im Monde, sie oscillirten fortwährend zwischen Wien und Oliuütz und ließen
sich selten so weit herab, sich ans ihren Bänken in Kremsier einen Augenblick
zu zeigen. Andrerseits spielten sie Opposition gegen ihn, ließen sich sür den
Reichstag als Abgeordnete wählen, Mißtrauensadresseu gegen einzelne Deputirte
fabriziren, die Reichstagsberichte verstümmeln und eine ganze Koppel Wiener
Blättchen, mit deren Schilderung ich Ihr sauberes Papier nicht beschmutzen will,
gegen ihn Hetzen.

Ein Wort für den seligen Reichstag. Ich weiß, daß man auch in Deutsch¬
land mit Achselzucken von ihm sprach. Aber stellen Sie sich auf östreichischen
Boden und legen Sie ein vergleichendes Maß an. Ehrlichen Gegnern deö Mi¬
nisteriums pflegt man hier zu antworte^: Wüßten Sie ein Besseres? -- Die


O weh, rief Einer, der Windischgrätz ist der Falke, die Taub' ist die Freiheit!
— Vorgestern wieder stand am hellen lichten Tage der Abendstern im Blauen und
spiegelte sich deutlich im goldrothen Knauf des Stephansthurmes. Der Stern
Oestreichs! jubelten Einige. — Doch ein Abendstern! bemerkte Jemand."

Diese ahnungssüchtigc Stimmung geht so weit, daß man heute Morgen aus¬
rief: Welch prachtvolles Frühlingswetter, was mag es bedeuten? — Leichteren
Herzens hüpft der belagerte Wiener durch die Straßen, doch siehe da, dichte
Gruppen an oller Ecken, was ist los? — Der Reichstag ist aufgelöst —
eine Verfassung octroyirt!

Se. Majestät entläßt den Reichstag im Allgemeinen sehr ungnädig, das
Ministerium decretirt den Schluß der Revolution. Die Armee ist stark, das
Ministerium sehr muthig; es hat Jedermanns Hand wider sich und hebt seine
Hand gegen Ungarn, Italien, die Slawen, und zum Ueberfluß auch gegen
Deutschland.

Daß der Reichstag längst nnr noch röchelte, wußten wir, doch warum ver¬
längerte man so grausam seine Agonie? Ich glaube, das Ministerium ist dem
Reichstag zu schwerem Danke verpflichtet; es versteckte hinter dieser spanischen Wand
seine Ratlosigkeit; der Reichstag mußte dem liberalen Volk als ein beschwichti¬
gender als Butschbcntel dienen, und während die Demokratie von Kremsier
träumte, gewann das Kabinet vier Monate Frist, um gegen Frankfurt zu intri-
guiren und nebenbei die Charte zu entwerfen. Die Maßregel kommt grausam
spät und doch wieder zu früh; denn hat anch die lange Ungewißheit das Volk
von Wien und Dentschöstrcich genügend mürbe gemacht: den Slawen schon jetzt
die Zähne zu weisen, ist bedenklich, da die ungrischen Kastanien noch nicht aus
dem Feuer geholt sind.

Das Schicksal des Reichstags war besiegelt, als die czechische Rechte sich
mit der Linken sür das Princip der Vvlkssouverainetät verbündet hatte. Die
Taktik, welche seitdem gegen den Delinquenten beobachtet wurde, war mehr schlau
als ritterlich. Es ist wahr, die Münster haderten sich um ihn so viel wie um den
Mann im Monde, sie oscillirten fortwährend zwischen Wien und Oliuütz und ließen
sich selten so weit herab, sich ans ihren Bänken in Kremsier einen Augenblick
zu zeigen. Andrerseits spielten sie Opposition gegen ihn, ließen sich sür den
Reichstag als Abgeordnete wählen, Mißtrauensadresseu gegen einzelne Deputirte
fabriziren, die Reichstagsberichte verstümmeln und eine ganze Koppel Wiener
Blättchen, mit deren Schilderung ich Ihr sauberes Papier nicht beschmutzen will,
gegen ihn Hetzen.

Ein Wort für den seligen Reichstag. Ich weiß, daß man auch in Deutsch¬
land mit Achselzucken von ihm sprach. Aber stellen Sie sich auf östreichischen
Boden und legen Sie ein vergleichendes Maß an. Ehrlichen Gegnern deö Mi¬
nisteriums pflegt man hier zu antworte^: Wüßten Sie ein Besseres? -- Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278444"/>
          <p xml:id="ID_2616" prev="#ID_2615"> O weh, rief Einer, der Windischgrätz ist der Falke, die Taub' ist die Freiheit!<lb/>
&#x2014; Vorgestern wieder stand am hellen lichten Tage der Abendstern im Blauen und<lb/>
spiegelte sich deutlich im goldrothen Knauf des Stephansthurmes. Der Stern<lb/>
Oestreichs! jubelten Einige. &#x2014; Doch ein Abendstern! bemerkte Jemand."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2617"> Diese ahnungssüchtigc Stimmung geht so weit, daß man heute Morgen aus¬<lb/>
rief: Welch prachtvolles Frühlingswetter, was mag es bedeuten? &#x2014; Leichteren<lb/>
Herzens hüpft der belagerte Wiener durch die Straßen, doch siehe da, dichte<lb/>
Gruppen an oller Ecken, was ist los? &#x2014; Der Reichstag ist aufgelöst &#x2014;<lb/>
eine Verfassung octroyirt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2618"> Se. Majestät entläßt den Reichstag im Allgemeinen sehr ungnädig, das<lb/>
Ministerium decretirt den Schluß der Revolution. Die Armee ist stark, das<lb/>
Ministerium sehr muthig; es hat Jedermanns Hand wider sich und hebt seine<lb/>
Hand gegen Ungarn, Italien, die Slawen, und zum Ueberfluß auch gegen<lb/>
Deutschland.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2619"> Daß der Reichstag längst nnr noch röchelte, wußten wir, doch warum ver¬<lb/>
längerte man so grausam seine Agonie? Ich glaube, das Ministerium ist dem<lb/>
Reichstag zu schwerem Danke verpflichtet; es versteckte hinter dieser spanischen Wand<lb/>
seine Ratlosigkeit; der Reichstag mußte dem liberalen Volk als ein beschwichti¬<lb/>
gender als Butschbcntel dienen, und während die Demokratie von Kremsier<lb/>
träumte, gewann das Kabinet vier Monate Frist, um gegen Frankfurt zu intri-<lb/>
guiren und nebenbei die Charte zu entwerfen. Die Maßregel kommt grausam<lb/>
spät und doch wieder zu früh; denn hat anch die lange Ungewißheit das Volk<lb/>
von Wien und Dentschöstrcich genügend mürbe gemacht: den Slawen schon jetzt<lb/>
die Zähne zu weisen, ist bedenklich, da die ungrischen Kastanien noch nicht aus<lb/>
dem Feuer geholt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2620"> Das Schicksal des Reichstags war besiegelt, als die czechische Rechte sich<lb/>
mit der Linken sür das Princip der Vvlkssouverainetät verbündet hatte. Die<lb/>
Taktik, welche seitdem gegen den Delinquenten beobachtet wurde, war mehr schlau<lb/>
als ritterlich. Es ist wahr, die Münster haderten sich um ihn so viel wie um den<lb/>
Mann im Monde, sie oscillirten fortwährend zwischen Wien und Oliuütz und ließen<lb/>
sich selten so weit herab, sich ans ihren Bänken in Kremsier einen Augenblick<lb/>
zu zeigen. Andrerseits spielten sie Opposition gegen ihn, ließen sich sür den<lb/>
Reichstag als Abgeordnete wählen, Mißtrauensadresseu gegen einzelne Deputirte<lb/>
fabriziren, die Reichstagsberichte verstümmeln und eine ganze Koppel Wiener<lb/>
Blättchen, mit deren Schilderung ich Ihr sauberes Papier nicht beschmutzen will,<lb/>
gegen ihn Hetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2621" next="#ID_2622"> Ein Wort für den seligen Reichstag. Ich weiß, daß man auch in Deutsch¬<lb/>
land mit Achselzucken von ihm sprach. Aber stellen Sie sich auf östreichischen<lb/>
Boden und legen Sie ein vergleichendes Maß an. Ehrlichen Gegnern deö Mi¬<lb/>
nisteriums pflegt man hier zu antworte^: Wüßten Sie ein Besseres? -- Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0456] O weh, rief Einer, der Windischgrätz ist der Falke, die Taub' ist die Freiheit! — Vorgestern wieder stand am hellen lichten Tage der Abendstern im Blauen und spiegelte sich deutlich im goldrothen Knauf des Stephansthurmes. Der Stern Oestreichs! jubelten Einige. — Doch ein Abendstern! bemerkte Jemand." Diese ahnungssüchtigc Stimmung geht so weit, daß man heute Morgen aus¬ rief: Welch prachtvolles Frühlingswetter, was mag es bedeuten? — Leichteren Herzens hüpft der belagerte Wiener durch die Straßen, doch siehe da, dichte Gruppen an oller Ecken, was ist los? — Der Reichstag ist aufgelöst — eine Verfassung octroyirt! Se. Majestät entläßt den Reichstag im Allgemeinen sehr ungnädig, das Ministerium decretirt den Schluß der Revolution. Die Armee ist stark, das Ministerium sehr muthig; es hat Jedermanns Hand wider sich und hebt seine Hand gegen Ungarn, Italien, die Slawen, und zum Ueberfluß auch gegen Deutschland. Daß der Reichstag längst nnr noch röchelte, wußten wir, doch warum ver¬ längerte man so grausam seine Agonie? Ich glaube, das Ministerium ist dem Reichstag zu schwerem Danke verpflichtet; es versteckte hinter dieser spanischen Wand seine Ratlosigkeit; der Reichstag mußte dem liberalen Volk als ein beschwichti¬ gender als Butschbcntel dienen, und während die Demokratie von Kremsier träumte, gewann das Kabinet vier Monate Frist, um gegen Frankfurt zu intri- guiren und nebenbei die Charte zu entwerfen. Die Maßregel kommt grausam spät und doch wieder zu früh; denn hat anch die lange Ungewißheit das Volk von Wien und Dentschöstrcich genügend mürbe gemacht: den Slawen schon jetzt die Zähne zu weisen, ist bedenklich, da die ungrischen Kastanien noch nicht aus dem Feuer geholt sind. Das Schicksal des Reichstags war besiegelt, als die czechische Rechte sich mit der Linken sür das Princip der Vvlkssouverainetät verbündet hatte. Die Taktik, welche seitdem gegen den Delinquenten beobachtet wurde, war mehr schlau als ritterlich. Es ist wahr, die Münster haderten sich um ihn so viel wie um den Mann im Monde, sie oscillirten fortwährend zwischen Wien und Oliuütz und ließen sich selten so weit herab, sich ans ihren Bänken in Kremsier einen Augenblick zu zeigen. Andrerseits spielten sie Opposition gegen ihn, ließen sich sür den Reichstag als Abgeordnete wählen, Mißtrauensadresseu gegen einzelne Deputirte fabriziren, die Reichstagsberichte verstümmeln und eine ganze Koppel Wiener Blättchen, mit deren Schilderung ich Ihr sauberes Papier nicht beschmutzen will, gegen ihn Hetzen. Ein Wort für den seligen Reichstag. Ich weiß, daß man auch in Deutsch¬ land mit Achselzucken von ihm sprach. Aber stellen Sie sich auf östreichischen Boden und legen Sie ein vergleichendes Maß an. Ehrlichen Gegnern deö Mi¬ nisteriums pflegt man hier zu antworte^: Wüßten Sie ein Besseres? -- Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/456
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/456>, abgerufen am 23.12.2024.